Zwischen den Fronten

Albert Camus In Algerien spaltet Albert Camus noch immer die Meinungen. Der jüngste Streit folgt Nicolas Sarkozys kontroversen Vorschlag, den Leichnam nach Paris zu bringen

„Was ihnen nicht gefiel“, schrieb Albert Camus in seinem letzten, unvollendeten Roman Der erste Mensch über sein fikitionalisiertes Alter Ego, „das war der Algerier in ihm.“ Fünfzig Jahre nach dem Tod des Nobelpreisträgers hat es nun den Anschein, als sei es der Franzose in dem algerischstämmigen Autor, den die Algerier nicht mögen: den kolonialen Makel.

Während man in Frankreich Anfang des Jahres mit Begeisterung an den 50. Todestag Camus erinnerte, der am 4. Januar 1960 bei einem Autounfall mit seinem Verleger Michel Gallimard nahe der französischen Stadt Sens starb, erwiesen sich die geplanten Feierlichkeiten zu Ehren seines Lebenswerks in Algerien entweder als Flop oder sie riefen Feindseligkeiten hervor, die Algeriens Intellektuelle über das politische Vermächtnis des Autors spalteten, der in seinem Geburtsland in den wenigsten Schulen auf dem Lehrplan steht.

Der jüngste Streit um die Frage, wie des Autors gedacht werden soll, folgt unmittelbar auf Nicolas Sarkozys kontroversen Vorschlag, Camus sterbliche Überreste ins Panthéon umzubetten, wo die Großen der französischen Literatur wie Victor Hugo, Rousseau und Voltaire liegen. Der Vorstoß war sowohl bei der französischen Linken als auch bei Camus Sohn auf Ablehnung gestoßen. Sie sind davon überzeugt, dass der Autor über diese Idee entsetzt gewesen wäre.

Die Ursache der Feindseligkeiten in Camus’ Geburtsland ist weniger sein literarisches Werk, als seine Haltung während des Algerienkriegs. Camus war einer der wenigen, die in diesem Konflikt eine rein humanistische Haltung vertraten, er sorgte sich allein um den Preis, den die Opfer zu bezahlen hatten, und machte sich damit auf beiden Seiten Feinde.

Für seine algerischen Kritiker bleibt der Autor von Der Fall, Die Pest und Der Mensch in der Revolte ein Sympathisant der europäischen Pied-noir-Kolonialisten, der Frankreich unterstützte und die Unabhängigkeit Algeriens ablehnte. Ein Mann, der angesichts der Grausamkeiten des französischen Militärs schwieg. Seine Anhänger hingegen weisen darauf hin, dass Camus nicht müde wurde, von beiden Seiten in diesem „schmutzigen Krieg“ Respekt vor dem Leben der Zivilisten zu fordern, dass er sich für einen Waffenstillstand einsetzte und algerische Gefangene verteidigte, die zum Tod durch die Guillotine verurteilt waren.

Camus lesen?

Während der 50. Todestag des Autors in Frankreich mit einer Reihe von öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen gefeiert wurde, hat er in Algerien eine Debatte darüber augelöst, ob Camus überhaupt noch gelesen werden sollte, sprich, ob er noch „vertretbar“ sei. In einer Petition mit dem Titel „Alerte aux consciences anticolonialiste“ wird angeprangert, Feierlichkeiten zu Camus` Todestag seien ein verdeckter Versuch, den „französisch-algerischen Kolonial-Diskurs zu rehabilitieren“.

Auslöser der Petition war die Ankündigung des Besuchs der „Caravane Camus“ in sieben algerischen Städten gewesen. Die Caravane Camus ist eine Veranstaltungsreihe rund um das Leben Camus’, ein Gemeinschaftsprojekt des Algeriers Sabah M’Rakach und des Franzosen Guillaume Luchelli.

Doch die Petition hat in Algerien nicht nur Befürworter. Zu ihren Gegnern zählt die arabische Zeitung El Khabar, die ihre Initiatoren als „selbstgerechte Typen, die Camus’ Leserschaft verfolgen“ verurteilte. Das Lager der Camus-Gegner ist davon überzeugt, dass er im Wesentlichen ein kolonialistischer Autor war. Doch in Wahrheit war seine Position weitaus komplexer.

Friedliche Koexistenz

Camus war der Ansicht, dass es bei dem Unabhängigkeitskampf weniger darum ging, die Lebensumstände der verarmten Bevölkerung zu verbessern, die er in seinen journalistischen Texten beschrieben hatte. Er sah in ihm vielmehr eine Ausgeburt des Pan-Arabismus des ägyptischen Präsidenten Gamal Abdel Nasser, der die Unterstützung Moskaus genoss. Dagegen wandte er sich, denn er glaubte an eine friedliche Koexistenz zwischen Europäern und Algerien, weshalb er von vielen Algerienfranzosen als Verräter behandelt wurde. Die Anhänger der Unabhängigkeitsbewegung wiederum verziehen ihm nie, dass er einmal über die Bombenattentate in Algier sagte, seine Mutter könne davon betroffen sein, und er ziehe seine Mutter der Gerechtigkeit vor, wenn Gerechtigkeit so aussehe.

Während einige der Ansicht sind, dass die Frage nach Camus Vermächtnis unlösbar mit der Frage nach Frankreichs anhaltenden kulturimperialistischen Bestrebungen verknüpft ist, glauben andere, dass diese Streitfrage nur für eine immer älter werdende Generation von Algeriern ein Thema ist, die sich an den Krieg noch erinnern kann. „Diese Schlacht ist nur für die über 50-Jährigen von Belang“, erklärte etwa der Soziologe Abdenasser Djabi gegenüber der französischen Tageszeitung Le Monde. „Die jungen Leute kennen Camus nicht.“

Doch eben dieser Punkt quält jene algerischen Herausgeber und Autoren, die glauben, dass Camus in Algerien mehr statt weniger Aufmerksamkeit erfahren sollte. Zu Camus’ Unterstützern zählt Sofiane Hadjadj, die zu den Vorständen des Verlagshauses Editions Barzakh in Algier gehört. Hadjadj rief zu einem differenzierteren Verständnis des Autors auf: „Wenn Mohammed Dib, Kateb Yacine und Assia Djebar die Begründer der algerischen Literatur der Ära nach 1962 sind, dann hat Camus denselben Anspruch darauf, Teil unseres kulturellen Erbes zu sein wie St. Augustine. Camus ist für mich ziemlich offensichtlich ein algerischer Autor. Er verstand die Realität und das Elend der algerischen Gesellschaft.“



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Übersetzung: Christine Käppeler
Geschrieben von

Peter Beaumont | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

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