Zu Besuch in Allahs Bistro

Syrien Auf einen Kaffee mit Dschihadisten – der amerikanische Luftschlag wurde abgesagt, aber die Koalition der Assad-Gegner bröckelt weiter
Ausgabe 39/2013
Jetzt erst mal ein Pfeifchen: Syrische Rebellen in Aleppo bei der Pause
Jetzt erst mal ein Pfeifchen: Syrische Rebellen in Aleppo bei der Pause

Foto: Hamid Khatib/ Reuters

Als Barack Obama ankündigte, er werde Präsident Assad angreifen, wussten Tausende Dschihadisten in Nordsyrien genau, was sie zu tun hatten: Sie versteckten schwere Waffen, evakuierten ihre Camps und tauchten selbst unter – auf Farmen, in Fabriken und überall, wo man sie aufnahm. „Wir haben unsere Lektion aus dem Irak gelernt“, sagt Abu Ismail, Anführer der Gruppe Islamistischer Staat im Irak und in Syrien (ISIS). „Der Irak-Krieg hat uns zu besseren Kämpfern gemacht.“ Während die nicht-dschihadistischen Rebellen einen US-Angriff herbeigesehnt hatten, sah das für die Gotteskrieger unter den Aufständischen naturgemäß anders aus.

Für sie ist der Feind ihres Feindes nicht notwendigerweise ein Freund. Die Basis der Islamisten ist überzeugt: Wenn die USA in Syrien intervenieren, dann gehören sie selbst zu den Angriffszielen. „Es sind viele unter uns, die im Irak oder in Afghanistan gekämpft haben“, sagt Abu Abid, ein 26-jähriger Saudi und der Adjutant von Abu Ismail. „Uns allen ist klar, dass die Amerikaner die wahren Feinde sind, auch wenn sie sagen, sie wollen das Regime treffen. Wir lassen uns nicht täuschen.“ Wir treffen Abu Abid in einem Bistro östlich von Aleppo, wo er sich mit anderen Dschihadisten zum Tee trifft. „Wir kommen aus allen Ländern, die man sich nur vorstellen kann.“

Kalaschnikow und Hähnchen

In seinem olivgrünen Dischdascha, dem Turban und einem Munitionsgurt aus Kuhleder würde Abu Abid in den meisten anderen Gasthäusern Syriens auffallen. Nicht jedoch hier, wo sich steife Kellner gekonnt zwischen Tischen bewegen, an denen bärtige Ausländer sitzen, die gekommen sind, in ihren eigenen Dschihad zu ziehen – manche tragen schwarze Beinkleider und Roben, andere wogende Gewänder und Kopftücher. Neben Zuckerschalen liegen Kalaschnikows auf den Tischen. Die Ober schieben sie vorsichtig beiseite, wenn sie Teller mit gegrilltem Hähnchen servieren. „Wir können dich mit nach draußen nehmen und dir zeigen, wie man damit umgeht“, scherzt ein ungeschlachter Libyer, der mit vier Männern an einem Tisch sitzt und sich kurz umdreht, als eine andere Gruppe ins Restaurant tritt. Auch sie sind von weither gekommen, um gegen das Assad-Regime und nun gegen die USA zu kämpfen.

In einer anderen Ecke des Etablissements sitzen Männer der Freien Syrischen Armee (FSA) und genehmigen sich ein spätes Mittagessen. Sie unterhalten sich darüber, welche Ziele die USA wohl angreifen würden, wenn sie angreifen wollten. Das Unbehagen der Islamisten bereitet ihnen Freude. „Mir ist es egal, wenn die Amerikaner sie ebenfalls im Visier haben“, sagt einer der Männer, dessen Einheit schon mehrfach mit Dschihadisten zusammen gekämpft hat. „Es würde mir sogar gefallen. Sie brauchen jemand, vor dem sie Angst haben.“ Der Tisch bricht in Lachen aus, bevor sich die Männer wieder beruhigen.

In seinem Laden sei so viel los wie noch nie seit dem Ausbruch des Bürgerkrieges, meint der Besitzer des Bistros. „Die Kämpfer des Dschihad sind immer höflich und geben stets Trinkgeld. Nur die Wasserpfeifen, die von den Einheimischen geraucht werden, dulden sie nicht in ihrer Nähe.“ Draußen wimmelt es auf dem kürzlich noch völlig verwaisten Parkplatz nur so von Fahrzeugen. Die Autobahn – sonst so leer wie die Landebahn eines Flughafens – wird zur Passage für ramponierte LKW und Motorräder. Letztere sind das bevorzugte Fortbewegungsmittel für Dschihadisten. Man reist zu zweit, die Maschinenpistole auf den Rücken geschnallt. Die Piste führt an einer zerschossenen Betonfabrik vorbei in die Stadt al-Bab, 40 Kilometer nordöstlich von Aleppo und eine Hochburg der Opposition. Die schwarze Al-Qaida-Flagge, die von den ISIS-Leuten übernommen wurde, ist hier öfter zu sehen als die goldumrandete der Al-Nusra-Front oder der Freien Syrischen Armee.

Für die USA sind wir Dämonen

„Uns gefällt das nicht“, sagt Abu Nashat und zeigt auf eine Wand der örtlichen Schule, die weiß gestrichen und dann mit zwei großen Al-Qaida-Symbolen versehen wurde. „Aber wer wird sich wegen ein bisschen Farbe mit denen anlegen? Wir kämpfen gegen das Regime, und da eröffnet man nicht leichtfertig eine zweite Front, die es woanders schon gibt.“ Hinter einem Tor aus Stacheldraht befand sich die Kommandozentrale des ISIS in al-Bab, bis sie wegen der erwarteten US-Luftschläge verlegt wurde. Zwei Jungen stehen Wache, ihre Köpfe in Tücher gewickelt und die Hosen nach Art der Männer, denen sie nacheifern, an den Knöcheln abgeschnitten.

Die Kämpfer der Gruppe Islamistischer Staat im Irak und in Syrien (ISIS) sind nicht verlegen, wenn es darum geht, ihre Absichten kundzutun, weder hier noch anderswo in Nordsyrien. Ihr Dschihad droht den eigentlichen Grund für den Bürgerkrieg in den Hintergrund zu drängen. „Sie halten jeden, der nicht so denkt wie sie, für einen Ungläubigen, der bestraft werden muss“, sagt ein Kämpfer der Liwa-al-Tawheed-Brigade, einer nicht-dschihadistischen Miliz. „Sie konnten im Irak vielleicht lernen, wie man gegen die Amerikaner kämpft, aber das reicht nicht.“ Sie hätten vergessen, dass es im Nachbarland mit der Sahawa eine Erweckungsbewegung gab, die ab 2007 Al-Qaida-Gruppen aus der Anbar-Provinz und anderen Gegenden vertrieben hat.

„Das Gleiche brauchen wir hier“, sagt der Mann von Liwa al-Tawheed. „Sie wollen die Revolution kidnappen. Vielleicht haben sie es bereits getan. Aber glauben Sie nicht, die schwarzen Fahnen überall bedeuten, dass die Einheimischen Al-Qaida unterstützen. Wir haben nur im Moment keinen Nerv, uns auch noch mit ihnen anzulegen. Mit wessen Hilfe könnten wir denn rechnen? Mit der Amerikas? Oder Europas?“

ISIS-Anführer Abu Ismail hat vor einer syrischen Erweckungsbewegung keine Furcht. „Viele von uns sind Iraker, aber wir können hier mit den Syrern umgehen. Lässt sich ein Emir etwas zu Schulden kommen, wird er nach der Scharia bestraft wie alle anderen. Es gibt nicht ein Gesetz für uns und ein Gesetz für das Volk.“

Als der Guardian im letzten November mit Abu Ismail sprach, war er gerade erst zum ISIS gestoßen. Mittlerweile ist er zum Emir aufgestiegen und meint, ein regionaler Dschihad, dem es um ein Kalifat im erodierenden Nationalstaat Syrien gehe, erhalte immer mehr Zulauf. „Wer diesen Teil Syriens kontrolliert, beherrscht den Nahen Osten. Sicher ist der Kampf hier schwieriger als im Irak. Wir haben es mit dem Regime zu tun, mit der Hisbollah, der libanesischen Armee, schiitischen Söldnern aus dem Iran, jetzt auch noch mit den Amerikanern, aber wir wissen, wie ihre Luftwaffe zu besiegen ist. Wir wissen, wie wir uns bewegen müssen und vor ihnen verstecken können. Der geplante Angriff auf Assad war in Wahrheit ein Vorwand, um uns anzugreifen.“

Ein Kämpfer der Liwa-al-Tawheed-Brigade sieht das anders. „Ob die Welt weiß, dass wir alle verlieren, wenn einer dieser beiden – Assad oder Al-Qaida – gewinnt?“ Er blickt in seine Hände, atmet tief ein und fragt: „Denken Sie, auch wir sollten unsere Häuser evakuieren? Man hört viel von Drohnen. Vielleicht wissen die Amerikaner wirklich nicht, wer ihre Freunde sind. Für sie sind wir alle gleich. Leute, die man dämonisiert und ignoriert.“

Martin Chulov schrieb zuletzt über einen Grenzübergang zum Libanon

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Geschrieben von

Martin Chulov | The Guardian

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