Revolution als Marketingkonzept - Schild der Bar „Revolución“
Foto: Thomas Erling
Manchmal entwickeln Ideen eine solche Eigendynamik, dass am Ende etwas steht, das nicht mehr allzu leicht mit ihnen in Einklang zu bringen ist, denn Ideen haben etwas einzigartiges: sie verbinden Gedankenwelten in besonderer Weise mit ihrer materiellen Umwelt. Sie werden in Köpfen einzelner konstruiert, geraten nach außen – wenn sie denn kommuniziert werden – werden aufgegriffen, diskutiert, umkonstruiert, angepasst und schließlich gebraucht, um etwas substantielleres zu schaffen, vielleicht etwas zum anfassen, zum sehen, zum fühlen. Oft passiert es dann, dass der Ideengeber verzweifelt vor den sinnlich erfassbaren Ergüssen seines Gedankenguts steht und feststellt: so war das aber nicht gemeint.
Ein Zapatist in San Cristobal de las Casas.
So oder so ähnlich geht es vielleicht auch dem ein oder anderen Zapatisten, der sich an einem Sonnentag in die Stadt San Cristobal de las Casas begibt und dort durch das schick angelegte Zentrum mit seinen aufwendig restaurierten Kolonialhäusern schlendert. Er passiert die Haupteinkaufsstraße, die „Real de Guadelupe“ und spaziert vorbei an feinen Schmuckläden und vielen elegant eingerichteten Cafés und Restaurants. Menschen aus aller Welt kommen ihm entgegen und flanieren an ihm vorbei, doch zumeist sind es Menschen aus den USA oder aus westeuropäischen Ländern – Franzosen, Engländer, Spanier, Deutsche. Am Ende seiner Promenade steht er auf einem großen Kunsthandwerksmarkt, umgeben von unzähligen „Artesania“-Ständen und an einigen von ihnen werden Kleidungs- und Schmuckstücke angeboten, die das Logo seiner Organisation, der EZLN, tragen. Auf anderen wiederum ist das Konterfei des Subcomandante Marcos abgedruckt oder auch ganz klassisch einfach nur der Che. Sogar eine nigelnagelneue Pasamontaña könnte er sich hier kaufen, doch verwirft er diesen Gedanken ganz schnell wieder, als er diese kitschige Stickerei auf ihrer Stirn entdeckt.
Von ruhigeren Zeiten.
Vor nicht allzu langer Zeit ging es in der chiapanikischen Kleinstadt noch etwas anders zu. Hin und wieder trifft man auf Leute, die schwärmerisch von ruhigeren Zeiten erzählen, in denen der Tourismus und das Kosmopolitentum noch nicht solche Dimensionen angenommen haben, in denen noch eine mehr oder weniger ländliche und vielleicht auch hinterweltlerische Atmosphäre herrschte. Unter diesen Leuten lassen sich neben Einheimischen auch die Touristen der „ersten Stunde“ finden, die damals nicht kamen, um in Nachtklubs und feinen Restaurants ihr Geld zu lassen, sondern um den damals aufkeimenden Zapatismus hautnah zu erleben und ihn in vielen Fällen auch praktisch zu unterstützen. Ging der Tourismus in den ersten drei Jahren nach dem revolutionären Aufstand der EZLN im Jahre 1994 vorerst massiv zurück – der schwierigen Sicherheitslage geschuldet – kamen nach der Etablierung der ersten autonomen Zapatistengemeinden zumeist europäische und US-amerikanische NGOs in die Stadt, um sich mit der indigenen und nun auch zapatistischen Lebenswelt auseinanderzusetzen und entsprechende Sozial- und Hilfsarbeit zu organisieren. Seit dem reisen jedes Jahr hunderte von „Zapatouristen“ an, um in den zapatistischen Comunidades zu helfen und die eigene Lebenswelt um die Erfahrungen dieser Gegenwelt zu bereichern.
Gegenwelten sind Verkaufsschlager.
Nun ist es so, dass überall da, wo sich Gegenwelten aufbauen, auch der Markt nicht lange auf sich warten lässt. Man kennt das beispielsweise von Subkulturen, wie dem Hippiismus oder dem Punk, deren Gegenweltprinzipien schnell von denen aufgegriffen wurden, die es verstanden, mit ihnen Geld zu verdienen und sie mit ihrer Vermarktung paradoxerweise an die „Konformwelt“ anpassten, sie gewissermaßen in diese zurück überführten.
Im Tourismus ist die Vermarktung des Anderen, die Kommerzialisierung fremder Gegenwelten ein altes Prinzip. Exotisierung und Imaginisierung sind sozusagen Grundeinheiten der modernen Tourismusindustrie. Das Andere erlebbar machen (auch wenn es vielleicht gar nicht existiert), die Flucht aus dem Alltag ermöglichen und damit das Leben der Konsumenten um Sensationen bereichern, sind ihre Hauptaufgaben.
So kommt es auch, dass der Zapatismus in Kombination mit den indigenen Kulturen des mexikanischen Südens zur „Money Making Machine“ avancierte. Ein Hotel nach dem anderen wurde in San Cristobal de las Casas eröffnet und Geschäfte, in denen Produkte angeboten werden, die das Image der Revolution oder die Ursprünglichkeit indigener Lebensart transportieren, sprossen wie Pilze aus dem Boden. Heute lässt sich in der Stadt neben dem Typus des politisch Reisenden, der sich aus einem politischen Anspruch heraus in die zapatistischen Comunidades begibt, dementsprechend auch der Typus des „Revolutionstouristen“ finden, der sich auf seiner Tour zwischen den berühmten Maya-Stätten und den herrlichen Stränden der mexikanischen Karibikküste schnell mal einen echten Zapatisten anschauen möchte. So sieht also eine revolutionäre mexikanische Kleinstadt aus, denkt der Reisende womöglich, und fühlt sich der zapatistischen Autonomiebewegung sehr nah und vielleicht auch verbunden. Entsprechend stilecht kehrt er in die Bar „Revolución“ ein, um zur Musik einer kubanischen Salsa-Band zu tanzen und ein leckeres „Indio“-Bier hinunter zu kippen (dabei weiß er vielleicht nichts vom Alkoholverbot in den zapatistischen Gemeinden). Nun muss hier auch bemerkt werden, dass zwischen diesen beiden Touristen-Typen heute keine klare Grenze mehr gezogen werden kann. Schließlich kehrt auch dann und wann ein politisch motivierter Menschenrechtsbeobachter nach seinem entbehrungsreichen Aufenthalt in einer Comunidad in eine der unzähligen Bars ein und auch er freut sich nach zweiwöchiger Abstinenz eventuell auf ein kühles Blondes und den ein oder anderen Mezcal. Genuss und politische Arbeit müssen sich schließlich nicht widersprechen.
Sup Marcos & Co. - T-Shirts auf dem Kunsthandwerksmarkt
Foto: Thomas Erling
Liebe deine Feinde!
Der mexikanische Staat indes profitiert von dieser Entwicklung und kann deshalb der EZLN eigentlich nur dankbar sein. Das Bibel-Zitat „Liebe deine Feinde!“ bekommt hier eine ganz neue Bedeutung. Neben dem florierenden Tourismus lassen sich auch immer mehr Ausländer aus den "reichen Industrienationen“ angetan vom locker-leichten Leben und der revolutionär-alternativ-ursprünglichen Grundstimmung in San Cristobal de las Casas nieder, eröffnen Geschäfte und gründen Familien. Ein Motor für wirtschaftliche Entwicklung entsteht, der allein durch das staatlich initiierte „Pueblo Mágico“-Programm nicht hätte konstruiert werden können. Dass der antikapitalistische Zapatismus damit auch indirekt für eine Gentrifizierung nach ganz und gar kapitalistischem Muster mitverantwortlich ist, durch die immer mehr Einheimische und Menschen indigener Herkunft an die Ränder der Stadt vertrieben werden, steht auf einem anderen Blatt. Eine ernsthafte Identitätskrise blieb bisher jedenfalls aus - vielleicht auch weil die Bewegung letztlich ebenfalls nur Vorteile aus dem weitreichenden internationalen Interesse an ihren Ideen zieht. Selbst der "normale" Tourist wird nach seiner Rückkehr zu Hause leidenschaftlich und romantisierend im Kreis seiner Verwandten und Bekannten von der revolutionären Stimmung und vom Aufbegehren gegen Kapitalismus und Ausbeutung im zentralen Hochland von Chiapas berichten, auch wenn er am ersten Arbeitstag nach seinem Urlaub wieder ganz konform in der Logik selbiger kampflos untergeht. Seine Kollegen aber finden das T-Shirt mit dem Sup ganz schön rebellisch - und auch ein bisschen hip.
Revolution als Marketingkonzept - Schild der Bar „Revolución“
Foto: Thomas Erling
Manchmal entwickeln Ideen eine solche Eigendynamik, dass am Ende etwas steht, das nicht mehr allzu leicht mit ihnen in Einklang zu bringen ist, denn Ideen haben etwas einzigartiges: sie verbinden Gedankenwelten in besonderer Weise mit ihrer materiellen Umwelt. Sie werden in Köpfen einzelner konstruiert, geraten nach außen – wenn sie denn kommuniziert werden – werden aufgegriffen, diskutiert, umkonstruiert, angepasst und schließlich gebraucht, um etwas substantielleres zu schaffen, vielleicht etwas zum anfassen, zum sehen, zum fühlen. Oft passiert es dann, dass der Ideengeber verzweifelt vor den sinnlich erfassbaren Ergüssen seines Gedankenguts steht und feststellt: so war das aber nicht gemeint.
Ein Zapatist in San Cristobal de las Casas.
So oder so ähnlich geht es vielleicht auch dem ein oder anderen Zapatisten, der sich an einem Sonnentag in die Stadt San Cristobal de las Casas begibt und dort durch das schick angelegte Zentrum mit seinen aufwendig restaurierten Kolonialhäusern schlendert. Er passiert die Haupteinkaufsstraße, die „Real de Guadelupe“ und spaziert vorbei an feinen Schmuckläden und vielen elegant eingerichteten Cafés und Restaurants. Menschen aus aller Welt kommen ihm entgegen und flanieren an ihm vorbei, doch zumeist sind es Menschen aus den USA oder aus westeuropäischen Ländern – Franzosen, Engländer, Spanier, Deutsche. Am Ende seiner Promenade steht er auf einem großen Kunsthandwerksmarkt, umgeben von unzähligen „Artesania“-Ständen und an einigen von ihnen werden Kleidungs- und Schmuckstücke angeboten, die das Logo seiner Organisation, der EZLN, tragen. Auf anderen wiederum ist das Konterfei des Subcomandante Marcos abgedruckt oder auch ganz klassisch einfach nur der Che. Sogar eine nigelnagelneue Pasamontaña könnte er sich hier kaufen, doch verwirft er diesen Gedanken ganz schnell wieder, als er diese kitschige Stickerei auf ihrer Stirn entdeckt.
Von ruhigeren Zeiten.
Vor nicht allzu langer Zeit ging es in der chiapanikischen Kleinstadt noch etwas anders zu. Hin und wieder trifft man auf Leute, die schwärmerisch von ruhigeren Zeiten erzählen, in denen der Tourismus und das Kosmopolitentum noch nicht solche Dimensionen angenommen haben, in denen noch eine mehr oder weniger ländliche und vielleicht auch hinterweltlerische Atmosphäre herrschte. Unter diesen Leuten lassen sich neben Einheimischen auch die Touristen der „ersten Stunde“ finden, die damals nicht kamen, um in Nachtklubs und feinen Restaurants ihr Geld zu lassen, sondern um den damals aufkeimenden Zapatismus hautnah zu erleben und ihn in vielen Fällen auch praktisch zu unterstützen. Ging der Tourismus in den ersten drei Jahren nach dem revolutionären Aufstand der EZLN im Jahre 1994 vorerst massiv zurück – der schwierigen Sicherheitslage geschuldet – kamen nach der Etablierung der ersten autonomen Zapatistengemeinden zumeist europäische und US-amerikanische NGOs in die Stadt, um sich mit der indigenen und nun auch zapatistischen Lebenswelt auseinanderzusetzen und entsprechende Sozial- und Hilfsarbeit zu organisieren. Seit dem reisen jedes Jahr hunderte von „Zapatouristen“ an, um in den zapatistischen Comunidades zu helfen und die eigene Lebenswelt um die Erfahrungen dieser Gegenwelt zu bereichern.
Gegenwelten sind Verkaufsschlager.
Nun ist es so, dass überall da, wo sich Gegenwelten aufbauen, auch der Markt nicht lange auf sich warten lässt. Man kennt das beispielsweise von Subkulturen, wie dem Hippiismus oder dem Punk, deren Gegenweltprinzipien schnell von denen aufgegriffen wurden, die es verstanden, mit ihnen Geld zu verdienen und sie mit ihrer Vermarktung paradoxerweise an die „Konformwelt“ anpassten, sie gewissermaßen in diese zurück überführten.
Im Tourismus ist die Vermarktung des Anderen, die Kommerzialisierung fremder Gegenwelten ein altes Prinzip. Exotisierung und Imaginisierung sind sozusagen Grundeinheiten der modernen Tourismusindustrie. Das Andere erlebbar machen (auch wenn es vielleicht gar nicht existiert), die Flucht aus dem Alltag ermöglichen und damit das Leben der Konsumenten um Sensationen bereichern, sind ihre Hauptaufgaben.
So kommt es auch, dass der Zapatismus in Kombination mit den indigenen Kulturen des mexikanischen Südens zur „Money Making Machine“ avancierte. Ein Hotel nach dem anderen wurde in San Cristobal de las Casas eröffnet und Geschäfte, in denen Produkte angeboten werden, die das Image der Revolution oder die Ursprünglichkeit indigener Lebensart transportieren, sprossen wie Pilze aus dem Boden. Heute lässt sich in der Stadt neben dem Typus des politisch Reisenden, der sich aus einem politischen Anspruch heraus in die zapatistischen Comunidades begibt, dementsprechend auch der Typus des „Revolutionstouristen“ finden, der sich auf seiner Tour zwischen den berühmten Maya-Stätten und den herrlichen Stränden der mexikanischen Karibikküste schnell mal einen echten Zapatisten anschauen möchte. So sieht also eine revolutionäre mexikanische Kleinstadt aus, denkt der Reisende womöglich, und fühlt sich der zapatistischen Autonomiebewegung sehr nah und vielleicht auch verbunden. Entsprechend stilecht kehrt er in die Bar „Revolución“ ein, um zur Musik einer kubanischen Salsa-Band zu tanzen und ein leckeres „Indio“-Bier hinunter zu kippen (dabei weiß er vielleicht nichts vom Alkoholverbot in den zapatistischen Gemeinden). Nun muss hier auch bemerkt werden, dass zwischen diesen beiden Touristen-Typen heute keine klare Grenze mehr gezogen werden kann. Schließlich kehrt auch dann und wann ein politisch motivierter Menschenrechtsbeobachter nach seinem entbehrungsreichen Aufenthalt in einer Comunidad in eine der unzähligen Bars ein und auch er freut sich nach zweiwöchiger Abstinenz eventuell auf ein kühles Blondes und den ein oder anderen Mezcal. Genuss und politische Arbeit müssen sich schließlich nicht widersprechen.
Sup Marcos & Co. - T-Shirts auf dem Kunsthandwerksmarkt
Foto: Thomas Erling
Liebe deine Feinde!
Der mexikanische Staat indes profitiert von dieser Entwicklung und kann deshalb der EZLN eigentlich nur dankbar sein. Das Bibel-Zitat „Liebe deine Feinde!“ bekommt hier eine ganz neue Bedeutung. Neben dem florierenden Tourismus lassen sich auch immer mehr Ausländer aus den "reichen Industrienationen“ angetan vom locker-leichten Leben und der revolutionär-alternativ-ursprünglichen Grundstimmung in San Cristobal de las Casas nieder, eröffnen Geschäfte und gründen Familien. Ein Motor für wirtschaftliche Entwicklung entsteht, der allein durch das staatlich initiierte „Pueblo Mágico“-Programm nicht hätte konstruiert werden können. Dass der antikapitalistische Zapatismus damit auch indirekt für eine Gentrifizierung nach ganz und gar kapitalistischem Muster mitverantwortlich ist, durch die immer mehr Einheimische und Menschen indigener Herkunft an die Ränder der Stadt vertrieben werden, steht auf einem anderen Blatt. Eine ernsthafte Identitätskrise blieb bisher jedenfalls aus - vielleicht auch weil die Bewegung letztlich ebenfalls nur Vorteile aus dem weitreichenden internationalen Interesse an ihren Ideen zieht. Selbst der "normale" Tourist wird nach seiner Rückkehr zu Hause leidenschaftlich und romantisierend im Kreis seiner Verwandten und Bekannten von der revolutionären Stimmung und vom Aufbegehren gegen Kapitalismus und Ausbeutung im zentralen Hochland von Chiapas berichten, auch wenn er am ersten Arbeitstag nach seinem Urlaub wieder ganz konform in der Logik selbiger kampflos untergeht. Seine Kollegen aber finden das T-Shirt mit dem Sup ganz schön rebellisch - und auch ein bisschen hip.
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