Das Video über Iyad Ag Ghaly (siehe unten) ist eigenartig: Ein korpulenter Mann mit einem langen Bart inspiziert in der Wüste seine islamistischen Kämpfer. Auf der zwölfminütigen Aufnahme, die Anfang des Jahres entstand, sind Szenen eines Gebets zu sehen, unterbrochen von Bildern des Angriffs auf eine Garnison in Aguelhok und vom Sterben hoffnungslos unterlegener Regierungssoldaten.
Dieser Iyad Ag Ghaly ist heute Tuareg-Führer der islamistischen Organisation Ansar Dine (Verteidiger des Glaubens). Der Mann kann bis Jahresende mit darüber entscheiden, ob es eine gegen ihn und seine Verbündeten – Al-Qaida im Islamischen Maghreb (AQIM) und die Bewegung für die Einheit und den Dschihad in Westafrika (MUJAO) – gerichtete Intervention ausländischer Truppen in Mali gibt. Augenblicklich spricht vieles dafür. Die Staaten der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS haben sich am Wochenende darauf geeinigt, eine 3.300 Mann starke Eingreiftruppe nach Mali zu schicken, vorausgesetzt Anfang Dezember erteilt der UN-Sicherheitsrat das nötige Mandat.
Iyad Ag Ghaly lässt das offenkundig nicht unbeeindruckt. Es soll von seiner Seite ein Verhandlungsangebot geben, das auf eine Verständigung mit der offiziellen malischen Regierung in Bamako zielt, so schwach und hilflos die auch sein mag.
Der Tuareg-Führer hat in den vergangenen Monaten für sein Einflussgebiet eine extreme Form des islamischen Rechts erlaubt, die Steinigungen, Amputationen und die Zerstörung von Heiligtümern vorsieht. Je mehr die Möglichkeit einer von der EU und den USA unterstützten Intervention eines ECOWAS-Korps zur realen Option wird, desto stärker rückt Ag Ghaly in den Blickpunkt. Die Frage lautet: Taugt er zum diplomatischen Emissär? Wird er vielleicht die Seiten wechseln?
Auch wenn Ag Ghaly zuletzt hart daran gearbeitet hat, sich als islamistischer Hardliner neu zu erfinden, gab es eine Zeit, in der er viel mehr für seine Liebe zu Whisky, Musik und Müßiggang bekannt war. In einer der geleakten Depeschen aus der US-Botschaft in Bamako ist sowohl von einem ausgeprägten Eigeninteresse die Rede, als auch davon, wie Ag Ghaly hin und wieder versucht habe, beiden Seiten zu dienen: der Regierung in Bamako und deren fundamentalistischen Herausforderern, um für sich einen maximalen Nutzen daraus zu ziehen.
Buchstabensuppe verschüttet
Bei den unübersichtlichen politischen Verhältnissen in Nordmali und der Sahel-Region stehen sich seit Jahrzehnten rivalisierende Stämme gegenüber. Wie es in einer weiteren Analyse von US-Diplomaten heißt, konnte man den Eindruck gewinnen, es sei auf einem Territorium von der Größe Frankreichs eine „Buchstabensuppe“ aus verschiedenen nationalistischen Gruppen mit verschiedenen Affinitäten zu Al-Qaida-Ablegern verschüttet worden.
Kein Wunder, wenn unter diesen Umständen der Bürgerkrieg in Libyen auf Mali extrem destabilisierend wirkte. Das Land wurde mit Waffen überschwemmt. Dies führte Anfang des Jahres zu einer Rebellion im Norden, die zunächst von der Tuareg-Nationalbewegung für die Befreiung von Azawad (MNLA) angeführt wurde. Ag Ghaly versuchte, eine Führungsrolle zu übernehmen, wurde aber zurückgewiesen. Der Stammesaristokrat reagierte auf die schroffe Abfuhr, indem er Ansar Dine als rivalisierenden Akteur begründete.
Mit dieser neuen Macht im Rücken schmiedete er ein Zweckbündnis mit den Nordmali-Filialen der Organisationen AQIM und MUJAO. Der Konflikt spitzte sich zu, als rivalisierende und vor allem säkulare Tuareg-Fraktionen Ag Ghaly beschuldigten, ihren neuen Staat Azawad mit seinen islamistischen Proklamationen zu untergraben. Er wurde als „Krimineller“ bezeichnet, der einer Theokratie huldige.
Der Politologe Rudolph Atallah vom Thinktank Atlantic Council, der lange Zeit im Norden Malis zugebracht hat, meinte Mitte 2012 vor dem US House Committee on Foreign Affairs, Ag Ghalys Bruch mit anderen Tuareg-Führern und die Gründung von Ansar Dine hätten bewirkt, dass Mali „zu einem Magneten für ausländische Kämpfer wurde. Sie sickern ins Land ein, um sich an hoch entwickelten Waffen ausbilden zu lassen, die aus den Arsenalen Muammar al-Gaddafis stammen“.
Adliger Rebell
Aus der persönlichen Geschichte von Ag Ghaly ist bekannt, dass er in eine Adelsfamilie aus der Stammesgruppe der Ifogha hineingeboren wurde, die aus der Kidal-Region im Norden stammt. Als junger Mann bereiste er Libyen und schloss sich Gaddafis Islamischer Legion an. Dieses Korps sammelte Exilanten aus der Sahel-Zone, die später als Kanonenfutter im Konflikt mit dem Tschad eingesetzt wurden.
1990 kehrte Ag Ghaly nach Mali zurück, um die stets von Neuem aufflackernden Aufstände der Tuareg anzuführen. Gleichzeitig trat er immer wieder als Vermittler zwischen der Regierung und den Rebellen in Erscheinung. In dieser Zeit fand er offenbar Gefallen am fundamentalistischen Salafismus. Nach Recherchen des französischen Magazins L’Express hatte dies etwa damit zu tun, dass Ag Ghaly in Kidal auf pakistanische Anhänger dieser Glaubensrichtung traf und beeindruckt war. Damals arbeitete er häufig als Mittelsmann für islamistische Entführer europäischer Touristen – ein einträgliches Geschäft, bei dem er sich einen Teil des Lösegeldes zu sichern verstand.
Es gelang Ag Ghaly sogar, eine Arbeitsbeziehung mit dem 2002 gewählten malischen Präsidenten Amadou Toumani Touré aufzubauen und diesen zu überreden, ihn als Botschafter ins saudische Riad zu schicken. Es war genau diese Mission, die später dazu führte, dass ihn die säkulare MNLA als Anführer ablehnte, nachdem sie am 6. April 2012 ihren Tuareg-Staat Azawad ausgerufen hatte.
Wenn deine Drohne kommt
Niemand kann mit Gewissheit sagen, inwieweit Ag Ghaly islamistische Überzeugung verinnerlicht hat. Berichte aus Nordmali, die nicht bis ins Letzte verifiziert werden können, sprechen davon, dass er den islamischen Gesetzen eher skeptisch gegenüberstehe. Außerdem gehe ihm das Bargeld aus, so dass Ansar Dine die Leute wegliefen.
Patrick Smith von der Publikation Africa Confidential, der in Paris mit einer MNLA-Delegation gesprochen hat, ist davon überzeugt: „Es gibt den Wunsch, sowohl in Bamako als auch in den ECOWAS-Staaten, ihm die Hände entgegenzustrecken und ein Angebot zu machen. ‚Verbünde dich mit uns und lass uns zusammen ein Abkommen für einen dezentralisierten Norden Malis schließen. Wenn das misslingt, dann bedeutet das Krieg und du landest auf einer Liste von Personen, die mit Al-Qaida in Verbindung stehen, und kannst dich fragen, wann deine Drohne angeflogen kommt‘.“ Ag Ghaly werde diesen Wink verstehen, zumal er kein Fanatiker sei, der unbedingt den „theokratischen Staat“ errichten wolle. „Als er sich um eine Führungsposition in der MNLA bewarb“, sagt Smith, „war davon keine Rede. Iyad Ag Ghaly gilt zu Recht als großer Mann und großer Pragmatiker, der Kompromisse nicht fürchtet.“
John Campbell, der Mali seit Jahren im Auftrag des US Council on Foreign Relations beobachtet, hat Zweifel, ob der Konfliktzone der ganz große Gewaltausbruch droht –, auch wenn der Trommelwirbel suggeriert, eine Intervention stehe unmittelbar bevor. Er hält eine Verhandlungslösung für wahrscheinlicher, zumindest was Ag Ghaly und dessen Anhänger betreffe. „Ich denke, dass der zukunftsweisendste Weg in politischen Gesprächen zu finden ist.“
Allerdings gibt er zu bedenken – sollte Ag Ghaly verhandeln und sich als Gegenleistung für das Zugeständnis einer autonomen Region Nordmali von Al-Qaida lossagen, sei damit noch kein einziger Al-Qaida-Kämpfer aus Algerien, Libyen, Jemen oder dem Sudan entwaffnet, geschweige denn aus Mali abgezogen. Diese Heiligen Krieger könnten Ag Ghaly zum Verräter erklären, der es verdient hat, als Feind behandelt zu werden.
Peter Beaumont ist Afrika-Kolumnist des Guardian
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