Wo bleibt die Horizontale?

Wolkenkratzer Das größte Gebäude der Welt mag ein Triumph der Schönheit und des Ehrgeizes sein. Aber die seelenlose Stadtlandschaft drumherum ist eine ganz andere Sache

Die englische Sprache wird ein neues Wort finden müssen. Der Burj Dubai ist kein „Skyscraper“ im eigentlichen Sinn. Er kratzt nicht am Himmel, er durchlöchert ihn, wie eine schlanke Silbernadel, 800 Meter hoch. Dass wir die Spitze überhaupt zu Gesicht bekommen, liegt daran, dass es in Dubai keine Wolken gibt. Der deutsche Begriff Wolkenkratzer taugt hier also ebenso wenig.

Glaubt man den Bildern, die bisher an die Öffentlichkeit gelangten, dann ähnelt die Aussicht vom Burj Dubai eher dem Blick aus einem Flugzeugfenster, als dem Panorama, das man sonst von einem Gebäude aus hat. Die Wirklichkeit wird durch den Burj Dubai ein wenig irrealer.

Die Fakten und Zahlen rund um den Turm sind gleichfalls surreal. An der Spitze des Turms soll die Temperatur acht Grad niedriger sein als am Boden, man soll sich den Sonnenuntergang am Fuße des Turms ansehen könnnen und dann nach einer Fahrt mit dem Aufzug an die Spitze gleich nochmal. Es ist eine ganz neue Höhendimension. Sein nächster Konkurrent, der Taipei 101 in Taiwan, ist 300 Meter kleiner.

Symbol der Verschwendung

Aber gibt es hier, abgesehen von der Höhe, Grund zum Feiern? Aus unserer aktuellen Perspektive ist der Burj Dubai das Symbol einer katastrophalen Verschwendung – von Geld, Selbstbewusstsein, Ehrgeiz und Energie. Die Tatsache, dass er vermutlich jahrelang leer stehen wird, hat dem Westen tiefe Genugtuung verschafft. Aber ist das nicht die typische Reaktion auf jedes nennenswerte große Gebilde, beim Turm zu Babel angefangen?

Selbst die Kritiker des Burj Dubai müssen einräumen, dass er architektonisch gesehen ein überwältigendes Werk ist.

Verantwortlich sind dafür an erster Stelle der Architekt Adrian Smith, der ehemals für das auf Hochhäuser spezialisierte Büro SOM tätig war, und der Ingenieur Bill Baker. Sie haben eine anmutige Reihe von silbernen Röhren in unterschiedlichen Längen geschaffen, die wunderbar glatt und elegant gen Himmel ragen.

Der Burj Dubai mutet weniger wie ein einzelner Turm, denn wie ein Bündel aus mehreren Türmen an. Er wirkt eher wir ein organisches Gebilde, denn wie ein selbstbewusstes, ikonisches Objekt. Wir haben es hier mit Sicherheit mit dem schönsten Hochhaus seit dem Chrysler und dem Empire State Building in New York in den Dreißigern zu tun.

Was den Umweltschutz betrifft, so ist der Burj Dubai viel zu groß, als dass er zu rechtfertigen wäre. Weit beunruhigender als der Turm selbst ist jedoch seine Umgebung. Frank Lloyd Wright stellte der Öffentlichkeit in Chicago 1956 einen Entwurf für ein elegantes aber absurdes Hochhaus mit 1500 Metern Höhe vor. Er war auf der sicheren Seite, denn er wusste, dass er sich niemals ernsthaft Gedanken darüber machen müsste, wie es zu bauen sei.

Wrights Entwurf hatte zweifellos Einfluss auf den Burj Dubai. Er sah sogar eine ähnliche dreieckige Struktur vor. Wright jedoch wollte mit seinem kilometerhohen Wolkenkratzer einen konzentrierten Wohnraum schaffen, um die unkontrollierte Ausbreitung im Stadtgebiet von Chicago einzudämmen und am Boden Platz für Parks, Natur und Freizeitaktivitäten zu machen.

Zeltstange in der Wüste

Der Burj Dubai hingegen steht wie die Zeltstange inmitten einer anonymen, seelenlosen, energiehungrigen Stadtlandschaft, die sich über mehrere Hektar erstreckt. Mag sein, dass man von seiner Spitze aus 100 Kilometer weit sehen kann, doch wenn man in die Tiefe blickt, dann erblickt man den gleichen 08/15-Immobilien-Schrott wie überall sonst in Dubai: gewaltige Einkaufszentren, nichtssagende Bürotürme, ausgedehnte Wohnanlagen, die halbwegs aufeinander abgestimmt sind, damit sie „traditionellen“ arabischen Dörfern ähneln, dazu überdimensionale Zier-Springbrunnen. Vertikal gesehen mag der Burj Dubai ein Triumph sein, aber was ist mit der Horizontalen?







der Freitag digital zum Vorteilspreis

6 Monate mit 25% Rabatt lesen

Übersetzung: Christine Käppeler
Geschrieben von

Steve Rose, The Guardian | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

The Guardian

Der Freitag im Oster-Abo Schenken Sie mutigen Qualitätsjournalismus!

Print

Entdecken Sie unsere Osterangebote für die Printzeitung mit Wunschprämie.

Jetzt sichern

Digital

Schenken Sie einen unserer Geschenkgutscheine für ein Digital-Abo.

Jetzt sichern

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden