Einer ist 78 Jahre alt und versucht verzweifelt, sein Vermächtnis zu retten. Der andere ist 85 und hat nichts mehr zu verlieren. In den vergangenen Wochen haben Kenias Präsident Mwai Kibaki und sein Vorgänger Daniel Arap Moi im Kampf für bzw. gegen eine historische neue Verfassung eine Energie an den Tag gelegt, die man ihnen in ihrem Alter gar nicht mehr zugetraut hätte.
Heute stimmen über 12 Millionen Kenianer in einem Referendum über die Gesetzesvorschläge ab, deren Annahme eine neue Epoche in der Geschichte des Landes einläuten könnte. Das Referendum wird unter strengen Sicherheitsvorkehrungen abgehalten, um ein Blutvergießen wie bei den von Betrugsvorwürfen überschatteten Parlamentswahlen im Jahr 2007 zu vermeiden, die Kibakis Ruf im In- und Ausland stark beschädigten. Die Erarbeitung einer neuen Verfassung war eine Schlüsselforderung des Friedensabkommens, mit dem der Gewalt schließlich Einhalt geboten werden konnte. Die gegenwärtig geltenden Gesetze datieren zurück auf die Erlangung der Unabhängigkeit und haben es mehreren Staatschefs ermöglicht, unangefochten zu regieren und nach Gutdünken den Staat zu schröpfen. Die zur Abstimmung stehenden Gesetze würden Präsident und Parlament einer stärkeren demokratischen Kontrolle unterwerfen, die politische Macht dezentralisieren, die Grundrechte der Bürger stärken und die Konfiszierung illegal angeeigneten Landes ermöglichen.
„Es ist kein Wundermittel, aber es ist eine enorme Verbesserung dessen, was wir gegenwärtig haben“, sagt der frühere Vorsitzende des kenianischen Nationalausschusses für Menschenrechte, Maina Kiai. „Dies ist ein entscheidender Augenblick für das Land, die Chance für einen Neuanfang.“ Meinungsumfragen zufolge sieht Kibakis „Ja“-Lager einem komfortablen Sieg entgegen. Doch der Wahlkampf war heiß, polarisierend und aufgrund einer Explosion bei einer Veranstaltung der Reformgegner für sechs Menschen sogar tödlich. Er brachte die Mehrheit der Minister der Regierung – viele von ihnen regelmäßige Kirchgänger, einschließlich des gläubigen Christen Kibaki – gegen die religiöse Obrigkeit auf, der ein großer Einfluss auf die Bevölkerung nachgesagt wird. Der Klerus ist der Ansicht, die neue Gesetzgebung sei ein Schritt in Richtung der Legalisierung von Abtreibungen und räume Muslimen Sonderrechte ein.
Kampf der großen alten Männer
Das vielleicht faszinierendste Gerangel trug sich zwischen Kibaki und Moi zu. Die beiden politischen Giganten des unabhängigen Kenia haben in der Vergangenheit beide viel zur Verhinderung von Reformen beigetragen. Der erste große Vorstoß für eine neue Verfassung kam in den späten Achtzigern, als Moi bereits zehn Jahre im Amt war, wurde von diesem aber gewaltsam unterdrückt. 2002 trat er schließlich zurück, nachdem er bei der Bevölkerung in Ungnade gefallen war, weil er viele Millionen Dollar veruntreut hatte. Bei Kibakis Amtseinführung sang die Menge: „Alles ist möglich ohne Moi.“
Er schien es zufrieden, sich im Gegenzug für stillschweigende Straffreiheit wegen Anklage auf Korruption und Menschenrechtsverletzungen aus der Politik herauszuhalten. In den vergangenen Monaten meldete er sich aber trotzig zurück und reiste durch das Land, um Stimmung gegen Kibakis Reformen zu machen. Seiner Meinung nach wurde die neue Verfassung, die von sechs kenianischen und drei weiteren afrikanischen Rechtsexperten erarbeitet wurde, von westlichen Ländern negativ beeinflusst und würde bei Inkrafttreten zu ethnischen Spannungen führen. Seine Kritiker hingegen werfen ihm vor, er sei derjenige, der die ethnischen Gruppen gegeneinander aufbringe, indem er vor allem die Kalenjin, denen er angehört, dazu ermuntere, mit nein zu stimmen. Seine wahren Beweggründe sehen sie in seinem umfangreichen Grundbesitz, dessen Rechtmäßigkeit unter den neuen Gesetzen infrage gestellt werden könnte.
Unterstützt wird Moi bei seiner Nein-Kampagne von seinem ehemalige Protegé William Ruto, dem einflussreichsten Politiker der Kalenjin in der Regierung, dem Menschenrechtsgruppen eine Mitverantwortung für die Gewalt bei den Wahlen des Jahres 2007 vorwerfen. Ruto, der die Vorwürfe zurückweist, behauptet, die Reformen führten zur Legalisierung der Homosexuellen-Ehe, obwohl in dem Text ausdrücklich davon die Rede ist, die Ehe sei nur Personen verschiedenen Geschlechts vorbehalten. Auch die Befürchtungen der Kirche in Bezug auf die Abtreibung halten der Überprüfung durch die Realität nicht stand, da sie ausdrücklich verboten bleibt, solange nicht ein Arzt zu dem Schluss kommt, das Leben der Mutter sei in Gefahr.
Einige der Befürworter trauen den Umfragen nicht. „Es könnte enger werden als mache glauben“, sagt Mutahi Ngunyi, politischer Beobachter in Nairobi. „Das Ganze ist mit heißer Nadel gestrickt und es gibt Befürchtungen, ausländische Interessen seien im Spiel.“
Während Moi erstaunliche Energie an den Tag legt, muss man Kibakis Kampagne mit einer Widerauferstehung von den Toten vergleichen. Als Premierminister Raila Odinga im Juni krank wurde, übernahm der für sein lethargisches Wesen bekannte Präsident die Führung der Ja-Kampagne und hielt plötzlich mehrere Wahlkampfveranstaltungen pro Tag ab. Beobachter sind der Ansicht, ihn habe das Bedürfnis getrieben, seinen Ruf zu korrigieren, bevor er 2012 in Rente geht. In der vergangenen Woche ging er sogar so weit, sich zum ersten Mal seit 2002 öffentlich gegen Moi auszusprechen – dessen Kampagne sei eine „Schande“ und Moi mache sich lächerlich, so Kibaki wörtlich. Moi reagierte, indem er die Menschen daran erinnerte, dass Kibaki es nach seiner Amtsübernahme 2002 nicht geschafft hat, wie versprochen innerhalb von 100 Tagen eine Verfassungsreform auf den Weg zu bringen. Als er 2005 der Öffentlichkeit endlich einen Entwurf vorlegte, war dieser so mangelhaft, dass die Wähler ihn mehrheitlich ablehnten.
Der Streit zwischen den beiden rief die Kommission für nationalen Zusammenhalt und Integration auf den Plan, die Moi zurechtwies, er möge die Präsidentschaft respektieren und beide Männer dazu aufforderte, keine Spannungen anzuheizen. Das Ergebnis des Referendums wird für Freitag erwartet.
Einige der wichtigsten Punkte der neuen Verfassung
Der Präsident kann wegen Amtsvergehen angeklagt werden und ist dem Parlament in viel größerem Maße rechenschaftspflichtig
Das Kabinett soll von 44 auf 14 bis 22 Mitglieder reduziert werden, die zum ersten Mal alle von außerhalb des Parlaments kommen sollen
Abgeordnete können von ihren Wählern wieder abberufen werden, wenn sie zu viele Sitzungen verpassen
Ein Drittel aller Sitze in allen gewählten Körperschaften, einschließlich des Parlaments, muss mit Frauen besetzt werden
Die Macht der Zentralregierung soll mit Regionalregierungen geteilt werden, die im Parlament durch einen Senat repräsentiert sein sollen
Eine erweiterte Bill of Rights soll zusätzliche Bürgerrechte festschreiben
Eine neue Landrechtskommission wird historisches Unrecht und unredliche Erwerbungen neu untersuchen
Das Justizwesen soll einer grundsätzlichen Reform unterzogen werden
Zum ersten Mal soll die doppelte Staatsbürgerschaft erlaubt werden
Alle Staatsangestellten sollen Steuern zahlen, einschließlich der Parlamentarier
Es soll Unter- und Obergrenzen dafür geben, wieviel Land man besitzen darf
Kommentare 2
Es ist schon erstaunlich, dass sich zwei alte Männer überhaupt noch in den Kampf begeben.
Ich hoffe nur, dass diese Verfassung, die, diesem Artikel nach zu urteilen, einen Meilenstein in der Geschichte Kenias bedeuten würde, angenommen wird. Allerdings ist es fraglich, ob darin enthaltene Regelungen wirklich dazu beitragen können, Konflikte künftig zu vermeiden; bergen doch gleich zwei Punkte Konfliktpotentiale.
1. Die Neuregelungen zum Grundbesitz, hier einerseits die erwähnte Landrechtskommission, dort andererseits eine Festlegung von Obergrenzen für Landbesitz, kann gerade bei Nachkommen kolonialer Großgrundbesitzer einen enormen Widerstand hervorrufen. Nicht, dass ich ihren "Besitz" verteidigen möchte, ist er doch benanntes "historisches Unrecht". Insgesamt ist diese Regelung zu begrüßen, da sie hoffentlich eben genau diese widerrechtlichen Erwerbungen mit berücksichtigen wird.
2. Die Herstellung einer dezentralisierten Gewaltenteilung, welche gegenseitige Kontrolle befördert, die sich in einer zweiten Kammer manifestiert, ist immer begrüßenswert. Allerdings könnte von einer Regionalisierung die Gefahr ausgehen, dass sie Forderungen nach größeren Autonomiestatus hervorruft oder regionale Grenzen durch Territorien gezogen werden, was Gebietsstreitigkeiten, Kompetenzgerangel als auch Zerwürfnisse mit der Zentralregierung sowie deren Schwächung zur Folge haben könnte - und das nicht nur auf verbaler und Machtebene.
Letztendlich will ich hier nicht schwarz malen. Wenn die Verfassung angenommen wird, was ich stark hoffe, dann ist dies ein Sieg für die oft beschworene Demokratie als Korrektiv gegen Gewalt und Korruption, zumindest jedoch als Regulativ.
Nicht, dass ich ihren "Besitz" verteidigen möchte, ist er doch benanntes "historisches Unrecht". Insgesamt ist diese Regelung zu begrüßen, da sie hoffentlich eben genau diese widerrechtlichen Erwerbungen mit berücksichtigen wird.
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Zimbabwe? Das wird die alten Maenner nicht interessieren. Einer hat sich massig Staatsland angeeignet.