Endzeitstimmung. Berge von stinkenden und brennenden Kadavern. Dazwischen hilflose Menschen, die daran zu ersticken drohen, aber in ihrer Ausweglosigkeit immer noch mehr Tiere erschlagen. Keine Szene aus einem "splatter-movie". Auch nicht die Marx´sche Vision vom "faulenden und sterbenden Kapitalismus". Einfach nur Tierseuchenbekämpfung im neuen Millennium, das auch gern unter "Zeitalter der Genomforschung und Biotechnologie" firmiert.
Vorbild DDR
An der momentan in Europa um sich greifenden Maul- und Klauenseuche (MKS) erstaunt nicht die Tatsache an sich, sondern die Faktenresistenz, mit der dieses Thema in Politik und Medien sowie zum Teil auch in Fachkreisen diskutiert wird. Eine derartige länderübergreifende Epidemie (Fachleute nennen das Pandemie), mit der wir es jetzt zu tun haben, hat es in Europa das letzte Mal 1951/52 gegeben. Allein dieser Fakt sagt viel über den heutigen Stand der Prophylaxe von Tierseuchen aus.
Bereits im Jahre 1950 wurde im Friedrich-Loeffler-Institut für Tierseuchenforschung auf der Insel Riems das Bekämpfungskonzept der wiederholten und flächendeckenden Pflichtimpfung für Rinder konzipiert. Durch seine damals führende Position in der MKS-Forschung konnte eine entsprechende Impfstoffproduktion auch innerhalb kurzer Zeit realisiert werden. Der Erfolg ließ nicht auf sich warten. Von der obengenannten Pandemie 51/52 blieb die DDR weitgehend verschont. Dieses Beispiel war für viele Länder der Anlass, das Konzept der jährlichen und flächendeckenden Pflichtimpfung ebenfalls einzuführen, und es entwickelte sich schnell zum erfolgreichsten Bekämpfungskonzept in den meisten europäischen Staaten. Allerdings kam es auch unter den Bedingungen der jährlichen MKS-Impfung zu isolierten Ausbrüchen, bei denen häufig Schweinebestände betroffen waren, die keinem Impfschutz unterlagen. Immerhin konnte durch die flächendeckende Pflichtimpfung der Infektionsdruck vermindert werden, sodass in den letzten 50 Jahren eine derartige Pandemie, mit der wir es jetzt zu tun haben, verhindert werden konnte.
1992 wurde die Impfstrategie aus vordergründig ökonomischen Gründen aufgegeben. Zeitgleich wurde auch die staatlich geförderte Forschung auf diesem Gebiet stark eingeschränkt, die MKS-Forschung am traditionsreichen Riemser Institut (weltweit ältestes Virusforschunginstitut, da der MKS-Erreger überhaupt als erstes Virus durch F. Loeffler entdeckt wurde) wurde gänzlich aufgelöst. Begründet wurden diese Maßnahmen mit möglichen Exportbeschränkungen von Tiererzeugnissen nach Übersee.
Impfrisiken
Die Gegner der Impfung wenden in der Regel ein, dass die Antikörperbildung nach der Impfung nicht von derjenigen abgegrenzt werden könne, die nach einer Infektion auftritt. Jedoch verweisen bereits Forschungsergebnisse aus den neunziger Jahren auf entsprechende Tests, die dieses Problem lösen können und von denen bis heute fünf verschiedene existieren sollen (vergl. Arch. Virol 145/1998 und Vaccine 17/1999, 3039-3049). Als weiteres Problem wird von Impfgegnern die hohe Variabilität des MKS-Virus hervorgehoben, durch die eine Impfung angeblich wenig aussichtsreich erscheint. Richtig ist, dass es mehr als 60 Subtypen des MKS-Virus gibt. Die Schutzwirkung ist jedoch nicht generell auf diejenigen Variante(n), die sich im Impfstoff befinden, beschränkt. Das Problem besteht indessen darin, dass der Subtyp-übergreifende Schutz im Hinblick auf die einzelnen Subtypen sehr variabel ist (beispielsweise ist der Unterschied zwischen den A-Subtypen größer als der zwischen den O-Subtypen). Die Kunst der Forschung bestünde also darin, diejenigen Subtypen herauszufinden, die einen übergreifenden Schutz erzeugen und darüber hinaus auch bei potentiellen Seuchenausbrüchen eine Rolle spielen.
Selbst wenn die Schutzwirkung tatsächlich nur auf den Subtyp beschränkt wäre, wie behauptet wird, spricht das nicht generell gegen eine Impfung, da die Seuchenzüge in der Regel nur durch eine Variante verursacht werden und diese nicht von heute auf morgen in Erscheinung treten. Auch für den gegenwärtigen Infektionsausbruch ist nur ein Subtyp verantwortlich, der obendrein schon seit 1996 in den europäischen Randlagen zirkuliert und seit nahezu zwei Monaten in England "wütet". Für eine vorbeugende Impfung hierzulande ist das eine vergleichsweise komfortable Ausgangslage.
Ein weiteres Problem, das im Zusammenhang mit der MKS-Impfung diskutiert werden muss, ist die mögliche Virusträgerschaft nach überstandener MKS-Erkrankung. Dies bedeutet, dass das Abwehrsystem bei einzelnen Tieren die Krankheit erfolgreich bekämpft, ohne dass das Virus gänzlich aus dem Organismus eliminiert wird. Eine Impfung würde die Trägerschaft also nicht verhindern, sondern eher verschleiern, argumentieren die Impfgegner. Entsprechende Experimente haben allerdings gezeigt, dass diese Viren, die sich in der Rachenregion einnisten, nur in seltenen Fällen in der Lage sind, andere Tiere zu infizieren. Nach dem derzeitigen Kenntnisstand geht von diesem äußerst seltenen und nur bei Wiederkäuern beobachteten Phänomen keine Gefahr für die Seuchenverbreitung aus.
Weiterhin wird von Impfgegnern darauf verwiesen, dass in der Vergangenheit isolierte MKS-Ausbrüche in der Umgebung von Forschungs- und Produktionsstätten von Impfstoffen auftraten beziehungsweise durch nicht ausreichend abgetötete MKS-Impfviren hervorgerufen wurden. Dies führte aber schon in den achtziger Jahren zur Verbesserung der Sicherheitsstandards beziehungsweise zur wissenschaftlichen Erarbeitung der Grundlagen für einen Impfstoff, der kein komplettes Virus, sondern nur noch die für die Ausbildung der Immunität notwendigen Virus-Partialstrukturen enthalten soll.
Forschungsstrategische Alternativen
Diese aufgeführten Problemkreise sollten eigentlich eher eine Herausforderung für die MKS-Forschung sein, statt die Begründung liefern für den Rückfall in die höchst zweifelhafte "Steinzeitmethode des Totschlagens". Doch das staatliche Impfverbot hat die MKS-Forschung bei der Entwicklung von geeigneten Impfstoffen eher zurückgeworfen. Forschungen - nicht nur am Riemser Institut, sondern auch europaweit -, die darauf zielten, einen sichereren Impfstoff auf gentechnologischer oder synthetischer Basis zu entwickeln, wurden Anfang der neunziger Jahre abrupt gestoppt. Dabei läge gerade hierin, so der bekannte MKS-Forscher F. Brown vom Plum Island Institute/USA, der selbst mit einem peptidsynthetischen MKS-Impfstoff beachtliche Erfolge vorzuweisen hat, die Lösung der oben genannten Probleme. Brown geht davon aus, dass wir heute über einen sicheren und effizienten synthetischen MKS-Impfstoff verfügen würden, wenn das europäische Impfverbot in den letzten zehn Jahren nicht weltweit die MKS-Forschung gelähmt hätte (zur Kritik der europäischen MKS-Politik vgl. Bonner J: Foot-and-mouth´s resurgence follows premature research halt. http//news.bmn.com/sreport).
Aus Sicht der genannten Fakten kann ich keine Rechtfertigung der "Steinzeitmethode des Totschlagens" als alleinige und dauerhafte Strategie der MKS-Bekämpfung erkennen. Ich meine, der eigentliche Grund für das Impfverbot sind die zunächst hoch erscheinenden Kosten einer staatlich verordneten Impfung im Falle einer Seuchenbedrohung. Diese etatistischen Überlegungen resultieren aus einem kurzfristigen und sehr verengten Kosten-Nutzen-Denken, wenn man bedenkt, dass die Seuche in Großbritannien bereits 30 Milliarden Mark gekostet hat.
Verallgemeinernd betrachtet, ist der MKS-Seuchenzug aber nur ein Fokus der gesellschaftlichen Fehlentwicklung im Geiste eines fundamentalistischen Marktradikalismus. Er offenbart die Grenzen des Globalisierungswahns (Tiertransporte über riesige Entfernungen) und der neoliberalistischen Denk- und Handlungsweise. Gerade letztere unterwirft auch jene Bereiche der Gesellschaft, die im Interesse seiner Bürger eines besonderen Schutzes bedürfen und deshalb zu Recht in öffentlicher Hand waren beziehungsweise durch sie kontrolliert werden (etwa auch die Tierseuchenprophylaxe) einem vordergründigen Profitdenken. Ist es in diesem Zusammenhang ein Zufall, dass England nicht nur Mutterland des Neoliberalismus, sondern auch der Eisenbahnkatastrophen, von BSE und der derzeitigen MKS-Seuche ist?
Thomas Bartels ist Tierarzt und arbeitete von 1987-1991 in der MKS-Forschung am Friedrich-Loeffler-Institut für Tierseuchenforschung auf der Insel Riems. Er ist heute in der Pharma-Forschung tätig.
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