Überwachung Kritiker behaupten, Journalisten können nicht entscheiden, was die Sicherheit gefährdet. Doch die Bilanz der Presse ist besser als die von Politik oder den Geheimdiensten
Blick auf den Sitz des britischen Auslandsgeheimdienstes MI6 (Military Intelligence, Abteilung 6) in London
Foto: Dan Kitwood/ AFP/ Getty Images
In den vergangenen Tage haben zwei britische Tageszeitungen – die Times und die Mail – behauptet, der Guardian hätte das Geheimdienst-Material von Edward Snowden nicht veröffentlichen sollen, weil Journalisten nicht beurteilen könnten, was die nationale Sicherheit gefährdet.
Ignorieren Sie bitte für einen Augenblick die irritierende Tatsache, dass Journalisten hier ihren eigenen Wert schmälern. Und vergessen Sie auch kurz einmal die Frage, warum zwei miteinander konkurrierende Zeitungen eine Exklusivberichterstattung des Guardian kritisieren und lassen Sie sich auf die Diskussion ein. Wer sollte in so einem Fall entscheiden?
Die offizielle Antwort lautet, wir sollten einfach den Sicherheitsbehörden selbst vertrauen. Ich habe die vergangenen 35 J
zielle Antwort lautet, wir sollten einfach den Sicherheitsbehörden selbst vertrauen. Ich habe die vergangenen 35 Jahre mit verschiedenen Whistleblowern aus den Reihen dieser Dienste zusammengearbeitet, und sie alle erzählten immer wieder das Gleiche: Sie alle hatten gesehen, wie unter dem Deckmantel der Sicherheitsüberwachung Regeln und Vorschriften in einer Weise gedehnt und gebrochen wurden, die nahelegen, dass man den Behörden eben nicht trauen sollte.Cathy Massiter und Robin Robison, zum Beispiel, haben beschrieben, wie MI5 beziehungsweise das Government Communications Headquarters (GCHQ) politisch motivierte Ziele verfolgten, Friedensaktivisten und Gewerkschafter ausspionierten. Peter Wright erzählte vom MI5, dieser breche in London ein, wo er wolle, während „aufgeblasene Beamte in Whitehall tun, als würden sie es nicht sehen“. David Shayler hat einen ebenso illegalen wie unverantwortlichen Plan von MI5 und MI6 aufgedeckt, al-Qaida-Unterstützer für die Ermordnung Gaddafis anzuwerben."Schnüffler-Charta"All das war ihren Chefs bekannt. Nichts davon hätte geschehen dürfen. Doch die Dienste, in die wir unser Vertrauen setzen sollen, haben die Sache nicht nur verschleiert, sondern hinterher auch ausnahmslos die Whistelblower angegriffen, die darauf aufmerksam gemacht haben.Täten wir besser daran, den Politikern zu vertrauen, die die Dienste beaufsichtigen? Es ist aufschlussreich, vor Snowden zurückzugehen und uns die Ereignisse von vor zwei Jahren noch einmal vor Augen zu führen. Damals versuchte die Regierung, neue Gesetze zu erlassen, die unter dem Namen „Schnüffler-Charta“ bekannt wurden. Wenn die Aufsicht führenden Politiker wirklich so gut informiert sind, wie sie behaupten, hätten sie wissen müssen, dass es sich dabei zum Teil um den zynischen Versuch handelte, schon zuvor in Gebrauch befindliche Überwachungsinstrumente rückwirkend zu legalisieren. Aber von ihnen war nichts zu hören. Und als das Parlament sich unter dem Hinweis weigerte, das Gesetz zu verabschieden, und deutlich darauf hinwies, dass es kein Mandat für diese Instrumente gibt, sagten sie noch immer nichts.Politiker fallen leicht einem politischen Stockholm-Syndrom zum Opfer, geben ihre Rolle als Volksvertreter auf und werden Sprecher der Geheimdienste. Wir haben das in den 1970ern erlebt, als der New Statesman Sicherheitsmängel und Korruption beim GCHQ aufdeckte und sich damit ein Ermittlungsverfahren des Generalstaatsanwalts von der Labour-Partei einhandelte. Dann bei Jack Straw, der in seiner Autobiografie beschreibt, wie MI5 ihn und seine Familie seit seinem 15. Lebensjahr ausspionierten. Dies habe ihn aber „weder überrascht noch schockiert“ – das sei die Welt gewesen, „in der wir lebten“. Und dann nocheinmal in dem unverschämten Satz von Außenminister William Hague, wer nichts zu verbergen habe, habe von den verschiedenen Systemen der massenhaften Überwachung, die Snowden offengelegt hat, auch nichts zu befürchten.Politische VerlegenheitWas ist also schließlich mit Journalisten? Ich würde behaupten, wir können eine bessere Bilanz vorweisen. Auch wenn der Film durch fiktionale Details unnötig verunklart wird, beschreibt die neue Spielberg-Produktion Die fünfte Gewalt die Zusammenarbeit des Guardian mit Wikileaks in Bezug auf den Disput zwischen Journalisten und Assange zuteffend. Die Redakteuere wollten die Dokumente sicherheitshalber redaktionell bearbeiten, Julian Assange sprach sich gegen eine solche Einschränkung aus. Wir haben Dutzende von Geschichten über die größte Enthüllung von geheimem militär- und geheimdienstlichen Material gemacht und für viel politische Verlegenheit gesorgt, dabei aber niemals irgendjemanden gefährdet – weder Einzelpersonen noch die nationale Sicherheit einzelner Staaten.Ich habe im Juni einen Großteil meiner Zeit in einem abgesicherten und stickigen Raum des Guardian verbracht und mit einer Handvoll Kollegen zusammen von Snowden zur Verfügung gestellte GCHQ-Dokumente durchkämmt. Wir taten dies im Wissen, dass es nicht nur einen moralischen Druck gibt, die nationale Sicherheit nicht zu beschützen, sondern auch einen politischen und die Geheimdienste zusammen mit ihren politischen Freunden entschlossen waren, unsere Arbeit mit ihrer Standard-Verleumdung anzugreifen: Wir würden die Feinde des Landes unterstützen. Also waren wir vorsichtig.Mehrmals haben wir Sachverhalte zusammengefasst, Details aber zurückgehalten, konsultierten interne wie externe Berater. Wir sprachen mit der Regierung und baten sie, uns zu zeigen, wo wir eventuell Gefahr liefen, Schaden zu verursachen: Die Regierungsvertreter schnaubten und protestierten, erbrachten aber bis heute nicht einen einzigen Beleg dafür, wo wir etwas veröffentlicht haben, das jemanden gefährdet. Die größte Angst hatte man davor, wir könnten die Namen der Telekommunikationsunternehmen nennen, die dem GCHQ erlaubt haben, die transatlantischen Kabel anzuzapfen – was nichts mit der Bedrohung der nationalen Sicherheit zu tun hat und alles mit dem Schutz der Unternehmen davor, sich vor ihren Kunden verantworten zu müssen.Als ich die Dokumente las, sind mir zwei Dinge aufgefallen. Erstens, dass das GCHQ heute viel sauberer ist als früher und interne Verfahren eingeführt hat, um sicherzustellen, dass es sich gesetzeskonform benimmt. Und das kann mit Sicherheit, zumindest zum Teil, als Verdient jener früheren Whistleblower betrachtet werden. Zweitens, dass es immer noch genügend Grund gibt, sich Sorgen zu machen.IntrigenKritiker der Veröffentlichung von Snowdens Material durch den Guardian beharren darauf, die Macht des GCHQ werde nur dazu verwendet, Terrorismus und andere schwere Verbrechen zu bekämpfen. Aber die Anzeichen für eine schleichende Ausweitung des Einsatzes sind vorhanden, wie ein einfaches Beispiel zeigt: Ist die Migration aus den Ländern südlich der Sahara ein Verbrechen? Das Snowden-Material zeigt, dass sie vom GCHQ ins Visier genommen wird. Vielleicht rechtfertigt man das mit den wirtschaftlichen Interessen Großbritanniens. Vielleicht ist es ein weiterer Fall eines politisch motivierten Projekts.Das bringt mich zurück zur Daily Mail und ihrem abschreckenden Beispiel von der Erfahrung der ehemaligen MI5-Offizierin Massiter. Als sie zum ersten Mal zum Beispiel intern Alarm schlug und unter anderem die Überwachung der Kampagne für nukleare Abrüstung kritisierte, beschieden ihr ihre Chefs (mit einer höflichen Mischung aus Sexismus und Stalinismus), sie sei wohl etwas emotional und müsste wohl dringend einen Psychater des MI5 sprechen, was sie dann auch tat. Als sie dann später an die Öffentlichkeit ging, lancierte ein dem MI5 willfähriger Tory-MP die Verleumdung, sie habe sich wegen psychischer Probleme in psychatrischer Behandlung befunden. Sie werden erraten, welche Zeitung das auf die ersten Seite hob.
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