Der Theatermagier von New York- Charles Ludlam zum 25. Todesjahr

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Wenn wir an Schauspiel in den USA denken, fällt uns natürlich zuallererst Hollywood ein. Hollywood dominiert alles- den Film, wie und was wir denken, ja was wir fühlen. Niemals hat Schauspiel so eine Dominanz in der Geschichte gehabt, wie in Hollywood. Wer nicht dazu gehörte oder dazugehören wollte, existierte gar nicht. Erst in zweiter Linie denkt man an das Theater und da fällt einem dann der Broadway ein, die Bühnen, die die Welt bedeuten. Unzählige Stars und Sternchen spielten in legendären Stücken am Broadway oder wurden dort für die kapitalistische Filmmaschinerie in Hollywood veredelt oder gar entdeckt. Ohne den Broadway kann man das Theater in den USA nicht denken. Und dann noch die großen Dramatiker des Landes: Arthur Miller, Tenessee Williams, Edward Albee, um nur einige zu nennen, die mir spontan einfallen. Ohne sie ging nichts auf den Brettern, die angeblich die Welt seien. Und die Independent-Theater? Wer redet über diese? Niemand, sind sie zumeist regional verbunden oder aber exzentrisch, auf ein bestimmtes Publikum ausgerichtet, so das es niemals in die große Breite durchdringen kann.

So jemand war Charles Ludlam. Ein Mann, der in Deutschland nahezu unbekannt ist. Ich schreibe nicht vergessen, denn vergessen setzt voraus, dass er mal bekannt war. Nein, er ist unbekannt. Zu Recht, würden viele vielleicht am Anfang kolportieren. Würde jeder Provinztheaterheini aus Amerika in Deutschland bekannt sein, Wikipedia platzte aus allen Nähten. Und doch- Ludlam war anders. Er war ein Magier. Magie nicht im Sinne von klassischer Zauberei, die unmögliches erschafft, sondern in Sinne von etwas, dass in die Tiefe geht, in die Substanz, eine Magie, die Fragen stellt, Fragen, für die im Mainstreamtheater kein Platz mehr zu sein scheint.

Charles Ludlam wurde 1943 in Long Island geboren und verbrachte doch den Großteil seines Lebens in seinem "geliebten" New York. Schon als Kind zeigte er eine starke künstlerische Ader und ein großes Interesse am Theater. Es folgten die für einen Theatermenschen üblichen Sozialisationen: als Schüler spielte er selbst Theater, wie kann es auch anders sein. Später studierte er dann Theaterwissenschaften, um auch ein seriöses Fundament für seine Leidenschaft zu haben. Im berühmten Theater "Playhouse of the ridicolous" hatte er als Schauspieler fortan sein Auskommen. Er hatte dieses berüchtigte Theater, dass man als Tourist stets als Geheimtipp ansehen konnte und die das spielten, was das Programm keines anderen Theaters ermöglichte, 1965 mit zwei Freunden gegründet. Dort waren auch seine Auftritte als Drag-Queen mehr als berüchtigt und das noch vor den Stonewall-Aufständen; traute sich jemand unverhohlen, quasi vor Augen der Staatsmacht, im Theater das zu spielen, was in jeder Bar oder jedem Club eine Verhaftung nachsichgezogen hätte. Doch nicht nur als Schauspieler wollte er glänzen, auch als derjenige, der Stücke schrieb, sprich Dramatiker war, wollte er eine "Doppelexistenz" als allumfassendes Theaterwesen sein- hier der Schauspieler, der eigene und fremde Stücke bespielte, dort der Dramatiker, der sich selbst die Stücke, die er und andere spielten, schrieb. Illustre Namen hatten diese Stücke und so illuster waren auch die Aufführungen: Conquest of the Universe (Die Eroberung des Universums), Whores of Babylon (Die Schlampen Babylons), Eunuchs in the forbidden city (Eunuchen in der verbotenen Stadt), Der Ring-Gott Farblijot, sein einziges Stück, dass wohl auch schon in Deutschland vereinzelt an Independent-Theatern gespielt wurde. Sperma und Blut floss viel in den Aufführungen. Und doch hatten sie nicht automatisch etwas mit dem modernen Theater zu tun, dass wir heute kennen, denn Ludlam spielte nur, was andere plastisch zeigten.

Der Film hat ihn wohl nie so interessiert, obwohl er in einigen mitgespielt hat. Der für das Mainstream-Kinopublikum unserer Tage wohl bekannteste war The Big Easy- Der große Leichtsinn. In diesem doch recht bekannten Film spielte er eine Nebenrolle. Doch es war ein anderes, künstlerisches Werk des Films, dass ihn wohl für alle Zeiten unsterblich werden lies: Pink Narcissus. In der letzten Hälfte des Filmes spielte er einige kurze Rollen, obwohl er in dem Film namentlich nicht erwähnt wurde. Er selbst war ja noch recht jung, um die 26 muss er gewesen sein (die ganz genaue Zeit der Produktion des Filmes lässt sich nur auf 1969/1970 datieren). Und er war damals schon ein in New Yorker bekannter Theatermacher. Ob als Eisverkäufer oder Inder- niemand würde Ludlam in diesem Film erkennen oder vermuten, hätte Bidgood dies nicht "gestanden". Dieser Kunstfilm mit einem engelsgleichen Bobby Kendall und einem bis zur Unkenntlichkeit geschminkten Ludlam gilt als einer der bedeutendsten Independent-Filme, die jemals gedreht wurden- in allen Genres! Somit ist Ludlam auch an einem Stück Filmgeschichte beteiligt, obwohl weder ihm noch den anderen Protagonisten dies bewußt gewesen sein dürfte. Und da war dann noch der letzte Film, den er drehte und der auch etwas seltsames an sich hatte: Museum of Wax, 1987. Dieser Film, etwa ein Jahr vor dem Tode Ludlams gedreht und somit sein letzter Auftritt auf Zelluloid, wurde erst 2009 im Nachlass gefunden und bisher nur in einem Kinotheater in New York uraufgeführt. Auf Youtube kann man den rund 22 minütigen Kurzfilm sehen, in Deutschland ist er (bisher) nicht erhältlich. Wer aber glaubt, der Film strotze vor Blut und Sperma, wird enttäuscht werden. Museum of Wax ist ein Kunstfilm, in schwarz/weiß gedreht und ohne Ton. Ludlam spielt darin einen bisexuellen Mann, der sich in die Kartenverkäuferin eben jenes Museums verliebt und deren Chef und Freund nicht nur "beseitigt", sondern auch zu einem Mitglied der Wachsfiguren macht. Dass dann auch Ludlam noch seine Überraschung erleben wird, macht die eigentliche Spannung des Filmes aus. Doch mehr will ich hier nicht verraten.

Der offen homosexuelle Mann war auch eines der unzähligen prominenten Aidsopfer der 1980er Jahre. Er starb am 28.Mai 1987, sein Todesdatum jährt sich somit zum 25. Male. Und doch sind es immer die Leisen, die auch nach ihrem Tode noch etwas von ihrem Geheimnis bewahrt haben und es bis heute ausstrahlen.

Ende.

06.Mai 2012

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