Auf den ersten Blick wirkt der Anschlag wie eine brutale Vergeltungsmaßnahme für die erfolgreichen Militäroperationen kenianischer Soldaten im Süden Somalias. Kenia hatte sich mit 4.000 Militärs an der 18.000 Mann starken und unter Führung der Afrikanischen Union stehenden UN-Blauhelm-Mission AMISOM beteiligt. Dass es dieses Rachemotiv gibt, legt zumindest eine Stellungnahme nahe. Darin droht al-Schabaab mit weiteren Aktionen, sollten sich die „kenianischen Eindringlinge“ nicht zurückziehen.
Westgate lässt sich aber auch als Tat nach der furchtbaren Absichtserklärung von Al-Schabaab-Führer Ahmed Abdi Godane erklären. Godane hatte im Juni seine Macht bei einem internen Putsch konsolidiert, in dessen Zuge er vier Kommandeure der Gruppe hinrichten ließ. Zu diesen zählten auch zwei Schabbat-Mitbegründer, die unter den Namen al-Afghani und al-Burhan bekannt waren. Scheich Hassan Dahir Aweys, der spirituelle Anführer der al-Schabaab, versuchte, sein Leben durch Flucht zu retten und wurde dabei von somalischen Regierungstruppen festgenommen.
Ausgefochten sind diese internen Konflikte keineswegs. Anfang September erschossen Verbündete Godanes den im US-Staat Alabama geborenen Al-Schabaab-Befehlshaber Omar Hammami, auch bekannt als Abu Mansoor al-Amriki oder „der Amerikaner“, und einen als Osama al-Britani bekannten britischen Staatsangehörigen in deren Versteck. Hammami, den die US-Regierung auf einer Liste der meist gesuchten Terroristen führt, hatte Godane zuvor vorgeworfen, sich wie ein Diktator aufzuführen.
Aus Mogadischu vertrieben
Godane, bekannt auch unter dem Namen Mukhtar Abu Zubair, stand 2011 hinter der Entscheidung der al-Schabaab, sich al-Qaida anzuschließen und deren Ausrichtung auf den weltweiten Dschihad zu übernehmen. Auch die Bombenanschläge, bei denen 2012 in Kampala 74 Menschen ums Leben kamen, wurden angeblich von Godane angeordnet – als Protest gegen die ugandische Amisom-Beteiligung. 2011 veröffentlichte Godane ein dschihadistisches Video mit dem Titel „Zu Ihren Diensten, Osama“. Darin gelobt er, „die Kriege werden nicht enden, ehe die Scharia in allen Kontinenten der Welt eingeführt wurde“. Schon vor Westgate zählte Godane, auf den ein Kopfgeld von 7.000 Dollar ausgesetzt ist, zu den meist gesuchten Terroristen der Welt.
Scheich Aweys hingegen gilt als somalischer islamistischer Nationalist. Er ist gegen jede Art ausländischer Intervention, egal ob dschihadistisch, westlich oder afrikanisch. Mit seiner Niederlage haben die Hardliner die Oberhand innerhalb der al-Schabaab gewonnen. Man werde „zeigen wollen, dass es sich bei der al-Schabaab weiterhin um eine geschlossene Kraft handelt. Ich fürchte daher, dass es zu einer Konflikt-Eskalation und einer Zunahme der Bombenanschläge kommt“, prognostizierte der in Kenia ansässige somalische Analyst Raschid Abdi nach dem Putsch im Juni gegenüber der BBC.
Auch an einer Reihe anderer Fronten steht die al-Schabaab unter Druck. Vor zwei Jahren wurde sie aus Mogadischu vertrieben. Nun sieht sie sich einer Kampagne gegenüber, deren Ziel die Rückeroberung wichtiger Städte im Innern Somalias ist. Vor einer Woche wurde die zentralsomalische Stadt Mahadeey mit AMISOM-Unterstützung von somalischen Truppen überrannt. Die al-Schabaab kontrolliert zwar noch einen Großteil Südsomalias, dennoch bedeutet der Gebietsverlust auch einen Verlust von Einnahmen und Einfluss. Derweil haben 150 führende Geistliche eine von der Regierung gestützte Fatwa unterzeichnet, derzufolge die al-Schabaab unter Godane vom wahren Pfad des Islam abgekommen sei.
Initiative der EU
Godane und seiner Hardliner-Kollegen haben sich offenbar entschlossen, den Kampf über die Grenzen Somalias hinauszutragen. Dies wirkt wie ein Versuch, angesichts der jüngsten Rückschläge und Unstimmigkeiten wieder die Initiative zu ergreifen. Zudem halten gelegentliche Bombenanschläge die Regierung in Mogadischu in der Defensive. Durch die Entscheidung der Organisation "Ärzte ohne Grenzen", sich wegen der schlechter werdenden Sicherheitslage aus Somalia zurückzuziehen, dürften sie sich auf perverse Weise in ihrer Taktik bestätigt sehen. Ebenso freuen werden Godane die negativen Folgen des Entschlusses der Barcleys Bank, Konten zu schließen, über die Auslandsüberweisungen nach Somalia durchgeführt werden konnten.
Dass sich die EU nach dem bis ins Jahr 1991 zurückreichendem Versagen der internationalen Gemeinschaft nun bemüht, einer Schlichtung Priorität einzuräumen, ist daher zu begrüßen. Bei einer Konferenz in Brüssel wurden vor einer Woche Hilfsgelder von 2,4 Milliarden Dollar beschlossen, die über einen Zeitraum von drei Jahren ausgezahlt werden sollen. Dazu hat Großbritannien ein eigenes Hilfspaket in Höhe von 50 Millionen Pfund versprochen. All dies nutzt erst dann etwas, wenn es denn in die Tat umgesetzt wird. Die Gräueltat von Westgate deutet indes auch darauf hin, dass die Radikalisierung der al-Schabaab unter ihrer neuen Hardliner-Führung den Vorstoß in Richtung einer Normalisierung in Somalia zur größten Herausforderung machen wird.
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