Was einen Schriftsteller so auszeichne, dass sich jemand derartig lange – über 50 Jahre – mit ihm beschäftige, sei Autor Alfred Hübner öfter gefragt worden. Dieser hat nach seiner Dissertation 1975 („Das Weltbild im Drama Paul Zechs“) nun eine fast tausendseitige Biografie des Lyrikers, Dramatikers und Erzählers Paul Zech (1881-1946) vorgelegt.
1918 für seine Lyrik mit dem Kleistpreis ausgezeichnet, blieb Zech, als ein Hauptvertreter des Expressionismus bekannt, schon ab 1930 bleibende Anerkennung versagt. Die 1933 erfolgte Emigration nach Argentinien schnitt ihn dann vom heimatlichen Lesepublikum ab. Doch auch die Öffentlichkeit der Exilschriftsteller bedeutete einen stetigen Kampf um Anerkennung und Veröffentlichungsmöglichkeiten, wie Hübners Recherchen und Aufarbeitungen der umfangreichen Briefwechsel vor Augen führen. Zech teilte das Los vieler Exilschriftsteller, denen nach dem Ende des Nationalsozialismus kein Neuanfang in der Bundesrepublik gelang. Etwas besser verlief seine Rezeption in der DDR, wo er zur Reihe der vom Nationalsozialismus verfolgten Autoren zählte, zumal aufgrund seiner vorübergehenden Sympathien für die Volksfrontpolitik der KPD, der in den 1930er Jahren Schriftsteller nahestanden.
Wenngleich die Liste allein der Buchpublikationen Zechs mehrere Dutzend Titel umfasst und er von namhaften Schriftsteller*innen geschätzt wurde, sind nur „Die Balladen und lasterhaften Lieder des Herrn François Villon“ einem breiten Publikum bekannt. Schon bei deren Erscheinen 1931 hagelte es Kritik daran: Es handele sich hier nicht wirklich um eine Nachdichtung des altfranzösischen Autors. Der vor allem durch Klaus Kinskis Lesung bekannte Vers „Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund“ kommt bei Villon selbst nicht vor, sondern ist eine Schöpfung Zechs. Dieser sehr freie Umgang mit Autorenschaften ist einer der Charakterzüge Zechs, der ihm umgekehrt eine Reihe von Plagiatsaffairen einbrachte.
Der Umgang mit geistigem Eigentum anderer bereitete dem oft unter Pseudonym veröffentlichenden Zech zwar durchaus Kalamitäten. Er blieb dabei aber frei von jeglichem Unrechtsbewusstsein. Seine freien Erfindungen über seine Biografie waren zu Lebzeiten immer wieder aufgefallen und in der Forschung im Grunde bekannt. Im Detail nachvollziehbar werden sie nun durch Hübners akribische Herausarbeitung anhand Zechs umfangreichen Briefwechsels. Wo sich bei Zechs Zeitgenossen und beim Lesenden beträchtlicher Ärger über einen Lügner angestaut hat, bleibt Hübner stets distanziert sachlich.
Flucht ins Exil
Nicht ungewöhnlich für einen Schriftsteller ist, dass er im Laufe seines Lebens Stil, Sujet und literarische Gattung verändert. In ihrem Destruktionswillen gegen den als dekadent empfundenen Wilhelminismus gefielen sich die Expressionisten durchaus in der Rolle als Bürgerschreck. Zech liebte es zeit seines Lebens, sich als Vagabund zu kleiden. In einer Schriftstellergruppe, die sich dem sogenannten Lebenskult, einer auf Nietzsche zurückgehenden Strömung gegen als Erstarrung Empfundenes, verschrieben hatte, distanzierte sich Zech dann von solchen Vertretern, deren Gedanken später der Nationalsozialismus aufgriff. Nach Hübner blieb Zech der sogenannten Lebensphilosophie aber letztlich stets verbunden.
Eines seiner weiteren Leben verbrachte der junge Zech als Bergarbeiter, wenn auch kurz. Seine Sammlung „Das schwarze Revier“ sollte ihn berühmt machen und ihm die Kennzeichnung als Arbeits-Schriftsteller einbringen, der die soziale Not der Zeit literarisch zum Ausdruck bringt. Doch dies ist nur eines seiner vielen Leben.
Mit Beginn des Ersten Weltkriegs meint Zech, von der Zeitkritik zu gern gelesenen „patriotischen Vaterlandsgesängen“ (Hübner, S. 199) übergehen zu müssen, um Geld zu verdienen. Später wird er zum glühenden Pazifisten und Anhänger der Mehrheitssozialdemokratie. Nicht dies wird jedoch der unmittelbare Grund für Zechs Flucht 1933, sondern staatsanwaltliche Ermittlungen wegen seiner Unterschlagung massiver Buchbestände als Hilfsbibliothekar der Berliner Stadtbibliothek.
Im argentinischen Exil pflegt Zech weiter seine literarischen Fehden und verkracht sich auch mit solchen Vertretern der deutschen Gemeinde, die ihm dort mehr Publikationsmöglichkeiten hätten verschaffen können. Der verbitterte Zech erliegt 1946 in Buenos Aires einem Gehirnschlag. Später setzt in Deutschland und Argentinien eine posthume Rezeption ein. 1971 wird Zechs Urne auf einen Ehrengrabplatz des Landes Berlin auf dem Friedhof Schöneberg III umgesetzt.
Zechs psychische Labilität, die ihn öfters in psychiatrische Kliniken brachte, ruft Fragen auf, die Hübner mit einem Zitat beantwortet. Die Psychoanalytikerin Brigitte Boothe vermutete, es handele sich bei Zech um eine histrionische Persönlichkeitsstörung nach ICD-10, F60.4 (Freud: „Hysterie“). Zech fehlte vermutlich die für psychoanalytische Behandlung erforderliche Krankheitseinsicht, zumal sein Verhalten ihm wohl literarisch auch einen Krankheitsgewinn einbrachte. Darauf geht Hübner allerdings nicht ein.
Hübners Ausgangsfrage müsste eigentlich ergeben, was eine derartige Beschäftigung mit Zech bringe. Eine eindeutige Antwort kann der Rezensent bei Hübner nicht finden. Ein wissenschaftlicher Gewinn ist, dass Hübner in 15jähriger Recherche und 100 Seiten Quellenverzeichnis Zechs selbstgestreute Legenden, denen manche teilweise aufgesessen waren, demystifiziert. Daneben führt uns Hübner einen Schriftsteller vor, der im Leiden an der Welt und an sich im permanenten Streit mit seinen zeitgenössischen literarischen und politischen Kontrahenten lag.
Die Leben des Paul Zech. Eine Biografie, Alfred Hübner, Morio-Verlag. Heidelberg 2021
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