Selbst gemessen an nigerianischen Verhältnissen ist die Stadt Jos, die am Wochenende Schauplatz eines Massakers wurde, ein wenig friedlicher Ort. In einem Land, das an gewalttätigen Konflikten wahrlich nicht arm ist, hat sich die in der zentralen Hochebene gelegene Zinn-Stadt in den vergangenen Jahren durch Gewalttaten und brutale Morde einen traurigen Ruf erworben. Für die Außenwelt wurde sie zum Symbol für eine mutmaßliche Feindschaft zwischen den muslimischen und christlichen Bevölkerungsgruppen Nigerias.
Kosmopolitische Community
Im Jahr 2001, als ich für AFP aus Nigeria berichtete, starben dort Hunderte – einige sprachen von bis zu 2.000 Menschen, die Kämpfen zwischen Muslimen und Christen zum Opfer fielen. Das Gleiche wiederholte sich bei Zusammenstößen im Jahr 2008, im Januar 2010 und am zurückliegenden Wochenende. Viele, die aus der Entfernung darüber berichten, sehen in diesen Gewaltausbrüchen Indizien für die Instabilität eines Staates, der in einen muslimisch dominierten Norden und einen vorwiegend christlichen Süden auseinander zu brechen droht. In Wahrheit ist das Bild komplexer.
In einem Land mit etlichen über tausend Jahre alten Städten, stellt Jos eine relativ junge Siedlung dar. Sie wurde erst 1915 gegründet – 15 Jahre, nachdem die Region unter koloniale Herrschaft gefallen war. Schon damals war die Bevölkerung kosmopolitisch geprägt, denn im frühen 19. Jahrhundert war im Norden eine muslimische Community etabliert worden. Sie konnte allerdings nie wirklich in die bergige Region des Middle Belt vordringen.
Nach Ankunft der britischen Kolonisierer führte die Entdeckung von Zinn-Vorkommen zu einem Zuzug aus dem überwiegend christlichen Süden. Die Arbeitnomaden aus dieser Region gesellten sich zu der hauptsächlich animistischen, indigenen Bevölkerung und den aus dem Norden kommenden Muslimen.
Kultur der Straflosigkeit
Sicher gehört die Religion zu den Dingen, die Menschen in Jos und ganz Nigeria voneinander trennen. Aber sie ist nicht der Hauptgrund für die Orgien der Gewalt. Deren Ursachen liegen hier wie andernorts viel häufiger im Streit um Ressourcen als in religiösem Fanatismus. Die Kämpfe im Norden finden häufig zwischen den halb-nomadischen Viehhirten (die traditionell zumeist muslimischen Glaubens sind) und Viehzüchtern (in der Regel Christen) statt und drehen sich häufig um den immer geringer werdenden Zugang zu Wasserressourcen.
„Auf jeden von denen, die losgehen, um gegen ihre muslimischen oder christlichen Brüder zu kämpfen, kommt ein Vielfaches an Nigerianern, die sie in ihrer Wohnung aufnehmen würden, um sie zu beschützen, wenn es zu Kämpfen kommt“, sagte mir einmal ein Student des Islamischen Rechts bei einem animistischen Fest im Süden. Dass derlei Konflikte in Nigeria tödlich ausgehen, sei nicht darauf zurückzuführen, dass hier die religiösen Animositäten größer wären als anderswo. Was natürlich nicht heißen soll, dass es sie nicht gibt. Schuld ist vielmehr die Regierung, die ihre Truppen nicht frühzeitig genug schickt, um Konflikte bereits im Keim zu ersticken und die Schuldigen nie zur Verantwortung zieht, vor Gericht stellt und ins Gefängnis sperrt. Auch die Vermittlung zwischen den Parteien wird allzu oft anderen überlassen.
Es mag sein, dass in Nigeria entlang der Religionszugehörigkeit eine Linie verläuft, die Menschen voneinander trennt. Der Schlüssel zu einer Lösung hält aber die Politik in den Händen. Sie müsste nicht nur eine gerechte Verteilung, sondern auch Verwaltung der Ressourcen in Angriff nehmen.
Übersetzung: Holger Hutt
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