In Deutschland hat der Jahrestag der Hartz-Vorschläge gerade eine sehr zwiespältige Debatte ausgelöst. In Großbritannien hingegen macht einer der Reformvorschläge Furore, den der Kommissionsvorsitzende Peter Hartz im August 2002 im Französischen Dom im Programm hatte: die Minijobs.
Das britische Finanzministerium prüft sie als ernsthafte Option den Arbeitsmarkt zu beleben und folgt dabei den Argumenten der Befürworter in Deutschland, das Instrument habe dazu beigetragen, dass es nach 2008 nicht zu einem steilen Anstieg der Arbeitslosenzahlen kam. Die auch in Deutschland laute Kritik an den 400-Euro-Jobs wird dabei ignoriert.
Verzicht auf soziale Absicherung
Die deutschen Minijobs sind genau das, was draufsteht: Prekäre Beschäftigungen für bis zu 400 (ab 2013 wohl 450) Euro im Monat, die steuer- und abgabengünstig fast vollständig ausgezahlt werden.
Doch damit verzichten die „Minijobber“ auf wichtige Vorteile regulärer Anstellung – etwa den Aufbau von Rentenansprüchen. Im März 2012 scheiterte im Bundesrat eine Initiative der sozialdemokratisch regierten Bundesländer, für Minijobber eine Begrenzung der wöchentlichen Arbeitszeit auf zwölf Stunden einzuführen, womit letztlich ein Mindeststundenlohn erreicht worden wäre.
Laut neuesten Zahlen der Bundesagentur für Arbeit hatten im September 2012 rund 7,3 Millionen Deutsche – oder einer von fünf Arbeitnehmern – einen Minijob. Das war gegenüber 2003 eine Steigerung um 1,6 Millionen.
Die Zahl der Beschäftigten, die einen Minijob als zusätzlichen Nebenjob annahmen, um finanziell über die Runden zu kommen, verdoppelte sich zwischen 2003 und 2010 von 1,3 auf 2,4 Millionen. Ungefähr zwei Drittel der Minijobber sind Frauen, die meisten derartigen Stellen sind Dienstleistungsjobs für Geringqualifizierte, vor allem in der Gastronomie, im Hotel- und Gaststättengewerbe und auf dem Bau.
Teuer für den Staat
Die Befürworter räumen zwar ein, dass die Minijobs den Staat wegen der Befreiung von der Einkommenssteuer teuer kommen. Doch widersprechen sie der These, dass reguläre Beschäftigungsverhältnisse verdrängt wurden. Vielmehr hätten die Minijobs den Arbeitsmarkt flexibler gemacht und die Lohnstückkosten gesenkt. Das sei maßgeblich gewesen für die Steigerung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands seit 2003.
Forscher der Universität Duisburg-Essen lieferten hingegen 2010 empirische Belege dafür, dass die Minijobs zunehmend zu einer Niedriglohnfalle werden, die nur wenig Aussichten auf einen langfristigen Übergang in reguläre Jobs bieten. Stattdessen werden immer öfter reguläre Jobs in mehrere Minijobs aufgesplittet. Und Minijobber erhalten in der Regel auch nur Minilöhne, zumal es – anders als in Großbritannien – keinen einheitlichen Mindestlohn gibt.
Von den 41 Millionen im Jahr 2011 beschäftigten Deutschen hatten nur knapp über 29 Millionen einen regulären Job – die übrigen waren entweder selbständig oder hatten „Minijobs“. Die Reallöhne stagnieren seit den Neunzigern und sind zwischen 2004 und 2011 um 2,9 Prozent gefallen. Immer mehr Deutsche sind arm, obwohl sie arbeiten, die Einkommensunterschiede wachsen in Deutschland stärker als in irgendeinem anderen westeuropäischen Land.
Niedriges Wachstum
Weit davon entfernt, ein „Jobwunder“ geschaffen zu haben, ist es Deutschland nach 2008 einfach nur gelungen, die hohe Arbeitslosigkeit von ungefähr sieben Prozent nicht noch ansteigen zu lassen. Dies gelang, indem die Arbeitszeit pro Beschäftigtem gesenkt und 2009/10 ein Konjunkturpaket im Umfang von 60 Milliarden Euro aufgelegt wurde.
Auch der Blick auf die Entwicklung des deutschen Bruttosozialproduktes in den ersten zehn Jahren des Jahrtausends stützt keineswegs die Behauptung, eine Deregulierung des Arbeitsmarktes führe zu mehr Wachstum. Deutschland hatte zwischen 1999 und 2008 mit 1,7 Prozent die zweitniedrigste Wachstumsrate der Eurozone zu verzeichnen – da bleibt nicht viel zu rühmen am berühmten deutschen Modell.
Ursache der Krise
Am allerschlimmsten ist aber, dass das deutsche Beharren auf niedrigen Löhnen und „Minijobs“ eine der entscheidenden Ursachen der Eurokrise war: Größere internationale Wettbewerbsfähigkeit durch sinkende Lohnstückkosten stützte ein exportgesteuertes Wachstumsmodell, das vor allem die kreditgetriebene Nachfrage aus den ärmeren südeuropäischen Volkswirtschaften abschöpfte – bis dann 2008 der Strom der billigen Kredite abbrach.
Neben vielen anderen sagen unter anderem Heiner Flassbeck und Gerhard Bosch, dass Deutschland (und die Eurozone) keine „Mini“- sondern „Maxijobs“ brauchen: reales, über Produktivität und Inflation liegendes Lohnwachstum, um den gegenwärtig in Deutschland herrschenden Trend der Einkommensungleichheit zu korrigieren und die deutsche Nachfrage daheim wie im Ausland zu steigern.
Alles anders in Großbritannien
In Großbritannien hingegen gibt es einen Mindestlohn, die Schwelle für steuerfreie Einkünfte ist derzeit mehr als doppelt so hoch wie die 400 Euro in der Bundesrepublik. Warum also „Minijobs“?
Die Antwort lässt der Blick auf eine andere „schlaue“ Idee für den Arbeitsmarkt erkennen: Langzeitarbeitslose sollen zu monatelanger unbezahlter Arbeit gezwungen werden. Andernfalls riskieren sie, ihre Ansprüche zu verlieren. Dadurch wird der Mindestlohn für diese Gruppe auf das Niveau ihrer Arbeitslosenhilfe und somit unter den Mindestlohn gedrückt. „Minijobs“ sollen das Gleiche für eine wesentlich größere Gruppe von Lohnabhängigen leisten. Darin besteht ihr einziger Zweck.
Die Wahrheit ist schlicht, dass das Modell „Minijobs“ in Deutschland nicht funktioniert und auch in Großbritannien nicht funktionieren wird. Die aktuelle Krise ist in Deutschland, wie in Großbritannien eine Krise in das Vertrauens in zukünftige (Verkaufs)-Aussichten. Löhne stellen für Unternehmer Kosten dar, sind aber eben auch jene Einkommen, von denen ihre Produkte gekauft werden.
Die Tage der Niedriglohnpolitik sind vorbei, sie hat nicht die versprochenen Ergebnisse geliefert. Nun brauchen die Unternehmer Absatzmärkte und die Lohnabhängigen Jobs, mit denen sie genug verdienen, um ein gutes Leben führen zu können. Die Lösung liegt auf der Hand – und Minijobs gehören nicht dazu.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.