Der unheimliche Geist von Hollywood

Filmstar Zum 125. Geburtstag und 75. Todestag im Jahr 2018: über den exzentrischen deutschen Schauspieler Conrad Veidt

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Conrad Veidt im Jahr 1941
Conrad Veidt im Jahr 1941

Foto: MGM-photo by Clarence Bull/Wikimedia Commons (cc0)

Der Augenaufschlag war legendär. In einer Zeit, in der der Horrorfilm noch gar nicht geboren war, spielte er mit dem Publikum wie kein zweiter. Wie muss das auf einer riesigen Leinwand auf Menschen gewirkt haben, die Horror allenfalls aus Kriegen kannten, niemals aber in solch einer Nähe durch das Gesicht eines Menschen? Ich wage zu behaupten, seine Rolle und diese Szene aus dem Film "Das Kabinett des Dr. Caligari" war der Beginn des modernen Horrorfilms und sein Protagonist einer der unheimlichsten und interessantesten – und mehr noch – verkanntesten Schauspieler der deutschen Filmgeschichte: Conrad Veidt, dessen 125. Geburtstag und 75. Todestag wir in diesem Jahr feiern.

Alles an diesem Mann war so anders als bei vielen deutschen Schauspielern. Wie Jack Palance, Victor Mature oder Richard Widmark hatte er ein markantes, unverwechselbares Gesicht, dass letztlich sein Markenzeichen wurde. Doch das Gute muss nicht schön sein, es muss gut sein und das ist die Hauptsache.

Anders als die Anderen

Und da gab es noch etwas anderes: Ein Film von Dr. Magnus Hirschfeld mit dem Titel "Anders als die Anderen". Der erste Film überhaupt, in dem das Thema Homosexualität behandelt wurde, machte ihn zu einem ersten Superstar des Gaykinos. Veidt spielte die Hauptrolle in diesem leider verstümmelten Film und hinterlies zeitlebens die Frage, ob er nichts selbst dazugehörte, ein Teil dieser Menschen war und seine (Schein-)Ehen nur ein Versteckspiel für Karriere und Hollywood waren? Bekannt sind Szenen aus Überlieferungen über ihn, bei denen er in einschlägigen Bars mit Zylinder und Monokel einmarschiert sei, fast wie ein Popstar, von allen begafft. Vier bis fünf Kellner sollen um ihn geschwirrt sein und ihn exklusiv bedient haben. Er sprach kein Wort – außer mit den Kellnern – und saß separat. Und war er fertig, verlies er das Etablissement so schnell, wie er gekommen war. Er wollte wohl damit zeigen, dass er einer von ihnen war, ohne aber die Reverenzen an all die dazugehörigen Feste, öffentlichen Auftritte sprich an die damalige Szene zu erweisen.

Der unheimliche Geist von Hollywood

In Hollywood wurde er durch einen der ersten spektakulären Farbfilme bekannt: "Der Dieb von Bagdad" an der Seite von Indiens einzigem Hollywoodstar Sabu spielte er das, was er am besten konnte: einen Bösewicht und doch mit einer eigenen, unheimlichen Eleganz. Mit dem anderen unheimlichen deutschen Mimen, der vor allem in den 1970er und 1980er Jahren das deutsche Fernsehen in Angst und Schrecken versetzte – Klaus Kinski – ist er aber nicht zu vergleichen. Kinski war als Schauspieler genial, als Mensch nun ja. Veidt war ein normaler Mensch, mit Fehlern und Schwächen – aber eben kein Kinski – und ebenso genial, vielleicht sogar noch ein Stückchen genialer als Kinski.

Ob als Sultan Jaffa in "Der Dieb von Bagdad", ob als Cesar in "Das Kabinett des Dr. Caligari" oder als Major Strasser in "Casablanca" – der überzeugte Antifaschist spielte lieber böse Rollen als im Leben ein Böser zu sein. Man muss sich vorstellen, er war mit einer Jüdin liiert und der ehemalige miserable Schüler wurde von den Nazis unter Hausarrest gestellt, um ihn dazu zu bringen, sich von ihr zu trennen. Gottlob gelang ihnen die Flucht ins Ausland und in die Sicherheit vor dem fast sicheren Tod. Dort ärgerte Veidt die Nazis, indem er genau bei deren ärgsten Feinden Filme drehte – Franzosen, Briten und vor allem Amerikaner bekamen viel von dem Talent dieses Ausnahmekünstlers und -menschen.

Und ja, er war das, was Heath Ledger später als der Joker war, er war der erste Joker der Filmgeschichte und nachweislich dessen erstes Vorbild: Als Gwynplaine war er in "Der Mann, der lacht" als unheimlicher Geist in Hollywood unterwegs, weiß geschminkt, war er der große Bruder des Jokers in späteren Jahrzehnten. Eine Rolle, bei denen manchen Leuten bis heute noch ein Schauer über den Rücken fährt. Doch das war die Größe dieses Genies, dieses großen Schauspielers, der "männlichen Marlene", wie mal einer schrieb. Der Song "I am in love with a german filmstar" von The Passions könnte ihm auf den Leib geschrieben sein. Er trifft auf keinen anderen Darsteller so zu wie auf Veidt.

Viel zu jung starb er mit nur fünfzig Jahren 1943 an einem Herzinfarkt in Hollywood. Sein Geist aber wandelt in allen Gayfilmen, die nach ihm gedreht wurden, in allen Jokers, die nach ihm kamen, in allen Horrorfilmen, die nach ihm Angst und Schrecken verbreiten. Somit ist er wirklich unsterblich. Eine Legende, die in fast jedem Film präsent ist, obwohl sie schon ein dreiviertel Jahrhundert tot ist und man sie nicht sieht.

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