Wir befinden uns mitten auf dem Pazifik. Während ich dies schreibe, schaukeln wir bei sanftem Seegang ein Stück nördlich des Äquators, auf der Hansa Rendsburg, einem 32.000 Tonnen schweren Container-Schiff. Der 175 Meter lange, in China gebaute Frachter besitzt etwas, das ein Angehöriger der Crew reizvoll als „laubabwerfendes“ Triebwerk beschreibt: anscheinend entledigt er sich einzelner Bestandteile. Tahiti, unser letzter Anlaufhafen, liegt 2.000 Seemeilen hinter uns, und vom nächsten Hafen, Ensenada in Mexiko, trennen uns weitere 2.000 Meilen. Viele sprechen davon, endlich einmal „von allem wegzukommen“; ich frage mich, ob es überhaupt möglich ist, noch weiter wegzukommen.
Eine Frachtschiff-Reise ist eine kontemplative Erfahr
ive Erfahrung. Auf hoher See, befreit von den Ablenkungen des Telefons, des Internets und der modernen Welt, die sich schon in den entferntesten Urlaubsorten ausgebreitet hat, kann der Geist wandern. Der mittlere Pazifik bietet dem Auge vermeintlich wenig fürs Auge, aber an Stimuli für die Sinne herrscht kein Mangel. Wir sind der Gnade des Ozeans ausgeliefert, was ebenso demütigend wie beängstigend ist. Wir sind potenziell verwundbar, werden zugleich aber beflügelt von der blauen Schönheit des Meeres und des Himmels: wogende Wolkenlandschaften, farbenprächtige Sonnenuntergänge und mit Sternen übersäte Nächte.Spanferkel-Grillen an DeckIn unserer „Suite“, die verhältnismäßig groß und angenehm ist – wenn man den Maßstab eines Flughafenhotels anlegt – gibt es auch einen Kühlschrank, den wir mit Bier aus dem schiffseigenen Laden gefüllt haben. Da wir 16 Tage auf See verbringen, sorgen wir selbst für Unterhaltung. Ohne Kino an Bord beschränken sich unsere Begegnungen mit Piraten auf die schiffseigene Sammlung von DVDs ungeklärter Herkunft, mit suspekten Titeln der unbekleideten Sorte. Für uns bietet aber das Meer an sich einiges an Unterhaltung. In der Lagune des Great Barrier Reef haben wir Wal-Schulen gesehen, vor Tahiti dahinschwirrende fliegende Fische, Kolonnen von winzigen Sturmvögeln und einen einsamen, majestätischen Albatros, der in der Tasmanischen See elegant um das Schiff kreiste. Für die sportliche Betätigung gibt es auf jedem Schiff irgendeine Art von Fitness-Studio, auch wenn es sich dabei gewöhnlich um die leicht schönfärberische Beschreibung eines Raumes mit Tischtennis-Platte, Hanteln und einem Heimtrainer handelt – im günstigen Fall. Unser derzeitiges Gefährt hat zusätzlich einen Swimmingpool, der mit dem Seegang fröhlich hin und her schwappt. Er hat die Ausmaße einer größeren Jauchegrube und wird direkt mit ungeheiztem Meerwasser gefüllt. Wirklich Spaß bringt das nur in tropischen Gefilden. Dennoch hilft das Schwimmen, die Nahrung zu verbrennen, deren beständige Aufnahme den Tag strukturiert.Gastronomisch gesehen ist jedes Frachtschiff anders. Die Speisekarten reichen von osteuropäischen „Fleisch und Püree“-Kombinationen bis zu philippinischem Backfisch mit scharfen Okraschoten und viel Reis. Wie im Mittelalter ist die Mannschaft auf der Hansa Rendsburg – als ordnungsgemäße Belohnung für die Hälfte der Überfahrt – auf dem Achterdeck zusammengekommen, um ein ganzes Spanferkel zu grillen. Wir Pasagiere sind im Wesentlichen eine willkommene Ablenkung für die Mitglieder der Besatzung, die sich nach einigen Monaten auf See zwar nicht direkt auf die Nerven fallen, aber trotzdem dankbar für frische Gesichter und neue Gesprächsthemen sind. Die 21 Mann starke Crew ist eine Mischung aus Neuseeländern, Ukrainern, Filipinos und Bewohnern der Insel Kiribati. Die Menschen sind ein zentraler Teil der Reise, oft handelt es sich um Leute, die man normalerweise kaum kennenlernen würde. Ein Schiff mit ihnen zu teilen, ist aufschlussreich, unterhaltsam und ab und zu auch eine soziale Herausforderung. Wir haben Lehrgeld gezahlt, um mehr über die russische Zurückhaltung im Gespräch zu erfahren, indem wir in tiefer Stille um den Esstisch saßen. Wir haben mit einer Truppe freundlicher Filipinos Bier getrunken und dabei eine bislang schlummernde Vorliebe für Karaoke entdeckt.Dicke orangefarbene SchutzanzügeEin Urlaub mit dem Frachtschiff liegt sicher nicht jedem, doch die lange Reise auf dem Wasser ist befriedigend. Man entwickelt Respekt für die Crews, die viele Monate lang auf ihren Schiffen verbringen, eine halbe Welt entfernt von ihren Liebsten. Man erhält Gelegenheit, die Mechanik der wahrscheinlich größten Maschinen zu erkunden, die man jemals zu Gesicht bekommen wird, auf der Brücke herumzuhängen und dicke orangefarbene Neopren-Schutzanzüge anzuprobieren, die dazu führen, dass man wie eine Kreuzung zwischen einem Teletubbie und einem Hummer-Fetischisten aussieht. Frachter-Reisen ermöglichen einen faszinierenden Einblick in die Logistik, die hinter einem großen Teil des Welthandels steht – und es ist ernüchternd, mit eigenen Augen die Größenordnung dieser Unternehmungen und die damit verbundenen Herausforderungen zu sehen. Billiger, aus Asien importierter Weihnachtsschmuck erscheint in neuem Licht, wenn man nachvollzieht, wie er uns erreicht hatTragisch ist nur, dass solche Gelegenheiten immer seltener werden und die Kapazität pro Schiff auf wenige Passagiere beschränkt ist. Zudem haben die Orwell-ähnlichen Sicherheits- und Einwanderungsbestimmungen, die in den letzten Jahren von den USA eingeführt wurden, den Schifffahrtsgesellschaften so oft Kopfschmerzen bereitet, dass viele einfach aufgehört haben, Passagiere zu transportieren. Die lange, stolze Tradition der Reise zur See ist in Gefahr ganz zu verschwinden. Verpassen Sie nicht das Schiff.