"Am Dienstag" beginnt Thomas Kolly, der Leiter der Schweizer Verhandlungsdelegation, einen Satz und es scheint, als erinnere er sich an einen fernen Tag in seiner Kindheit. Dabei spricht er von gestern. Aber der Tag-Nacht-Rythmus der Welt da draußen, vor dem Kopenhagener Bella Center, spielt hier keine Rolle. Hier drin zählt der Prozess, ein unendlich komplexer Prozess mit Tausenden von Teilnehmern. Tage und Nächte fließen ineinander. Das offizielle Gipfelprogramm listet auch Veranstaltungen nach Mitternacht auf. Die Welt außerhalb ist höchstens auf Monitoren zu sehen. Demonstranten, Polizei, Verhaftungen in einer europäischen Stadt. Ist das 10 oder 1.000 Kilometer weit weg?
Die Delegationen treffen sich in Bangkok, Barcelona, Bali und Bonn. Es sind immer die gleichen Konferenzzentren, immer die gleichen Leute. Sie sprechen alle die gleiche Sprache: gebrochenes Englisch gespickt mit Abkürzungen. Seit zwei Jahren arbeiten sie nun den BAP ab, den „Bali Action Plan“. Der Prozess verläuft plangemäß. Es war von Anfang an klar, dass er schließlich im Bella Center, in einer Stadt namens Kopenhagen, einen Höhepunkt finden würde. Und so sind sie alle da: Diplomaten und Journalisten, Umweltverbände und Wirtschaftslobbyisten, Weltstars und Wasserträger.
"Wir haben hier das das globale Dorf. Dies ist eine partizipative Demokratie." sagt Jose Romero, der Vizechef der Schweizer Delegation. Und tatsächlich: Hier sind alle Anliegen legitim und a priori gleichberechtigt. Der Bauer in Bolivien zählt soviel wie der Ingenieur in Baden-Württemberg. Im Prinzip jedenfalls. Es ist nicht nur ein globales Dorf, es ist auch eine globale Perspektive.
Bottom-up: Keine Weltformel in Sicht
Diese globale Perspektive bedeutet allerdings nicht, dass in Kopenhagen eine Weltformel gesucht würde, mit der sich die Reduktionsziele der einzelnen Länder ermitteln ließe. Eigentlich wäre das die einfachste und eleganteste Lösung. Basierend auf dem Zwei-Grad-Ziel kann man berechnen, wieviel Kohlendioxid die Menschheit noch emittieren darf. Dieses "Budget" könnte man dann auf die einzelnen Länder gemäß ihrer Bevölkerung verteilen. Der Wissenschaftliche Beirat Globale Umweltveränderungen (WBGU) der Bundesregierung hat im Vorfeld des Gipfels ein solches Modell sogar en detail durchgerechnet. Doch die Verhandlungen folgen nicht einem derartigen "Top-Down" Ansatz, sondern folgen einer "Bottom-Up" Logik.
Im Verhandlungsprozess werden nationale (Selbst-) Verpflichtungen aufeinander abgestimmt und in zähem Ringen aggregiert. Diese Vorgehensweise gilt nicht nur für die Verhandlungen im Weltmaßstab, sondern auch für die EU und selbst innerhalb einzelner Länder, erklärt Till Pistorius, der Leiter des Instituts für Forst- und Umweltpolitik an der Universität Freiburg. So wird beispielsweise die Verhandlungsposition Deutschlands nicht vom Kanzleramt vorgegeben, sondern unter Beteiligung aller betroffenen Ministerien ausgehandelt. "Die große Gefahr dabei ist natürlich, dass man sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigt und damit das übergeordnete Ziel verfehlt", sagt Pistorius. Außerdem kompliziert und verlangsamt der Bottom-Up Ansatz den gesamten Prozess.
Dass dennoch alle internationalen Verhandlungen vom Welthandel bis zum Klimawandel diesem Muster folgen, hat einen einfachen Grund: Souveräne Staaten lassen sich ungern Vorschriften machen. Das beste Beispiel sind hier die USA. Die Supermacht ist allergisch gegen internationale Verpflichtungen und möchte sich auch in Kopenhagen höchstens zu Maßnahmen verpflichten, die national bereits beschlossen sind. Kurz, es geht nicht darum eine einheitliche Lösung für alle zu finden, sondern um maßgeschneiderte Lösungen für jeden einzelnen der 194 Staaten.
Gruppen und Untergruppen – und eine Neuformierung der Entwicklungsländer
Dazu gibt es verschiedene Stellschrauben. Die wichtigsten sind die Reduktionsziele und die Zahlungsverpflichtungen respektive die Unterstützungszahlungen für die einzelnen Länder. Darüber hinaus gibt es Sonderregeln für waldreiche Länder, technische und administrative Unterstützung für Entwicklungsländer und die Möglichkeit für die Industriestaaten, einen Teil der Emissionsreduktionen im Ausland vorzunehmen. Damit der Verhandlungsprozess trotz der vielen Beteiligten und der vielen Elemente dennoch handhabbar bleibt, schließen sich die verschiedenen Länder zu Gruppen zusammen. So gehören die gut 130 Entwicklungsländer einer Gruppe namens G77 an. Und diese besteht wieder aus mehreren Untergruppen: Die kleinen Inselstaaten firmieren bei den Klimaverhandlungen unter dem Akronym AOSIS, die ärmsten Länder der Erde heißen LDCs etc. Auf Seiten der Industriestaaten gibt es derweil zwei große Gruppen: Die EU und die "Umbrella Group" - wie unter einem Regenschirm versammeln sich darin die meisten anderen Industrieländer.
Während der zwei Jahre, die nun bereits auf Grundlage des Bali Action Plans verhandelt wird, waren die Gruppen stabil. Der Gegensatz zwischen Industrie- und Entwicklungsländern hat alle anderen Differenzen überdeckt. Hier in Kopenhagen sei nun aber ein "Neustrukturierungsprozess" zu beobachten, analysiert ein Vertreter der deutschen Delegation. So fordern die Inselstaaten sehr viel strengere Klimaziele als die großen Schwellenländer, etwa Indien oder China. Dies ist einer der Gründe für die zunehmende Unübersichtlichkeit bei den Verhandlungen. Aber erfahrene Unterhändler schreckt das nicht: "Es ist ein Naturgesetz, dass es am Anfang der zweiten Woche so aussieht, als fiele alles auseinander", sagt der Schweizer Kolly. "Am Ende kommt aber dennoch immer etwas heraus.“
In Kopenhagen ist dies allerdings noch lange nicht sicher. Noch ist nicht klar, wie die verschiedenen Puzzlestücke zusammengefügt werden können, damit jedes Land einen Anreiz hat, das Gesamtresultat mitzutragen. Noch scheinen die Gegensätze unüberwindlich, und Fortschritte lassen trotz nächtelanger Verhandlungen auf sich warten. "Das Nervenspiel und der Zeitdruck" gehörten aber zu den Verhandlungen, erklärt Norbert Röttgen, der deutsche Umweltminister. "Jetzt wird durchverhandelt", vergattert er seine Leute. "Die EU wird alle ihre Möglichkeiten ausschöpfen, um zu einem Resultat zu kommen", verspricht er. Ob das reicht, wird sich bald zeigen.
Für die Berichterstattung vom Klimagipfel in Kopenhagen kooperiert freitag.de mit www.wir-klimaretter.de
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