Haustürgeschäft

KEHRSEITE Es klingelte, und dann stand er vor mir und hielt mir seinen Ausweis entgegen, fast in Augenhöhe. Ich überlegte, ob ich erschrecken soll. Dann fiel ...

Es klingelte, und dann stand er vor mir und hielt mir seinen Ausweis entgegen, fast in Augenhöhe. Ich überlegte, ob ich erschrecken soll. Dann fiel mir der Satz von der Unverletzbarkeit der Wohnung ein, ich stellte die Beine etwas weiter auseinander. Der Mann musterte mich mit einer Mischung aus Hundeblick und Fahrkartenkontrolleur, bis er den Mund auftat und mich nach meinem Fernseher fragte. Aha, dachte ich, so einer. Ich grinste und sagte ihm, dass ich keinen hätte.

Scheinbar war er darauf vorbereitet. Er grinste zurück und schüttelte den Kopf. So unmodern sähe ich doch gar nicht aus, das wäre doch kaum zu glauben, dass so einer wie ich keinen Fernseher hätte. Ein Gedanke an die lieben Nachbarn huschte durch meinen Kopf. Ich wiederholte, dass ich wirklich keinen hätte, worauf er mich nach Fernsehsendungen fragte. Ich hatte guten Gewissens keine Ahnung. Er wurde immer verwunderter, und nach einer Weile schien sein dienstliches Interesse in privates umzuschlagen, ein Vorgang, der mich wiederum verwunderte und auf den Menschen neugierig machte. So fragte ich ihn ganz frontal, ob er denn dauernd in die Röhre schaue. Er verneinte. "So?" sagte ich. "Was machen Sie dann mit Ihren Abenden?" Er schwieg einen Augenblick, rang mit sich, dann sagte er das unwahrscheinliche Wort: "Lesen."

Uff, ein Leser? Gibt's die noch? Anscheinend hatte ich meine Augen etwas weit aufgerissen. Er grinste und fragte, was ich denn so mit meinen Abenden täte. Gut, er hatte recht, er durfte so fragen. Er hatte Auskunft gegeben. Ich fühlte mich übertölpelt. Irgendwo in meinem Kopf lispelte es hämisch: Das haste nu davon. Gut, dachte ich, was soll's. Den Mann siehst du ohnehin nie wieder. Ich sagte: "Schreiben." Jetzt riss er die Augen auf. Konsument und Produzent standen sich Aug in Aug gegenüber, eine etwas irrwitzige Angelegenheit für einen so durchschnittlichen Abend.

Und plötzlich war die Situation nur noch privat. Sie endete damit, dass ich ihn zum Kaffee in die Küche einlud. Der Mann war tatsächlich erstaunlich belesen, jeder Germanistikprofessor hätte alt ausgesehen, Fernseher oder Radio interessierten nicht mehr die Bohne. Wir saßen und redeten über Literatur. Am Ende kaufte er mir grinsend ein Buch ab, ich bedankte mich und schaute ihm nach, wie er die Stufen im Treppenhaus nach unten stieg.

Erst zehn Minuten später fiel mir ein, dass das eigentlich gar nicht geht. Der Mann musste ja sein ganzes Leben lang nur gelesen haben, er kannte alles, dazu jede Menge Bücher, von denen ich nicht mal gehört hatte, er kannte die gesamte Literaturgeschichte, soweit ich das beurteilen kann, raste im Gespräch durch Epochen, zerrupfte die Postmoderne, zählte Literaturzeitschriften auf, dass mir schwindlig wurde. Und das alles mit einer Leichtigkeit, als wäre er bei jedem Ding dabei gewesen. Ich saß in der Küche und schüttelte den Kopf: Was war denn das für ein Kontrolleur? Unschlüssig starrte ich auf die beiden leeren Tassen auf dem Tisch, seine und meine, Konsument und Produzent, und endlich fand ich meine Einteilung lächerlich.

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