Sie wussten, was sie taten

Ecuador Texaco hat eine beispiellose Zerstörung hinterlassen. Pablo Fajardo kämpft um Schadensersatz
Ausgabe 13/2018

Das erste Mal war heftig. Die Träume danach, die Unsicherheit auf der Straße. Inzwischen hat Pablo Fajardo den Gedanken akzeptiert, dass seine Gegner ihn umbringen wollen. Aufgeben würde er deswegen nicht. Aber er ist vorsichtiger geworden, seit der ersten Morddrohung. Bustickets zum Beispiel bucht er frühestens drei Stunden vor Abfahrt. „Ich könnte es mir nie verzeihen, wenn wegen mir eine Bombe hochgeht und irgendein Unschuldiger stirbt“, sagt er.

Pablo Fajardo, 45, Familienvater, am liebsten mit dem Fahrrad unterwegs, ist der Mann, der sich mit dem fünftgrößten Ölkonzern der Welt anlegt. Nur dafür hat er Jura studiert und ist Anwalt geworden. Weil sein Vater, ein Kakaobauer, ihm das Studium nicht finanzieren konnte, legten alle Leute aus dem Dorf ihr Geld zusammen. Sie wollten, dass sich endlich etwas ändert. Denn der Boden, auf dem ihre Häuser stehen, ist vergiftet. Das Grundwasser ist mit Erdöl verseucht. Die Krebsraten ihrer Provinz sind die höchsten im Land.

Deshalb kämpft Fajardo für die Betroffenen um eine Entschädigung vom Ölkonzern Texaco, der inzwischen Chevron gehört. Bislang ohne Erfolg. Denn: Es gibt keinen internationalen Gerichtshof, der Unternehmen im Ausland für Menschenrechtsverletzungen haftbar machen kann. Eine Gruppe von Staaten hat zwar unter der Ägide der Vereinten Nationen den Prozess zu einem Abkommen angestoßen, das die Haftung für Unternehmen global regeln soll (der Freitag 47/2017), doch die Verhandlungen gehen nur schleppend voran.

25 Jahre Rechtsstreit

Pablo Fajardo hat die Initiative mitgegründet. Der Ecuadorianer sitzt in einem engen Büro im Norden der Hauptstadt Quito. Auf dem Schreibtisch stapeln sich Gesundheitsberichte, Fachliteratur aus Biologie und Chemie, daneben ein Brief an den Präsidenten der Republik. Alle fünf Minuten klingelt sein Handy. Dann erschallen lautes Hühnergackern und eine alberne Melodie, die Fajardo zum Lachen bringt. Er hat seinen Optimismus bewahrt, obwohl der Rechtsstreit schon 25 Jahre dauert.

Anfang der 1960er Jahre bohrten Ingenieure aus Texas zum ersten Mal im Amazonasgebiet nach Öl. Als sich ihre Firma Texaco 1992 aus Ecuador zurückzog, hinterließ sie die bis dato größte Ölkatastrophe der Welt, das „Tschernobyl Amazoniens“. Studien zufolge waren rund 65 Millionen Liter Rohöl und 70 Milliarden Liter giftige Abwässer im Boden versickert. Die Einheimischen hatte niemand gewarnt, dass das Grundwasser mit Schwermetallen, Benzol und anderen krebserregenden Substanzen belastet sein würde. Ihre Schamanen konnten die neuen Krankheiten nicht heilen. Für die Hautausschläge der Babys, für chronischen Durchfall, wuchernde Tumore kannten sie keine Medizin.

„Das Perverse an der Sache ist, dass Texaco genau wusste, wie sie das Land verschmutzen“, sagt Fajardo und öffnet ein PDF-Dokument auf seinem Laptop: Eine weniger umweltschädliche Technologie zur Ölförderung existierte bereits in den 1960er Jahren – patentiert von Texaco in den USA. Dort kam sie auch zum Einsatz. Aber in Ecuador leiteten die Ingenieure alle Erdölrückstände in ungesicherte Überlaufbecken. So sparten sie Kosten. „Die Welt hat ein System hervorgebracht, in dem Unternehmen nur Rechte haben, aber keine Pflichten“, kritisiert Fajardo. Das Problem ist global: 2012 brach im Süden Pakistans in der Textilfabrik Ali Enterprises ein Feuer aus. 254 Menschen starben, mehr als 50 erlitten schwere Brandwunden. 70 Prozent aller Kleider hier wurden für den deutschen Discounter KiK genäht. Bis heute warten die Familien auf eine langfristige Entschädigung durch den Konzern. Eigentlich sind sie im Recht, Mängel bei den Sicherheitsvorkehrungen belegt. Aber niemand kann KiK dazu zwingen, die eigenen Versprechen einzulösen.

Andersherum ermöglichen Freihandelsabkommen es Unternehmen, Staaten zu verklagen. Das ist jüngst Australien und Uruguay passiert: Der Konzern Philip Morris verklagte die Regierungen, weil sie mit verschärften Tabakgesetzen ihre Bevölkerung vor Lungenkrebs schützen wollen. In Uruguay forderte der Tabakkonzern 25 Millionen Dollar Ausgleich für zukünftige Ertragsverluste. Zwar wurden die Klagen abgewiesen. Für Fajardo aber ist entscheidend: Konzerne haben die Möglichkeit, ausländische Staaten zu verklagen. Bürger können ihre Rechte bei multinationalen Unternehmen nicht einklagen.

Fajardo weiß das, denn er hat es überall versucht: zuerst vor einem New Yorker Gericht. Das verwies ihn an Ecuador. Dessen Oberster Gerichtshof gab den indigenen Klägern in letzter Instanz recht und verurteilte Chevron zu 9,5 Milliarden Dollar Schadensersatz. Doch Fajardos Erfolgsgefühl hielt nicht lange an. Denn der Weltkonzern weigert sich, Verantwortung zu übernehmen. „Eher wird die Hölle gefrieren, als dass wir dieses Urteil anerkennen“, kommentierte einer von Hunderten Chevron-Anwälten. Weil der Konzern alle Unternehmenswerte aus Ecuador abgezogen hatte, versuchte Fajardo es in Argentinien, Brasilien und Kanada. Auch vor den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag und den Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte hat er den Fall schon gebracht.

„Es gibt keine Gerechtigkeit für die Opfer solcher Verbrechen“, sagt Fajardo. Das macht ihn wütend und noch entschlossener, daran etwas zu ändern. Er selbst hat seine beste Freundin Maira und viele Mitstreiter durch Krebs verloren. Solange der Ölmulti seinen Giftmüll nicht entsorgt, leidet die Region weiter unter den Folgen der Erdölproduktion. Um vor dem UNO-Menschenrechtsrat von dem Fall zu berichten, ist Fajardo Anfang März nach Genf geflogen. Ecuador und Südafrika haben 2014 die Arbeitsgruppe zu einem „Binding Treaty“ der Vereinten Nationen angestoßen. Dieses Abkommen soll einen verbindlichen Rechtsrahmen schaffen, mit dem Firmen zur Verantwortung gezogen werden können. Zusätzlich wollen die Initiatoren einen internationalen Gerichtshof für Menschenrechte etablieren. Neben Regierungen arbeiten auch 200 Organisationen aus der Zivilgesellschaft an dem Entwurf mit. Eine davon ist die Union der Betroffenen aus Ecuador, UDAPT, die Fajardo vertritt.

Die USA und andere große Industrienationen wie Russland, China und Deutschland setzen auf freiwillige Unternehmensverantwortung. 2011 haben die Vereinten Nationen ihre Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte verabschiedet. Sie sollen in sogenannten Nationalen Aktionsplänen umgesetzt werden.

Größte Hürde ist die EU

Die Bundesregierung hat im Dezember 2016 einen solchen Aktionsplan vorgelegt. Über zwei Millionen Euro hat die Ausarbeitung gekostet, auch Unternehmen waren beteiligt. Der Gedanke dabei: Sie würden die Leitlinien dann eher umsetzen. Das wird nicht funktionieren, sagen Kritiker.

Die meisten Befürworter eines verbindlichen Abkommens sind Regierungen ärmerer Länder. Es sind ihre Bürger, die am meisten unter fehlender Haftung ausländischer Firmen leiden. Doch der Vertrag wird nur Staaten binden, die ihn ratifizieren. Deshalb ist es Fajardo wichtig, dass ihn am Ende möglichst viele unterschrewiben. Noch sind große Fragen offen: Wozu will man Unternehmen genau verpflichten? Nimmt das Abkommen nur multinationale Konzerne in die Pflicht oder alle Betriebe mit ausländischen Zulieferern? Und, mit Blick auf Chevron: Wie erreicht man, dass in Industrienationen die Gerichtsurteile armer Länder anerkannt und vollstreckt werden?

Pablo Fajardo wird mit den Kollegen aus der Arbeitsgruppe genau diese Fragen diskutieren. Dann werden sie dem UN-Hochkommissar für Menschenrechte einen Entwurf für das Abkommen vorlegen. Die kritische Haltung der EU sieht der Anwalt als größte Hürde für den Prozess. Bis zuletzt hatte die EU die Legitimierung seiner Arbeitsgruppe als solche infrage gestellt. Nur Frankreich nimmt eine Sonderrolle ein: Seit 2017 die „Loi de Vigilance“ eingeführt wurde, müssen französische Konzerne ihrer menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht nachkommen, auch international. „Es kann funktionieren“, sagt Fajardo. Aber Europa müsse endlich sein wahres Gesicht zeigen. „Wenn die EU Menschenrechte nicht aktiv schützen will, dann muss sie das wenigstens offen zugeben“, fordert der Anwalt.

Das Treffen in Genf hat gezeigt: Bis auch europäische Staaten ein verbindliches UN-Abkommen unterstützen, ist es noch ein weiter Weg. Für Fajardo kein Grund, aufzugeben. Er kennt sich aus mit langwierigen Kämpfen.

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