Die manipulierte Literatur

Literatur Eigentlich ist Literatur das letzte wirklich freie Medium, dass wir noch haben. Man versucht gerade hier alles, dass das auch in der Demokratie nicht so bleiben soll

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Ein Buch ist ein Medium. Wie sagte schon der kanadische Medienwissenschaftler Marshall McLuhan: "The Medium is the message". Das Buch ist eines der ältesten und aller technischen Innovationen zum Trotz der Zähesten, die wir haben. Doch man nagt an seiner Macht, man nagt an dem Papier, damit nur wenige Worte übrig bleiben, die der Mensch verstehen kann und soll.

Nicht umsonst werden weltweit nicht Komponisten, nicht Maler oder Bildhauer, nicht Balletttänzer, ja sogar oftmals nicht Schauspieler oder Regisseure verfolgt, sondern in erster Linie Schriftsteller, weil das Wort eine Macht hat und ist, die man nur schwer eindämmen kann, wenn der Geist aus der Flasche entlassen wurde.

Doch wir müssen gar nicht in die autoritären Regimes der Welt schauen, um zu sehen, dass auch im demokratischen Verfassungsstaat das Buch ein Dasein fristet, dass einen beängstigen kann. Dabei geht es nicht nur um die "üblichen Verdächtigen", dass E-Book und ähnliches, die das gedruckte Buch bedrohen. Es geht um den Geist, es geht um mehr. Es geht auch um den Inhalt.

Es fängt schon im Fernsehen an: Das Literarische Quartett bespricht oder besprach nur Bücher, die sich auf den Bestsellerlisten befanden oder die durch etwas anderes wirklich berühmt wurden. Abseitige Literatur, Außenseiterliteratur fand dort niemals statt. Hätte man auch ein Werk von Quentin Crisp, einem strammem Homosexuellen, besprochen? Oder eines portugiesischen Autors wie Miguel Torga (immerhin ins Deutsche übersetzt, dreifacher Kandidat für den Literaturnobelpreis), wären afrikanische Autoren wie Louis Senghor oder Ousmane Sembere (der auch Autor, nicht nur Filmemacher war) besprochen worden? Wahrscheinlich nicht. Auch in der Literatur dominiert der Markt, dass, was man lesen SOLL und verkaufen WILL. Oder auch der verstorbene "Literaturpapst" (schon der Titel ist falsch, weil Reich-Ranicki kein klassischer Autor war, sondern Kritiker, Grass z.B. hätte als klassischer Literat eher diesen Titel tragen müssen) Marcel Reich-Ranicki, der mit dem "Kanon. Die deutsche Literatur" uns allen definitiv sagen wollte, was wirklich wichtig ist zu lesen und was wir gefälligst zu lesen haben. Nein, nicht Ronald Schernikau oder Frido Lampe, auch nicht Reinhold Schneider oder Albert Vigoleis Thelen, sondern gefälligst Goethe, Goethe, Goethe, Goethe, Schiller, Schiller, Heine, Wieland und Co. Die sind ja deutsche Literatur, vor und nach ihnen gab es nichts, wenn man Ranicki glauben soll. Alles andere ist natürlich nur Schund und wertlos, keine Hochkultur, widerständig und subversiv, volkszersetzend. Gut ist, was man von AUßEN als gut bescheinigt und was besprochen wird. Alles andere existiert nicht oder unter ferner liefen. Vielfalt, überall beschworen, wird dadurch nicht erreicht. Nicht alle Klassiker sind passe gut, nicht alles Nachklassische passe schlecht. Denken wird aber nicht nur durch Goethe gefördert, sondern durch das Lesen GUTER Literatur im Allgemeinen. Wenn ein Buch hilft, dass Leben zu meistern, zu verstehen ohne der klassischen Ratgeberliteratur anzugehören, dann ist es gut. Auch wenn es kein Bestseller ist, auch wenn den Autor keiner kennt, er vielleicht (noch nicht) in Wikipedia zu finden ist, auch wenn das Buch kein 800 Seiten Wälzer ist, sondern ein kleines Broschur von 90 Seiten. Mir begegnete so ein Büchlein, dass mein Leben nachhaltig veränderte, einmal im Leben: "Unglücklich sein. Eine Ermutigung", von Wilhelm Schmid. Mal etwas aus einem anderen, ganz anderen Blickwinkel sehen. Ich will hier nicht den Inhalt verraten, aber es hat mir sehr viel geholfen, mehr als die tausenden Positive-Thinking-Bücher, die immer nur Lächeln und Glücklichsein verordnen oder dem falschen Glück auf der Fährte sind.

Auch das Buch ist dem Markt, dem Konsum unterworfen. Wer, wie ich, jedes Jahr die Frankfurter Buchmesse besucht, könnte den Eindruck bekommen, dass es in Deutschland keine vier Millionen Analphabeten gibt, dass nahezu jeder in Deutschland lebende Mensch hunderte oder tausende von Büchern besitzen und lesen muss, so groß ist das Angebot. Starautoren prangen auf großen Fotos der übergroßen Verlage herab und wenn ein Schlagersänger mal wieder ein Kinderbuch, ein Schauspieler ein Kochbuch oder ein Politiker einen Krimi geschrieben hat, dann stehen die Leute schlange, als verteile der Papst persönlich jedem den Segen. Grelle Bücher fallen sofort ins Auge, mit großen Bildern auf dem Cover, rührselige Romane mit immergleicher Story, Lebensgeschichten von D-Promis, die man in drei Jahren nicht mehr kennt, verkauft als " Das müssen Sie jetzt aber doch noch gelesen haben" oder "der neueste, spannend erwartete Horrorthriller von Autor Xy", angeblich Bestseller in Norwegen, Vietnam und Indonesien (als ob das was Aussagen würde). Geschäftig herumirrende Verlagsvertreter der Großverlage, die auf wichtig machen, wenn sie sich mit Autoren unterhalten und unfreundlich reagieren, wenn man als einfacher Leser und Autor auch nur eine kleinste Frage stellen tut, da man ja eben nur der dumme Konsument ist, der gefälligst kaufen, aber nicht fragen soll.

Doch das Grundproblem ist die Erschaffung des Buches selbst. Viele Menschen glauben, dass die großen Autoren still fünf Stunden täglich im Kämmerlein verbringen, redigieren, nachdenken, weinen und lachen, dabei Kaffee und Zigaretten verbrauchen und überhaupt nur selten das Tageslicht zu sehen kriegen. Es gibt auch heute noch diese Autoren, natürlich, auch in der "Industrie", aber die meisten haben- sorry, dass ich den Mythos jetzt breche- Ghostwriter, die die Arbeit für sie übernehmen. Schon Mark Twain machte das, als er wirklich berühmt war, andere für sich arbeiten zu lassen und sich nicht der Mühe der Arbeit eines Buch hinzugeben, die echt groß ist. Und das erklärt auch die Serienproduktion vieler großer Bestseller Autoren, die ihren Namen auf das Cover schreiben lassen, aber oftmals alles nur Studenten oder der Sekretärin diktiert haben, die das dann schreiben. Doch darüber wird in der Öffentlichkeit kaum gesprochen. Keine Kunstrichtung ist so vehemment abgeschirmt wie die Literaturszene. Sie ist wie ein Geheimdienst etwas, in das man kaum schauen kann, dass nach außen eine andere Maske trägt als nach innen. Auch der Lektor hat viel Macht bei der Entstehung des Buches: Schon die Vorauswahl SELEKTIERT, was überhaupt veröffentlicht wird und was nicht. Viele glauben, der Lektor gucke nur, dass das Buch keine Rechtschreib- und Grammatikfehler hat, inhaltlich-historische Zusammenhänge stimmen, der Inhalt des Buches aber gänzlich unberührt bleibt. Das stimmt so nicht. Figuren und Zusammenhänge werden solange bearbeitet, bis es passt. Bis es stimmig ist, bis es spannend ist und sich gut verkaufen lässt. Doch das leistet ja nicht der Autor alleine, dass macht er zusammen mit dem Lektor, der viel in das Werk eingreift und etwa sagt: "Diese Figur ist zu menschlich gezeichnet, bitte noch etwas böser, damit der Leser sich fürchtet" oder z.B. bei einer Biographie über ein berühmte Persönlichkeit "Den Briefwechsel mit Freund X lassen wir mal unzitiert, denn wir wollen das von den Medien mühsam aufgebaute Bild dieses Mannes nicht zerstören und seine heimliche Homosexualität nicht publik machen". So oder so ähnlich sehen Anweisungen an Autoren aus. Die beiden oben genannten Zitate habe ich erfunden, aber es wäre durchaus in Gesprächen zwischen Autor und Lektor möglich, dass ähnliche Anweisungen bei Büchern erfolgen, um den Erfolg zu steigern, aber nicht das zu nehmen, was der Autor damit wirklich aussagen will. Ein weiteres Problem: Autoren sind wie Angestellte der Verlage. Die Verträge sind oft über Jahre geschrieben, verpflichten einen Autor dazu, eine bestimmte Anzahl an Büchern zu einem Genre zu produzieren, z.B. Horror oder Liebesromane. Dabei wird eine Marke kreiert, die auf dem Mark viel Geld wert ist. Die Qualität bleibt dabei auf der Strecke. Hauptsache die Kasse klingelt. Und die Industrie hat sich gleich einen neuen Feind auserkoren: Klein- und Privatverlage. Was ist der Unterschied? Kleinverlage sind unabhängige Verlage, die publizieren, aber keine Marktmacht haben. Sie bringen oftmals Alternativliteratur zu Tage, die sonst untergehen würde. Diese Verlage finden aber in der Öffentlichkeit kaum Anklang, wer liest schon behinderte, schwule, sindhi oder honduranische, kapverdianische oder osttimoresische Autoren? Sie haben nicht die Mittel, sich in den Buchhandlungen groß zu präsentieren, neben dem Thriller, der sich 500.000 Mal verkäuft, neben dem Fantasyband, für den Jugendliche sogar vor der Buchhandlung übernachten. Oftmals kommen sie in den Buchhandlungen gar nicht vor oder werden ganz nach hinten gestellt. Dabei sind es gerade diese Verleger, die unsere Demokratie besonders schützen. Sie geben Menschen eine Stimme, die nirgends gehört werden und trotzdem gehört werden müssen. Und da sind noch die Privatverlage, besser bekannt als Druckkostenzuschussverlage. Sicher, man kann das Geschäftsmodell kritisieren, dass ein Autor vorab für sein Buch bzw. den Druck bezahlt. Und sicher, viele Werke sind salopp gesagt, literarisch nicht so gut, weil sie nicht von Berufsautoren geschrieben sind. Und doch, selbst diese Verlagsstruktur ist berechtigt und hilfreich. Denn sie macht im umgekehrten Fall das, was die klassischen Publikumsverlage auch machen: Geld, nur, dass sie es von den Autoren anstatt von den Lesern nehmen oder besser von beiden, was aber deshalb nicht verwerflicher ist, denn die Programmverlage wollen auch Kohle machen und drucken jeden Schund, nur um Geld zu machen. Sehr viel anders ist das nicht. Klar, die Autoren erhalten ein "Honorar", doch für was werden sie bezahlt? Das sie die Menschen dumm halten, dass sie viel Arbeit nicht selbst übernehmen, der Verleger wie Dagobert Duck im Geld schwimmt und eine Maschinerie am Leben erhalten wird, die nicht dem Geist und der Kultur dient, wie von vielen Großverlagen kolpotiert, sondern der eigenen Brieftasche. Das gilt auch für E-Books, hier geht es also nicht um die Frage des gedruckten Buches, sondern um die Frage nach dem Wesen des Buches selbst. Der Privatverlag ist der Feind, weil er zum einen dem einfachen Menschen die Möglichkeit gibt, sich einmal im Leben als Autor und Schrifsteller fühlen zu dürfen, was in den oftmals arroganten und überheblichen Kreisen der renommierten Autorenschaft als Angriff auf das Bürgertum, auf die Industrie und sie selbst gesehen wird. Wie kann eine Putzfrau einen Thriller schreiben, ohne Germanistikstudium? Wie kann ein 20 jähriger Handwerksgeselle aus Bochum genausogute Verse oder Sonette schreiben, wie ein durch Literaturwissenschaften und langem Ochsenzug durch die Industrie anerkannter Autor? Das ist für viele nicht zu fassen. Sie wollen keine weitere Konkurrenz an ihren Thronen sehen, die vielleicht dann nicht ihre Bücher käuft, weil sie selbst welche schreiben und noch schlimmer, deren Bücher vielleicht auch noch gekauft würden, wo ihnen dann Geld abhanden kommt. Der andere Grund ist die Scheinheilige Begründung, dass viele Autoren Müll, Schund und Unwesentliches produzieren würden, dass durch die "seriöse Kritik im gepflegten Feuilleton großer Frankfurter Zeitungen" nicht besprochen würde. Doch ist den so wesentlich, was die großen Verlage produzieren? Ob nun ein Thriller durch einen professionellen Autor oder einen dilettanten geschrieben wird, ist unerheblich, denn er bleibt ein Thriller. Solange es dem Leser gefällt und er sich erfreut, die Spannung gegeben ist, kann es völlig egal sein, ob der Autor fünf Semester Germanistik studiert hat oder täglich zum Arbeiten mit dem Auto in die Werkstatt fährt. DER LESER ENTSCHEIDET oder sollte es zumindest. Wenn ich Krimis oder Thriller mag, ist mir der Verlag und der Autor herzlich schnuppe, ich will Spannung, mir ist der inhalt wichtig, da kann der Autor auch aus Tirana, Viseu oder Dili stammen, wenn er gut ist, ist er sein Geld wert. Noch ein Argument der Programmverlage lautet: Nein, nein, der böse Autor darf doch nicht für sein Werk vorab bezahlen. Er soll gefälligst hinterher die Kohle kriegen. Klingt erstmal plausibel. Wer will schon selbst zahlen, wenn er reich und berühmt werden möchte? Und was ist das für ein Geschäftsgebahren, wenn jemand zahlt, damit er gedruckt wird, hat er dann nicht Vorteile gegenüber z.B. den Kleinverlagsautoren, die z.B. kaum Kohle kriegen und noch alternativ schreiben? Hm, man könnte ins Grübeln kommen. So falsch ist dieser Ansatz nicht. Bezahlen tue ich ja den Druck des Buches und die damit verbundene Dienstleistung, WEIL mir der Zugang zur Industrie verweigert ist oder mir verweigert wird. Die Industrie nimmt ja nicht viele und nicht jeden. Doch kann diese Literatur nicht auch gut oder sogar alternativ sein? Sie ist neu und anders, weil sie Literatur aus einem anderen Blickwinkel ist (Minderheitsangehöriger, Blick auf Thema von anderne Blickwinkel, z.B. Lyrik thematisch und stilistisch nicht im bürgerlichen Sinne zu verstehen). Und nochmals die professionellen Verlage: Die Zuschussverlage drucken doch alles. Nein, tun sie nicht. Sie drucken strafrechtliche Sachen genausowenig wie Dinge, die sei lächerlich machen könnten. Omas Geburtstagsgedichte für den 90. Geburtstag von Oma Lina können vielleicht in einer Anthologie, nicht aber als eigenes Buch erscheinen, die Verlage wollen sich nicht lächerlich machen. Und sie nehmen Gedichte oder Werke, die der Leser wg. zu abstrakten Ansichten nicht verstehen könnte, oftmals nicht in ihr Sortiment auf. Denn auch sie versuchen natürlich, diese Literatur zu verkaufen, klar, bringt ja auch Umsatz, denn die Druckkosten verschlingen tatsächlich mehr, als man meinen mag. Und Ufologie, Verschwörungstheorien und Esoterik überlassen selbst diese Verlage Spezialverlagen, die sich mit diesem Schund bestens auskennen. Daher ist es zu einfach, alles zu verteufeln, was nicht der Massen- und Mainstreamliteratur anhängig ist und nicht in TV oder Postille besprochen wird.

Literatur als Retter der Demokratie?

Kann die Literatur die Demokratie retten? Müssten Menschen mehr lesen, um sich ein echtes und wahres Bild von der Welt, in der wir leben machen, um nicht Rattenfängern und Demagogen auf den Leim zu gehen? Ja, dass sollten sie und Literatur, die mal nicht in der Buchhandlung ganz oben liegt oder bei Lesesendungen im TV besprochen werden, könnte einen wichtigen Beitrag dazu leisten. Literatur kann die Welt positiv verändern- durch den Einzelnen, der liest und das gelesene bei sich selbst anwendet und damit die Umwelt beeinflusst, die wiederum dann das von ihm erfahrene umsetzt. Selbsterkenntnis ist der erste Weg zur Besserung, sagt ja der Volksmund. Das ist die Macht des Wortes, das ist die Macht der Sprache, das ist die Macht der Literatur.

Ende.

22.11.2015

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