David Byrne Der legendäre Sänger der Talking Heads hat seine künstlerische Arbeit ausgeweitet - von Kunst-Installationen bis zu einem Reisebuch. In Vorstädten fühlt er sich unwohl
„I'm checking it out – I got it figured out“, sang David Byrne in dem Talking-Heads-Song Cities. „There's good points and bad points – but it all works out.“ Die zurückhaltendste Beschreibung einer Stadt, die man sich nur vorstellen kann, aber im Jahr 1979 sang David Byrne diese Zeilen mit der staunenden Intensität eines Mannes, den nichts mehr zu erschrecken vermag als die Konfrontation mit dem Normalen. Dreißig Jahre später ist dieser manische Zug einem freundlichen Lächeln gewichen. Doch die Zeilen passen nun wieder gut zu dem neuesten Projekt des mittlerweile weißhaarigen Musikers: Rad-Tagebücher – eine Reihe von Berichten über seine Erfahrungen bei Reisen in verschiedene Städte rund um den Globus.
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en Globus.Der Titel ist ernst gemeint. Während der 57-Jährige während der vergangenen Jahrzehnte einen Großteil seiner Zeit damit verbracht hat, zunächst mit den Talking Heads und dann als Solist um die Welt zu touren, gab es zwei Dinge, die ihn auf seinen Reisen stets begleitet haben: ein Tagebuch, das er nicht streng, aber doch regelmäßig führte, und ein Klapprad. Das erste Kapitel beginnt damit, wie Byrne ziellos um die Niagara-Fälle in Buffalo herumradelt und seine sporadischen Gedanken zu mangelhafter Stadtplanung und dem Leben des Lokalhelden und Kodak-Gründers George Eastman zum Besten gibt. Weiter hinten nimmt er sich dann Detroit vor und beschreibt es als abschreckendes Beispiel dafür, was ein ungesundes Vertrauen auf Öl mit einer durchschnittlichen amerikanischen Stadt anrichten kann.„Meine Reisen führen mich meist in Städte. In dem Buch geht es nicht um Radtouren durch den Lake District oder durch Utah“, sagt Byrne an einem phantastisch sonnigen Nachmittag in einem ruhigen Café in der belgischen Stadt Gent. Selbstverständlich hat er sein Rad dabei. Er will später zum anderen Ende der Stadt fahren, um sich eine Ausstellung in einer umgebauten ehemaligen Nervenheilanstalt anzusehen. „In gewisser Weise“, sagt er über das Buch, „geht es um die Oberfläche, die sich uns in Städten präsentiert, und ich grabe noch ein wenig tiefer .“Liebesbeziehung RadfahrenDie Rad-Tagebücher haben viel mit Haruki Murakamis Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede gemein. Es verfügt über eine gewisse meditative Qualität, wenn Byrne un- und unterbewusste Gedanken beim Radfahren durch Berlin oder New York an die Oberfläche seines Bewusstseins dringen lässt und über sie reflektiert. Das Buch zeugt von einer Liebesbeziehung zum Radfahren, die dem Lobgesang Murakamis auf die Vorzüge des Langstreckenlaufs sehr ähneln. Gelegentlich finden sich Sätze, in denen er erklärt, dass New Orleans (vor Hurrikan Katrina) großartig zum Radeln geeignet gewesen sei, „weil die Stadt sehr flach ist, was es leicht für die Knie macht“ oder dass Berlin ein „zivilisierter, angenehmer und aufgeklärter Ort zum Radfahren“ sei.Aber Byrne hat viel mehr über die Welt im Großen zu sagen als über das Radfahren. Die Zweiradeskapaden dienen dem manchmal etwas onkelhaft Schreibenden aber lediglich als roter Faden, an dem er sich orientiert, um sodann sehr kühn von der Diskussion verschiedener Schönheitsbegriffe zum Leben des sexuell gewalttätigen Siebziger-Jahre-Künstlers Otto Mühl zu springen. Wo er kühn ist, fühlt sich Byrne am wohlsten.Seine Karriere weist alle Charakteristika eines Künstlers auf, der entschlossen ist, stets ins Unbekannte aufzubrechen. Seitdem er 1974 die wegweisende New-Wave-Band Talking Heads gründete, hat er als Choreograph fürs Ballett und als Filmregisseur gearbeitet, das Weltmusik-Label Luaka Bop gegründet, mit seinem 1984er Konzeptfilm Stop Making Sense einen Meilenstein der Konzeptkunst gesetzt, mit zahlreichen Bands zusammengearbeitet, zuletzt mit der Avantgarde-Rock-Gruppe Dirty Projectors die ausgezeichnete Wohltätigkeits-Single Knotty Pine geschrieben, und last but not least hat er eine Reihe von Fahrradständern entworfen, die über seine Heimatstadt New York verteilt sind.Balken und RohreByrnes jüngstes Projekt ist die Variation über ein Thema. Er ist in London um Playing the Building zu spielen, eine Klanginstallation, bei der das Campen Roundhouse in ein Instrument verwandelt wird, das zu spielen die Zuschauer animiert werden. Die Idee kam ihm zum ersten Mal als er von der Stockholmer Färgfabriken Gallerie eingeladen wurde, irgendeine Ausstellung zu machen. „Ich hatte mir den Ort angesehen. Alles war voll mit offenen Balken und Rohren, also nicht gerade geeignet dafür, Bilder aufzuhängen. Da habe ich mir gedacht, es wäre doch besser, die Aufmerksamkeit auf das zu lenken, was bereits vorhanden ist, anstatt sie davon auf etwas anderes abzulenken. Wie wäre es denn, wenn man einzelne Teile mit mechanischen Vorrichtungen versehen und die Leute dazu einladen würde, darauf zu spielen?“Das Roundhouse erregt seine Aufmerksamkeit, weil es über eine große Dachluke verfügt, durch die jede Menge Tageslicht eindringen kann. Das war vonnöten, als das Gebäude in viktorianischen Zeiten als Werkstatt zur Reparatur von Dampflokomotiven genutzt wurde. Viele werden den Raum bei Byrnes Do-it-yourself-Konzert zum ersten Mal zu sehen bekommen. „Es handelt sich nicht wirklich um ein Konzert oder eine Performance, die sich die Leute ansehen könnten, sie müssen selbst etwas machen und sich beteiligen. Wenn sie nichts machen, werden sie nichts zu hören kriegen.“Byrnes Drang, sich weiterzuentwicklen ist ein Grund dafür, warum er immer wieder ausschließt, dass die Talking Heads sich wieder zusammentun könnten. Vor kurzem sagte er in einem Interview, er brauche das Geld nicht dringend genug. Als ich ihn nun abermals frage, ob er denn jemals wieder, vielleicht, bitte bitte in Erwägung ziehen könne, eine der größten Bands überhaupt wieder zusammenzubringen, antwortet er aber ohne jegliche Gereiztheit (es gibt Gerüchte, er und Talking-Heads-Bassistin Tina Weymouth hätten sich zerstritten): „Ich neige dem Gedanken zu, dass Hörer eines bestimmten Alters sich eine Wiedervereinigung wünschen, um einen Augenblick ihrer Jugend zurückzuholen. Sie hoffen, wir können ihnen dabei helfen, das mit neuem Leben zu erfüllen, was sie damals gedacht und gefühlt haben. Ich aber denke, das ist nicht unsere Aufgabe.“Nicht besonders fröhlichÜber die Frage, ob er die Gründungsjahre der Talking Heads als eine glückliche Zeit in Erinnerung habe, zeigt er sich überrascht. „Eigentlich nicht. Es ging mir nicht schlecht, besonders glücklich war ich aber auch nicht gerade. Ich war getrieben und besessen und sozial isoliert, was sich insofern bezahlt machte, als ich oft zuhause war, Songs schrieb und an Aufnahmen arbeitete. Aber besonders fröhlich hat mich das nicht gemacht.“Auch wenn ihm die Lebensfreude in seinen frühen Zwanzigern abgegangen sein mag, hat er zur Musik der Talking Heads aus dieser Zeit kein ambivalentes Verhältnis. Die meisten der Stücke, die er geschrieben hat, spielt er heute noch gelegentlich. Vor kurzem hat er die Zusammenarbeit mit Brian Eno wieder aufleben lassen, der die drei Alben produziert hat, die gemeinhin als die drei besten der Band angesehen werden: More Songs About Buildings, Food, Fear and Music und Remain in Light. Byrne bezeichnet ihn als „Kumpel“ und hat mit ihm zusammen im vergangenen Jahr das vom Gospel beeinflusste Album Everything That Happens Will Happen Today geschrieben – ihre zweite Zusammenarbeit.„Er sagt von sich, er sei kein Musiker, obwohl er wirklich gut spielen kann“, sagt Byrne über Eno. „Aber er spielt als Nicht-Musiker, was ihm erlaubt zurückzutreten und sich nicht in Diskussionen über Fingertechnik oder Akkordfolgen zu verstricken. Er ist in der Lage, das große Ganze zu sehen, dessen Struktur und Textur. Ich kann mir Musik als Textur im Unterschied zu Akkordfolgen vorstellen, was ein ungewöhnlicher Zugang für einen Musiker ist. Aber ich glaube, dass Menschen oft auf diese Weise Musik hören. Das klappt also ganz gut.“Dass eben dieses Album mit einem Song namens Home beginnt, ist bemerkenswert, denn die Vorstellung eines Zuhauses, was es bedeutet, wo es ist und ob es sich dabei um einen Ort handelt, an dem man sich wohl fühlt oder vielmehr um einen Ort der Entfremdung, ist ein Thema, das Byrne von Anfang an verfolgt hat. Sie steht im Zentrum des wohl bekanntesten Talking-Heads-Songs Once in a Lifetime – „And you may tell yourself, this is not my beautiful house! – und es ist das erste Wort, das in ihrem wohl besten Song This Must Be the Place gesungen wird – „Home, it's where I want to be“. Als ich ihn nach diesem Dauerthema frage, lacht er. „Ja, das stimmt. Ich glaube, das ist eine Art, danach zu fragen, wer man ist. Wer bin ich? Gehöre ich hierher? Geht es mir gut hier? Denn ein Zuhause ist nicht nur ein Haus, es ist ein psychologischer Raum, den man sich selbst schafft. Ich denke, das ist alles. Ich denke, dadurch frage ich mich immerzu: Geht es dir jetzt gut?“In geographischer Hinsicht ist Byrnes Zuhause immer noch New York, wo er seit den Siebzigern lebt. Vielleicht beschäftigt ihn die Frage nach dem Zuhause aber auch, weil ihn seine Jugend in Maryland lehrte, die Vorstädte zu hassen. Während Städte ihn inspirieren, verbindet er mit Vorstädten nur Langeweile und Unbehagen. Weiter hinten in seinem Buch kommt er wieder auf das Thema zu sprechen. Im Kapitel über amerikanische Städte vergleicht er die surreale, sonnige Leere der Schlafstadt Valencia, einem Außenbezirk von Los Angeles, mit dem Set einer mittelmäßigen Fernseh-Soap. Er kommt zu dem Schluss, es gebe keinen Unterschied zwischen den Häuserattrappen im Studio und den wirklichen Häusern in Valencia. Die ersteren findet er allerdings spannender: „Ich liebe diese künstlichen Orte. Du bist auf dem Set und es sieht aus, als wärst du wirklich in einem Haus in der Vorstadt. Irgendwie erscheinen mir unsere Wohnungen, Büros und Bars gerade so hohl und künstlich wie die Attrappen. Was wir Zuhause nennen, ist auch nichts anderes als ein Set.“
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