Zurück ins Leben

Hacker-Abstinenz Der Autor darf nicht mehr ins Internet - seit er als einer der Hacker von Anonymous in den USA angeklagt wurde. Ohne Laptop, schreibt er, sei er ein erfüllterer Mensch

Ein paar Augenblicke bevor die Polizei durch die Tür meines Zuhauses auf den Shetlandinseln kam, durfte ich zum letzten Mal ins Internet. Das ist jetzt über ein Jahr her.

In den zurückliegenden zwölf Monaten habe ich mich des Computermissbrauchs im Zeichen der „Internet Feds“, von „Anonymous“ und „LulzSec“ schuldig bekannt

Einer meiner Mitangeklagten und ich sind in den gleichen Punkten auch in den USA angeklagt. Es besteht die Möglichkeit, dass wir dorthin ausgeliefert werden. Sollte ich für schuldig befunden werden, stehen mir möglicherweise mehrere Jahrzehnte Haft in einem US-amerikanischen Gefängnis bevor. Nun bin ich unter Auflagen auf Kaution frei und muss eine elektronische Fußfessel tragen. Außerdem darf ich nicht ins Internet. Ich werde oft gefragt, wie es so ist, ohne Internet zu leben.

Schon komisch, die Menschheit hat sich Jahrtausende lang ohne diese einfache Art der Vernetzung fortentwickelt und angepasst und nun tun wir in unserer modernen Gesellschaft uns schwer, uns eine Existenz ohne vorzustellen. Das Leben ohne ist ruhig, um es mit einem Wort zu sagen.

Nicht mehr aus allem einen Witz machen

Ich lese nun Zeitungen, ohne sie für altertümliche Schriftrollen zu halten, ich betrete echte Geschäfte, um mit echtem Geld echte Produkte zu kaufen, will nicht mehr per Photoshop ein kosmisches, unausprechlich grauenhaftes Wesen in jede soziale Situation hineinmontieren. Nichts muss mit einer Unterzeile versehen werden, ich muss nicht mehr aus allem einen komplizierten Witz machen, um Leute zu beeindrucken, die jede ihrer Emotionen per Tastenkombination darstellen.

Es ist ruhiger, langsamer und manchmal zugegeben auch langweiliger. Die unmittelbare Gemeinschaft des Online-Lebens, die unschuldigen Chatroom-Plaudereien, die Leichtigkeit, mit der sich Gruppen mit ähnlichen Interessen finden lassen, vermisse ich sehr.

Im echten Leben gibt es keine Suchbegriffe – man muss wirklich suchen. Dennoch hat es einen eigentümlichen Reiz, von der digitalen Herde getrennt zu sein. Es ist gar nicht so, dass der Alltag plötzlich so einfach geworden wäre – die Erledigung trivialer Dinge ist, wie Sie sich sicher vorstellen können, eher sehr viel komplizierter geworden - aber ich kann jetzt meine Augen schließen, ohne von aufblitzenden Formen oder von ständig surrenden Geräuschen bombardiert zu werden, wie ich es seit meiner frühen Jugend kenne und was nur von den ständigen Computermarathons kommen konnte.

Ich schlafe nun ruhig und ohne Unterbrechungen. Bücher finde ich jetzt viel interessanter. Die Paranoia ist weg. Dieses Gefühl kann ich nur als die langersehnte Wiederherstellung einer zuvor kaum noch vorhandenen Aufmerksamkeitsspanne beschreiben.
Denn unsere Aufmerksamkeitspanne hat am stärksten gelitten. Unsere Leben werden in kurze, werbeähnliche Kommentare oder „tweets“ gepresst. Der unablässige Strom des Gequatsches zehrt an der Kreativität.

Erfüllter ohne Laptop

Wenn hashtags Reiskörner wären, wissen Sie, wie viele hungernde Familien wir ernähren könnten? Ich auch nicht – ich kann es ja nicht googeln.

Ein Wundermittel oder irgendeine brillante Therapie habe ich nicht parat, ich kann aber voller Überzeugung sagen, dass die lange Trennung vom Internet mich zu einem erfüllteren Menschen gemacht hat. Als eines von vielen Kids, die jeden Tag vor ihren Bildschirmen kleben, hätte ich mir früher noch nicht einmal vorstellen können, so etwas auch nur zu denken.
Früher wäre ein Leben ohne Internet für mich undenkbar gewesen. Heute – das soll jetzt nicht klingen wie eine kindische und vorhersehbare Erkenntnis des kalten Entzugs – gucke ich mir die Transkripte meiner Online-Chats an (die im Rahmen meines Prozesses massenhaft als Beweismaterial erstellt wurden) und frage mich, was die ganze Aufregung eigentlich sollte.

Es steht mir vielleicht nicht an, darüber zu spekulieren, ob die Hacker-Community sich so ernst nehmen sollte oder nicht. Was ich aber sagen kann, ist, dass ich mich darin verfangen habe und darüber vergaß, wie leicht es eigentlich ist, einfach den Laptop zuzuklappen.

Ich hoffe deshalb, dass andere, denen es ähnlich geht, sich vielleicht auch einmal entscheiden, eine kurze Internetpause einzulegen (vielleicht bloß eine Woche) und zu sehen, ob sich bei ihnen ein ähnlicher Effekt einstellt. Es mal zu versuchen kann ja nicht schaden.

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Übersetzung: Zilla Hofman
Geschrieben von

Jake Davis | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

The Guardian

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden