Zwischen Frieden und Fegefeuer

Vor dem Nahost-Gipfel in Annapolis Israel hatte noch nie einen einfacheren Partner als Mahmud Abbas und tut sich doch so schwer

Man sollte das Treffen von Annapolis nicht jetzt schon klein reden. Trotz aller Prophezeiungen, die ein Scheitern der Konferenz für unausweichlich halten, könnten wir im US-Bundesstaat Maryland doch Zeuge eines wichtigen Beitrags zur Geschichte der israelisch-palästinensischen Verhandlungen werden. Es ist das erste Mal nicht nur klar, sondern kristallklar, wer wirklich auf Frieden hofft und - noch wichtiger - wer den Frieden meidet und fürchtet wie das Fegefeuer.

Israel geht nach Annapolis, als ob es keine andere Wahl hätte und dazu gezwungen würde. Die Hände des Ministerpräsidenten sind gebunden. Sollte Ehud Olmert es wagen, die Kernfragen anzusprechen, von denen jeder weiß, es wären die Themen, über die verhandelt werden muss, wäre sein politisches Schicksal besiegelt. Die Koalitionäre Shas-Partei und Yisrael Beitenu haben bereits angekündigt, in diesem Fall würden sie die Regierung stürzen. Es ist anzunehmen, dass sich Ehud Olmert dieser Gefahr bewusst ist, und daher die ins Auge gefassten ständigen Konsultationen - gedacht war an einen 14-Tage-Rhythmus - mit dem palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas so nie stattfinden werden. Der Shas-Vorsitzende Eli Yishai will sie nicht erlauben, Avigdor Lieberman (Partei Unser Haus Israel) droht und sogar Verteidigungsminister Ehud Barak macht ein saures Gesicht. Ein Israel, das sich weigert, die Kernprobleme zu diskutieren, ist ein Israel, das keinen Frieden will. Anders kann man das nicht verstehen.

Nie gab es weniger Entschuldigungen als diesmal, um Fortschritte zu vermeiden - die Atmosphäre war nie besser. Die Terrorkarte kann nicht wie gewohnt ausgespielt werden, weil der Terror erheblich nachgelassen hat. Qassam-Raketen landen zwar weiter bei Sderot, aber ein kindischer Mordversuch ist kein Grund, dem Friedensprozess auszuweichen. Der Terror von unten wird leider die israelisch-palästinensischen Beziehungen auch in den nächsten Jahren begleiten. Die Israelis müssen lernen, damit umzugehen, und sich vor allem klar machen, dass diese Angriffe nicht aufhören werden, solange es kein Abkommen und kein Ende der Besatzung gibt.

Ohnehin ist fehlende Sicherheit heute für die Palästinenser ein viel größeres Problem. Israel kann nicht über Sicherheit reden, wenn seit 2001 4.267 Palästinenser getötet wurden, darunter 861 Kinder und Jugendliche - im Vergleich zu 467 Israelis, die nach der Menschenrechtsorganisation B´tselem durch Attentate oder während des Libanon-Feldzuges vor einem Jahr ums Leben kamen.

Auch kann die Entschuldigung nicht mehr gelten, es gäbe "keinen Partner" für Verhandlungen. Israel hatte nie einen einfacheren Partner als Mahmud Abbas. Er vertritt zwar kaum mehr als die Hälfte des palästinensischen Volkes, doch Ehud Olmert vertritt noch weniger Israelis. Zweifellos wäre es wirklich besser, wenn das palästinensische Team für Annapolis die Gesandten der Hamas einschließen würde. Aber das ist kein Grund, um es dort nicht miteinander zu versuchen. Wir vernichteten Yasser Arafat als Partner einer israelisch-palästinensischen Verständigung und fühlen eine Zeit näherkommen, in der wir das bedauern. Andererseits kann nun nicht plötzlich die Schwäche seines Nachfolgers als Entschuldigung dafür herhalten, in Stagnation zu verharren.

Die wirkliche Rolle der USA wird sich erst beim Gipfel zeigen. Niemand sonst ist in der Lage, mehr für den Frieden in der Region zu tun als die Bush-Regierung. Setzt die freilich Israel nicht unter Druck, bleibt nur der Eindruck, dass die Amerikaner wieder einmal von ihren selbst gesetzten Zielen abweichen. Annapolis wird dann nichts anderes sein als eine flüchtige Geste. Wir haben es versucht, wird Condoleezza Rice sagen. Und jeder wird denken, es war kein wirklicher Versuch.

Gideon Levy ist Kommentator der israelischen Zeitung Haaretz.

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Geschrieben von

Gideon Levy | The Guardian

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