Zwischen Krise und Krieg

Taiwan Die „Ein-China-Politik“ der USA ist in Wirklichkeit eine „Zwei-China-Politik“. Aber wie weit würde man gehen, um die Insel zu schützen?
Ausgabe 42/2021
Washington verfolgt seit 1979 eine „Ein-China-Politik“, mit der es die Volksrepublik statt Taiwan offiziell anerkennt
Washington verfolgt seit 1979 eine „Ein-China-Politik“, mit der es die Volksrepublik statt Taiwan offiziell anerkennt

Foto: Sam Yeh/AFP/Getty Images

Auch wenn die Annahme, es sei anders, berechtigt erscheint, bleiben doch relevante Gesprächskanäle zwischen Washington und Peking intakt. Vor Tagen erst hat Sicherheitsberater Jake Sullivan in Zürich mehrere Stunden mit seinem chinesischen Pendant Yang Jiechi konferiert. Danach hieß es, Sullivan habe den Wert „offener Kommunikationswege“ betont und Themen angesprochen, bei denen die US-Regierung „Bedenken wegen von China getroffener Maßnahmen“ habe. Es gehe um Xinjiang, Hongkong und natürlich Taiwan, nachdem sich Staatschef Xi Jinping so nachdrücklich für eine Wiedervereinigung ausgesprochen hat. Seither kursieren Mutmaßungen, Peking werde die abtrünnige Insel notfalls mit Gewalt zurückerobern. Durch Xi des Separatismus beschuldigt, lässt Präsidentin Tsai Ing-wen in Taipeh alle diplomatische Vorsicht fahren und erklärt: Man sei nicht separatistisch, sondern souverän.

Das wird Peking kaum beeindrucken, stattdessen Spekulationen nähren über nächste Schritte gegenüber Taiwan. Noch ist nicht absehbar, welche das sein werden. Womöglich im Vorgriff darauf nennt US-Außenminister Antony Blinken das US-Engagement für Taiwan „grundsolide“, was immer das heißen mag. Chinas Aktivitäten, gemeint sind Kampfjets, die in großer Zahl durch den taiwanesischen Luftraum flogen, seien „provokativ und destabilisierend“. Er hoffe, das werde sich nicht wiederholen, zu groß die Gefahr von Missverständnissen, die eine Eskalation nach sich ziehen könnten. General Chiu Kuo-cheng, seit Februar Verteidigungsminister Taiwans, zuvor Generaldirektor des Nationalen Sicherheitsbüros, sekundiert, wenn er „eine so ernste Situation wie seit 40 Jahren nicht mehr“ zu erkennen glaubt.

Derartige Befunde sind geeignet, einen Sonderhaushalt für Verteidigung von mehr als zwölf Milliarden Dollar zu rechtfertigen, bei dem zwei Drittel der Ausgaben für Schiffsabwehrwaffen wie landgestützte Raketensysteme gedacht sind. Für diesen Etat wirbt Chiu vor dem zuständigen Parlamentsausschuss und wiederholt, was seit der Abspaltung Taiwans von Festlandchina 1949 als gängiges Szenario gilt. Wenn etwas passiere, dann in der sensiblen Straße von Taiwan. Gemeint ist die 180 Kilometer breite Meerenge zwischen der chinesischen Provinz Fujian und der Insel Taiwan. Die internationale Schifffahrt findet dort entlang die kürzeste Route, um vom Ostchinesischen Meer im Norden Kurs auf das Südchinesische Meer zu nehmen.

Auch China verzeichnet steigende Militärausgaben, besonders Flugzeuge und amphibische Kriegsschiffe werden modernisiert. Equipment, mit dem die Volksbefreiungsarmee zu Manövern von Luftwaffe und Marine gegenüber Taiwan fähig wäre. Gegenüber dem taiwanesischen Blatt China Times befindet Minister Chiu Kuo-cheng, Peking sei jetzt schon zum Konflikt in der Lage, aber vollständig bereit erst in drei Jahren. „Man gebietet 2025 über die nötigen Kapazitäten. Wer jedoch einen Krieg beginnen will, muss viele Faktoren berücksichtigen.“

Bedingung: friedliche Mittel

Vorrangig das Verhalten der USA. Mitte vergangener Woche hat Joe Biden mit Präsident Xi Jinping telefoniert, der sich bereitgefunden habe, die internationalen Abkommen über Taiwan zu respektieren. „Wir haben klargestellt“, so die Presseerklärung aus dem Weißen Haus, „dass wir nichts anderes tun sollten, als uns an geltende Vereinbarungen zu halten.“ Leider wurde nicht klar, worauf sich das bezog. Washington verfolgt seit 1979 eine „Ein-China-Politik“, mit der es die Volksrepublik statt Taiwan offiziell anerkennt, basierend vor allem auf dem Taiwan Relations Act. Mit dessen Verabschiedung durch den US-Kongress im April 1979 wurde signalisiert, dass die US-Entscheidung, die diplomatischen Beziehungen mit Taiwan abzubrechen, auf der Erwartung basiere, dass dessen Zukunft allein durch friedliche Mittel bestimmt sei. Der Schutz der „Republik China“, so der offizielle Name Taiwans, gegen militärische Übergriffe werde zugesichert. Während der Taiwanstraßen-Krise 1995/96 schickten die USA dann auch gleich zwei Flugzeugträger. Was würden sie angesichts der Spannungen mit China jetzt in Marsch setzen?

Helen Davidson ist Guardian-Korrespondentin in Australien

Julian Borger berichtet für den Guardian aus Washington

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Geschrieben von

Helen Davidson, Julian Borger | The Guardian

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