Angela Merkel wirkt kurz vor einem europäischen Gipfel nicht gerne isoliert. Aber genau diesen Eindruck zu erwecken versucht der französische Präsident François Hollande in einem Interview, das heute in sechs europäischen Zeitungen erschien.
Hollande sagt darin, Merkel sei zu sehr mit deutscher Innenpolitik beschäftigt, um so auf Europa eingehen zu können, wie es in Krisenzeiten nötig sei. Außerdem fordert er, dass Berlin seine Opposition zu den auf dem letzten Gipfel gefassten Beschlüssen aufgibt. Auch macht der Präsident kurzen Prozess mit dem deutschen Vorstoß zu einer föderalisierten Eurozone. Wer behauptet, Hollande habe nicht das Zeug zum Führen, unterschätzt die Entschlossenheit, mit der nun er seinen Standpunkt vorbringt.
Deal einhalten
Dabei wähnt er inzwischen immer mehr Länder und Institutionen der Eurozone auf seiner Seite. Mario Draghi, der Präsident der Europäischen Zentralbank, will – unter der Bedingung, dass Spanien einen der zwei Rettungsfonds aktiviert – spanische Staatsanleihen kaufen. Zudem verlangt der Großteil der Mitglieder der Eurozone, dass Deutschland sich an den Deal im Juni geschlossenen Deal hält: Darin ist der Einsatz des Europäischen Stabilitätsmechanismus zur Unterbrechung des Teufelskreises zwischen schwachen Banken und Staatsschulden vorgesehen. Das soll noch in diesem Jahr geschehen, egal, ob in Deutschland Wahlen anstehen oder nicht. Darüber hinaus würden die meisten inzwischen Hollandes Grundannahme zustimmen, dass eine Rezession eine größere Bedrohung darstellt als Haushaltsdefizite.
Und dennoch geschieht bislang nichts. Der Schaden, den Merkel mit ihrer Verzögerungstaktik anrichtet, kommt auch den Grenzen ihres eigenen Landes immer näher. Die deutsche Wachstumsrate wird zwar die Prognosen des Frühjahrs leicht übertreffen, im kommenden Jahr aber wird sie um die Hälfte auf ein Prozent sinken. Wenn das Wachstum in der stärksten Volkswirtschaft der Eurozone zum Erliegen kommt, hat das wohl etwas zu bedeuten. Unglücklicherweise könnte das derzeit an den Geldmärkten herrschende fragile Gleichgewicht Merkel dazu verführen, wieder einmal auf Zeit zu spielen. Die Erwartungen an den Gipfel diese Woche werden denn auch bereits heruntergeschraubt. Die großen Entscheidungen werden erst im November fallen. Vielleicht ist das nun der Grund für Hollandes Breitseite.
Grexit wäre teuer
Einen Hinweis auf das Ausmaß der Probleme der Eurozone als Ganzes und das Risiko eines Dominoeffektes im Falle einer Pleite Griechenlands findet sich in einem Bericht der Bertelsmann-Stiftung. Darin werden die ökonomischen Folgen eines Grexits für andere Länder bewertet. Laut Bertelsmannstiftung würde ein solches Szenario die 42 wirtschaftlich führenden Länder der Welt 674 Milliarden Euro kosten.
Sollte ein Euroaustritt Griechenland dann noch einen Austritt Portugals auslösen, würden sich die weltweiten Verluste insgesamt über acht Jahre auf 2,4 Billionen oder 2.790 Euro für jeden Deutschen belaufen. Sollte auch noch Spanien austreten, würden die Pro-Kopf-Verluste nochmals in die Höhe schnellen. Würde dann noch Italien folgen, würde Frankreich bis zum Jahr 2020 2,9 Billionen, die USA 2,8 Billionen, China 1,9 Billionen und Deutschland 1,7 Billionen Euro verlieren.
Damit wäre eine globale Krise erreicht. Wenn Hollande sagt, wir seien dem Ende der Krise „nah, sehr nah“, dann dürfte das in diesem Interview seine optimistischste Aussage gewesen sein.
Gemeinsame Führung
Hollande hat nur wenige Karten auf der Hand, um seine Position gegenüber Merkel zu stärken. Zwei davon hat er bereits ausgespielt. Als er begann, sich mit Mario Monti und Mariano Rajoy zusammenzutun, war Deutschland nicht amüsiert, akzeptiert seither aber die Notwendigkeit gemeinsamer Führung. Die zweite Karte, auf die Hollande setzte, war, dass er sich an den Sparzielen seines Amtsvorgängers festhielt. Auch wenn kaum jemand denkt, dass Frankreich sein Defizit im kommenden Jahr wirklich wie geplant auf drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts senken kann, verleiht dieses Ziel ihm Glaubwürdigkeit. Die dritte Karte auszuspielen – nämlich Reformen zur Behebung des französischen Strukturdefizits, denen sämtliche Vorgänger Hollandes ausgewichen sind –, würde sehr viel mehr Zeit in Anspruch nehmen, wenn es denn überhaupt dazu kommt.
Das bedeutet, dass Merkel sich bewegen muss, wenn sie nicht einfach auf das Eintreffen der Katastrophe warten will. An ihrer Position zu Eurobonds wird sich nichts ändern, auch an der Geschwindigkeit ihres Handeln nichts. Durchaus beweglich könnte sie sich aber beim Prinzip der Bankenrekapitalisierung zeigen. Damit wäre allerdings bestenfalls ein kleiner Schritt getan. Die größere Frage ist die nach den politischen Kosten der gegenwärtigen Vorgänge. Pleiten, Notverkäufe von Staatsgütern und himmelhohe Jugendarbeitslosigkeit in südlichen Europa werden nicht dazu führen, dass spontan Beethovens Ode an die Freude angestimmt wird. Eher wird man die Trommeln vernehmen, die Wotans Abstieg nach Nibelheim ankündigen.
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