Den Blues in den Fingern

Hommage James Lee Burke, der große, anständige amerikanische Krimikatholik, wird 80 Jahre alt
Ausgabe 46/2016

Drei Dinge hat Lieutenant Dave Robicheaux von seinem alten Cajun-Vater gelernt, der sich in Louisiana als Fallensteller und Pelzjäger durchschlug: 1. Tue nichts, was du nicht tun willst. 2. Wenn alle es für richtig halten, muss es falsch sein. Und 3.: Die USA hätten nicht den Adler, sondern die Languste zu ihrem Wappentier machen sollen: „Wenn man einen Adler auf ein Eisenbahngleis setzt, und es kommt ein Zug, was wird der Adler tun? Er wird wegfliegen. Aber setz eine Languste auf die Schienen, und was wird sie tun? Sie wird die Scheren aufrichten, um den Zug aufzuhalten.“

Dave Robicheaux ist noch nie einem Kampf aus dem Weg gegangen, so aussichtslos er auch scheinen mochte. Er ist, seit er dem New Orleans Police Departement den Rücken gekehrt hat, Detective in New Iberia, einem kleinen Parish am Bayou Teche, und mit ihm hat James Lee Burke einen der großartigsten Charaktere der Kriminalliteratur geschaffen. Robicheaux kämpft gegen Drogenschmuggler und Waffenhändler, gegen Slumlords und bürokratische Kleingeister, für die Gerechtigkeit und etwas mehr Anstand auf der Welt. Die härtesten Kämpfe trägt er allerdings gegen sich und seine Dämonen aus, wenn ihn die Erinnerungen an den Vietnamkrieg heimsuchen oder das Verlangen nach einem Drink. Seine Sauftouren führen Robicheaux durch die dunkelsten Kaschemmen von New Orleans. Völlig unvorhersehbar ist, wen seine Fäuste beim nächsten Gewaltausbruch treffen werden.

Zärtlichkeit für einen Trinker

Selten hat man für einen Schläger und Trinker mehr Zärtlichkeit empfunden als für diesen Detective, und auch sein Louisiana liebt man eher für seine gefährliche Schönheit. Man verfällt dieser Landschaft der Sümpfe und Bayous mit ihren moosbewachsenen Zypressen, über die Pelikane und Flamingos malerisch hinweggleiten, während unter Wasser Schlangen und Alligatoren träge auf Beute warten. Wo einst Briganten und Sklavenhändler ihr Unwesen trieben, später die Drogenhändler und Waffenschmuggler. Und wo die aus Akadien vertriebenen Franzosen ihre Cajun-Kultur hochhalten und zu Whisky und traurigen Liedern am liebsten Hummer und Steak essen, „Schmutzigen Reis“ oder Poorboy Sandwiches mit Austern und Shrimps.

Der erste Roman mit Dave Robicheaux erschien im amerikanischen Original 1987, auf dem deutschen Markt waren die voluminösen Romane mit ihren satten Plots lange vergriffen. Seit dem vorigen Jahr erscheint die Reihe in ungeordneter Folge im Pendragon Verlag. In diesem Jahr erschienen mit Neonregen und Blut in den Bayous die beiden ersten Bände, in denen Robicheaux nicht nur der Mafia in die Suppe spuckt, sondern auch den Bundesbehörden und Politstrategen in Washington, die im Verbund mit den Drogenbossen den klandestinen Waffenhandel mit Guatemala und den Contras in Nicaragua organisieren.

Der mit Abstand wütendste Roman in der Robicheaux-Reihe ist Sturm über New Orleans, wenn auch nicht der gelungenste. Er spielt während des Hurrikans Katrina und brandmarkt mit heiligem Zorn die Gleichgültigkeit der Regierung als großen Verrat an der Bevölkerung. Mit wuchtiger Rhetorik stellt Burke die imposante Naturgewalt dem Kleingeist der Behörden gegenüber und lässt in den Tagen der Anarchie Plünderer und Kriminelle, Bürgerwehren und geheime Eliteeinheiten um die Hoheit in New Orleans streiten.

Hardboiled-Legende

James Lee Burke, 1936 in Texas geboren, veröffentlichte sein Debüt Half of Paradise, mit dem er als die neue Stimme aus dem Süden gefeiert wurde, mit 19 Jahren. Sein dritter Roman soll über hundertmal abgelehnt worden sein. Seit Mitte der 80er schreibt Burke Kriminalromane. Neonregen (1987) heißt der erste Band der legendären, mehrfach verfilmten Reihe um den Ex-Cop Dave Robicheaux. Die opulent staubtrockenen Thriller mit Sheriff Hackberry Hol land spielen im Grenzland von Texas zu Mexiko. Die Reihe wurde vor über 40 Jahren gestartet.

Kein anderer Krimiautor beschwört die amerikanischen Mythen und die großen Autoren des Südens so kraftvoll wie der Katholik James Lee Burke. William Faulkner und mehr noch Cormac McCarthy sind seine Fixsterne, wenn er die Kämpfe des Lichts gegen die Dunkelheit wie Messen zelebriert. Seine Geschichten sind epische Suchen nach dem Heiligen Gral oder nach Erlösung. Doch das Pathos, zu dem er neigt, wird nie schal, dafür hat Burke viel zu bittere Erfahrungen gemacht, im Schreiben wie im Leben. Am 5. Dezember 1936 in Houston geboren, studierte er Englische Literatur und veröffentlichte seinen ersten Roman Half of Paradise 1965 mit 19 Jahren. Während auch sein zweites Buch wohlwollend aufgenommen wurde, geht die Legende, dass sein dritter Roman The Lost Get-Back Boogie 111-mal abgelehnt wurde. Da trank Burke schon viel, bevor er nach diesen Rückschlägen völlig dem Alkohol verfiel. In diesen harten Jahren arbeitete er mehr oder weniger als Englisch-Lehrer, Journalist oder auf den Bohrinseln im Golf. Als er trocken war, fing er wieder an zu schreiben. Sein Krimidebüt Neonregen schlug ein wie ein Song von Blind Lemon Jefferson. 2009 wurde er von den Mystery Writers of America zum „Grandmaster“ geschlagen. Nun wird James Lee Burke also achtzig Jahre alt und als einer der größten Krimischriftsteller Amerikas verehrt, dessen Helden nicht immer erfolgreich, aber nie vergeblich den Niedergang von Anstand, Mittelklasse und gutem Blues aufzuhalten versuchen.

Melancholie durchzieht die Robicheaux-Romane wie die Sümpfe von Louisiana. Nichts versinkt in diesen Nebeln für ewig in Vergessenheit. Die Kriege nicht und nicht die Toten. Burke erzählt dies in dem Roman In the Electric Mist with Confederate Dead, den Bertrand Tavernier 2009 ganz wundervoll mit Tommy Lee Jones verfilmt hat: Durch die Bayous streift ein Trupp konföderierter Soldaten unter Führung von General John Bell Hood, und aus den Sümpfen steigt die Leiche eines gelynchten Schwarzen wieder auf. Während der Dreharbeiten hatten sich Regisseur, Hauptdarsteller und Produzent so zerstritten, dass sie auch am Set nur noch über ihre Anwälte miteinander sprachen. Im Ergebnis hat es selten einen so klugen, stimmungsvollen Film über Louisiana gegeben wie von diesem französischen Filmemacher ohne jedes Faible für das Genre.

Ganz anders verbindet Burke Geschichte und Räume in seinen Romanen um Sheriff Hackberry Holland. Im Grenzgebiet von Texas zu Mexiko ist die Hitze staubtrocken und alles ist große, offene Weite. Hier ziehen die Menschen in langen Bahnen durch die Geschichte. Über den Outlaw-Trail ritten schon Butch Cassidy und Sundance Kid von Wyoming bis hinunter zur mexikanischen Grenze. Auf dem Chisholm- und dem Goodnight-Loving-Trail waren die Wagenspuren der großen Viehtriebe noch bis in die Siebzigerjahre zu sehen.

Auch die Romane um Hackberry Holland und seinen alteingesessen Clan aus Anwälten und Texas Rangers erscheinen seit vorigem Jahr wieder auf dem deutschen Markt, bei Heyne. Im November kommt Vater und Sohn heraus, der von Hacks Großvater erzählt. Im ersten grandiosen Band der Reihe Regengötter ermittelt Holland den Mord an neun Prostituierten, die in einer verlassenen Kirche im Südwesten von Texas gefunden wurden, mit Bäuchen voller Heroin-Päckchen. Im zweiten Band Glut und Asche versucht Sheriff Holland, einem getürmten FBI-Agenten zu helfen, den CIA und Sicherheitsfirmen, mexikanische Drogenkartelle und Al-Qaida jagen, weil er angeblich Baupläne für die Predator-Drohne in seinen Händen hat. Durch beide Romane streift als Hollands persönliche Nemesis Preacher Jack Collins, ein Auftragsmörder, der sich für die linke Hand Gottes hält. Als Lichtgestalt steht ihm Anton Ling gegenüber, auch La Magdalena genannt, die Heilige. Sie hat in Indochina als Pilotin für die CIA-Fluglinie Air America gearbeitet. Jetzt versorgt sie Flüchtlinge, die es aus Mittelamerika über die Grenze geschafft haben. Man muss in ihrer Figur eine Reverenz an die französische Pilotin, Abenteurerin und Flüchtlingshelferin Yvette Pierpaoli sehen, deren Charme und Tapferkeit auch John Le Carré verfallen war.

Es schmerzt nur der Rücken

Sheriff Holland ist der Traum eines alten amerikanischen Linken: patriotisch, liberal und mit einer mutigen, starken und treuen Kollegin gesegnet, Chief Deputy Pam Tibbs. Holland war Kriegsgefangener in Nordkorea und Bürgerrechtsanwalt für die ACLU, mit seinen siebzig Jahren schmerzt ihn zwar der Rücken, nicht aber die menschliche Unzulänglichkeit. Einwandfrei funktionieren auch noch seine individualistischen Instinkte. „Was Hackberry Holland hingegen Sorge bereitete, war die Neigung seiner Mitmenschen, sich zusammenzuschließen und im Gleichschritt für Gott und Vaterland zu marschieren. Menschen rotteten sich nicht zu Mobs zusammen und zogen durch die Straßen, um Gutes zu tun, und seiner Ansicht nach gab es für ein soziales oder politisches Anliegen keinen verachtenswerteren Makel als allgemeine Zustimmung.“

Info

Vater und Sohn James Lee Burke Daniel Müller (Übers.), 640 S., Heyne 2016, 17,99 €

Blut in den Bayous. Ein Dave-Robicheaux- Krimi, Band 2 James Lee Burke Jürgen Behrens (Übers.), 456 S., Pendragon Verlag 2016, 17 €

*Die Fotos der Beilage

Kamil Sobolewski, geboren 1975 in Gdansk, Polen, studierte Fotografie an der Berliner Ostkreuzschule. Für seine Arbeit „Rattenkönig“ wurde er unter die neun Finalisten im Fotowettbewerb „gute Aussichten – junge deutsche fotografie“ für das Jahr 2015/2016 gewählt. Die Jury schrieb, Sobolewski begebe sich auf eine Reise ins Innere. „Die kleinen schwarzweißen Formate zeigen eine metaphorische Reihung unterschiedlicher Gefühls- und Bewusstseinszustände, in denen es um existenzielle, grundsätzliche Fragen geht. Aus den kraftvollen, existenzialistisch durchhauchten Bildern geht eine Mischung aus Trotz und Resignation, Aggression, Kampf und Zärtlichkeit hervor.“ Mehr Informationen zu Kamil Sobolewskis „Rattenkönig“ (in Englisch, 14,8 × 21 Zentimeter, 64 Seiten, 24 Euro) unter dienacht-magazine.com

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