Die Revolution der Nelken

Revolution Heute vor 40 Jahren gab ein Lied den Startschuss für eine der wichtigsten Revolutionen Europas in der Geschichte des Kontinents.

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Revolutionen kannte das Land viele, ja sogar Bürgerkriege gab es in Portugal, ich erinnere an die Miguelistenkriege Mitte des 19. Jahrhunderts, die ein Kampf zwischen Konservativen und Liberalen waren, um eine offene Verfassung und ein offeneres Portugal. Die Absolutisten verloren, Portugal wurde offener- aber noch längst nicht offen genug. Im frühen Zwanzigsten Jahrhundert folgte eine republikanische Revolution, die das kleine Land am Rade Europas erst zur dritten Republik des Kontinents machte. Dann, von 1910 bis 1926, erlebte die junge, aber schwache portugiesische Demokratie immer wieder Rückschläge: Bürgerkriegsähnliche Zustände, acht Staatspräsidenten und vierundvierzig Premierminister (das ist absoluter Weltrekord!) und das nur innerhalb von sechzehn Jahren. Dazu Hungeraufstände; die junge Demokratie, zumal mit dem Balast der Kolonien beschwert, konnte auf Dauer nicht bestand haben. Ihr ging es wie der Weimarer Republik. Die Erste Republik in Portugal wurde weggeputscht. Es kam der reaktionäre Generalfeldmarschall António Óscar de Fragoso Carmona (1869 bis 1951; regierte von 1926 bis 1951) an die Macht, der als Staatspräsident mit Monokel und Degen residierte wie noch im 19. Jahrhundert. Er ernannte den Wirtschaftsprofessor António de Oliveira Salazar (1889 bis 1970; regierte von 1932 bis 1968 als Ministerpräsident) zunächst zum Finanzminister, dann - 1932- zum Premier. Es folgten insgesamt achtundvierzig Jahre faschistischer Diktatur in Portugal.

Nach dem Tode von Salazar schien es zunächst, dass sein Nachfolger Marcelo Caetano (1906 bis 1980; regierte 1968 bis 1974) sich offener zeigen könnte, doch er reformierte nur wenig und unbedeutendes und entschied sich den Großteil von Salazars Politik beizubehalten. Die Verfolgung Andersdenkender ging weiter, die Gefängnisse in Caxias und Tarrafal waren voll mit Sozialisten, Kommunisten und anderen. Doch die portugiesische Gesellschaft befand sich im Wandel: Der blutige, dreizehnjährige Kolonialkrieg sorgte für ein Umdenken- bei der Bevölkerung und in Kreisen des Militärs. In der Nacht vom 24. auf den 25. April 1974 tarnten sich einige Militärs, überfielen einen Radiosender und spielten dort das damals verbotene Lied "Grandola, Vila Morena" (Grandola, braune Stadt) ab, dass ein internes Startzeichen zum Beginn der Nelkenrevolution war. Verschiedene Verbände setzen sich in Bewegung und es dauerte einige Tage, bis sie schließlich am Ende das gesamte Land unter der Ägide der "Revolução dos Cravos" (Der Revolution der Nelken) stand. Bürger hatten den Soldaten Nelken zum Zeichen des Friedens in die Gewehr- und Panzerläufe gesteckt. Die Revolution blieb eine der friedlichsten im Europa des 20. Jahrhunderts; lediglich zwei Menschen starben durch ein tragisches Unglück. Das Lied stammte von dem linken Liedermacher Jóse Afonso (1929-1987) und ist heute Bestandteil linker Musiktradition auch in Deutschland. Die Geheimpolizei PIDE hatte Angst und Schrecken verbreitet und doch gelang es den Revolutionären, deren Macht zu brechen. Doch die nun junge, zweite portugiesische Demokratie und dritte Republik stand lange auf tönernden Füßen. Der Rat der Revolutionäre (Junta do Salvação Nacional) hatte die Macht im Staate übernommen und darin waren keineswegs nur lupenreine Demokraten oder Revolutionäre zu finden, sondern es fanden sich darin auch Leute, die heimlich eine Konterrevolution von rechts planten. Deren führender Kopf und immerhin kommissarischer Staatspräsident war General António de Spínola (1910 bis 1986), der auch in Deutschland unter dem Titel "Der Mann mit dem Monokel" bekannt war, der sich an die Spitze dieser Bewegung stellte und damit beinahe einen Bürgerkrieg auslöste. Dem deutschen Journalisten Günter Wallraff (*1942) ist es wahrscheinlich zu verdanken, dass diese Pläne 1975 auch in der Bundesrepublik bekannt wurden. Es war eine Zeit, da stand Portugal im allgemeinen Interesse der bundesdeutschen Medien, ja der Bevölkerung. Bis in Spielshows reichte diese Bedeutung. Legendär eine Sendung von Rudi Carrell (1934 bis 2006), der in einer Livesendung vom Laufenden Band auf die aktuellen politischen Entwicklungen in Portugal einging und seine Kandidaten dazu befragte. Und Dr. Mário Soares (*1924), Os bochachos (Der Pausbäckige), dicker Anwalt aus Lissabon, gründete 1973 auf einem SPD-Parteitag die Sozialistische Partei Portugals (PS). Nach dem gescheiterten Putsch der Konterrevolutionäre war das Jahr 1976 sehr bedeutend für Portugal: Die Ausarbeitung einer Verfassung, die ersten freien Parlaments- und Präsidentschaftswahlen und die Angst des Westens, dass Land könnte von einer faschistischen Diktatur in eine kommunistische fallen, bestimmten das Jahr. Erster frei gewählter Ministerpräsident wurde Dr. Mário Soares, ein weiterer General, der zwielichtige António dos Santos Ramalho Eanes (*1935), wurde zum Staatspräsidenten gewählt (und blieb als einziger Militär Westeuropas bis 1986 im Amt an der Staatsspitze). Langsam konsolidierten sich die junge Demokratie, trotz so manchem Chaos der Anfangszeit. Die Großgrundbesitzer wurden enteignet und Agrarkollektive gegründet, vor allem im Alentejo oder Tras-os-Montes (Hinter den Bergen), wo endlich Bauern eigene Felder bestellen konnten, ohne sich auf einen Großgrundbesitzer stützen zu müssen, der sie zumeist ausbeutete.

Entkolonialisierung des Landes

Eines der entscheidenden Punkte der Nelkenrevolution war die Entkolonisierung, d.h. die Unabhängigkeit für die meisten Kolonien Portugals in Übersee. Brasilien war bereits 1822 im Zuge der Nachwehen der Napoleonischen Kriege unabhängig geworden. 1961 hatte Portugal seine Kolonien an der Malabarküste Indiens verloren; durch einen Einmarsch indischer Truppen in Goa, Diu und Damão endete Europas Präsenz auf dem Subkontinent. Auch in Afrika und anderen Teilen Asiens emanzipierten sich die Völker. In Afrika entstanden die Nationen Angola, Mosambik, Republik der Kap Verden, Guinea-Bissau, Republik São Tóme und Principe, teilweise kaum überlebensfähige Kleinstaaten, die bettelarm blieben. In Angola und Mosambik lähmten jahrzehntelange Bürgerkriege jegliche Entwicklungen in diesen Ländern. Heute allerdings sind diese Länder aufstrebende Staaten, die nun selbst zu Einwandernationen- vor allem von Portugiesen- wurden. In Asien war es Ost-Timor, dass 1975 seine Unabhängigkeit erklärte, aber von Indonesien ein halbes Jahr später wieder annektiert wurde. Es dauerte dann noch bis ins Jahr 2002, als Osttimor endlich wieder unabhängig wurde. Macao, seit über fünfhundert Jahren in portugiesischen Besitz, folgte als letzte europäische und portugiesische Kolonie 1999 dem Beispiel Hong Kongs und wurde an China zurückgegeben.

Fallende Diktaturen

Die Nelkenrevolution löste einen Dominoeffekt aus, der bis nach Spanien und Griechenland strahlte. In Spanien war es der greise General Francisco Franco y Bahamonde (1892 bis 1975; regierte von 1939 bis 1975), der 1975 hochbetagt starb und den heutigen König Juan Carlos I. (*1938) als Nachfolger bestimmte, in der Hoffnung, die Monarchie würde seine Gedanken als Nachfolge weitertragen. Doch der König weigerte sich und führte Spanien in die Demokratie. Als Beispiel galt ihm das Nachbarland. Auch die Obristenregierung in Griechenland erlebte 1974 ihr letztes Stündlein: Georgios Papadopoulos (1919 bis 1999), der Führer der Militärdiktatur, musste letztlich 1974 vor allem aufgrund des Drucks des Westens sein Regime aufgeben. Auch Griechenland wurde nun wieder Demokratie.

Und Portugal heute?

Im Modernen Portugal hat man mittlerweile gemerkt, dass viele Errungenschaften der Nelkenrevolution durch konservative und manche sozialistische Regierung wieder zurückgenommen wurden. Die Finanzkrise hat das Land fest im Griff und manch einer sieht es gar als Rache konservativer Kreise an, das Land zu schwächen, um sich für die Schmach vom 25. April Rächen zu können und auf andere, als der herkömmlichen Weise Schaden anzurichten. Andere, wie man 2013 live im portugiesischen Fernsehen miterleben konnte, versuchten auf eigenwillige Wege, den Geist der Nelkenrevolution wieder aufleben zu lassen. Während einer Parlamentsdebatte des amtierenden Premierministers Pedro Passos Coelho (*1964, PSD) sangen von den Zuschauerrängen junge und alte Menschen die Hymne der Nelkenrevolution. Unsanft verwies man sie des Saales. Aber der Flashmob hat gesessen: Für gut drei Minuten konnte Passos Coelho nicht reden und das Land (indirekt auch die Welt) konnte sehen, dass man ohne Gewalt und kreativ demonstrieren kann und das der Geist der Nelkenrevolution auch noch in vielen jungen Menschen steckt.

Die moderne portugiesische Demokratie versucht, eine Symbiose zu schaffen und eine Kultur darzustellen, die versucht, alles und jeden zu vereinen und gleichzeitig die Gegner mit ihren eigenen Waffen zu schlagen. So gibt es im Land Denkmäler integralistischer und rechtskonservativer Politiker und Intellektueller und niemand käme auf die Idee, Bücher von Antonio Manuel de Sousa Sardinha (1887 bis 1925), Marcello Caetanos oder Afonso Lopes Vieiras (1978 bis 1946) zu verbieten. Sie finden sich in vielen Bibliotheken und Buchhandlungen und werden kaum gekauft, außer von Menschen, die an dieser Thematik aus welchen Gründen auch immer stark interessiert sind. Ergo ist die Rechte in Portugal kaum Präsent, Rechtspopulistische Parteien kriegen im ganzen Land nur ein paar hundert Stimmen und Übergriffe auf Einwanderer, z.B. aus den Kolonien, sind höchst selten. Sie kommen vor, aber sie sind weder Standard noch Alltag. Das Verhältnis Portugals zu seinen früheren Überseeprovinzen ist außerordentlich gut und im portugiesischen Commonwealth, der Vereinigung der Staaten Portugiesischer Sprache(Comunidade dos Países de Língua Portuguesa CPLP), sind die Staaten gleichberechtigte Partner. Viele Schwarze sind heute als Fußballer, Schauspieler und Sänger im Land tätig und allgemein anerkannt, obwohl es auch in einigen Teilen der Bevölkerung lateten Rassismus gibt. Noch ein Wort zum "Lusotropicalismo", einer Variante des portugiesischen Faschismus, der versuchte dem Ausland vorzugaukeln, dass man ja eigentlich kein Faschist sein kann, wenn man schwarze Spieler wie Eusebio (1942 bis 2014) oder Coluna (1935 bis 2014) in seiner Fußballnationalmannschaft hatte, wenn man zum Grand Prix Eurovision de la Chanson 1967 den ersten schwarzen Sänger Europas schickte (Eduardo Nascimento, *1944) oder wenn man beim Testosteron gebeutelten Stierkampf einen schwarzen aus Mosambik antreten lies (Ricardo Chibanga, *1942), sollte das alles nur ablenken von den wahren Problemen des Landes. Der Lusotraopicalismo, von dem brasilianischen Soziologen und Anthropologen Gilberto Freyre (1900 bis 1987) eigentlich als das Gegenteil begründet, als was der Faschismus daraus machte, nämlich den Versuch, die lusophonen (portugiesischsprachigen) Staaten als gleichberechtigte Partner nebeneinander existieren zu lassen und deren Bürgern in den jeweils anderen Staaten die Möglichkeit des gleichberechtigten Lebens in der Gesamtbevölkerung zu geben, wurde eben durch Salazar missbraucht, um sich offener zu zeigen, als man in Wirklichkeit war. Auch die Weltausstellung portugiesischer Staaten 1940 (Exposição do Mundo Português) in Lissabon- wo jedes Land und jede Region einen eigenen Stand hatte und sich präsentierte- war nichts anderes als ein Feiern des Kolonialismus mit anderen Mitteln. Heute hingegen hat man den Lusotropicalismo in seiner Urform, wie ihn Freyre sah, erkannt und umgesetzt. Das ist der Kern des heutigen, multikulturellen Portugal. Einem Land, das in keine Schublade passt und sich am Rande Europas vieler westlicher Vorurteile entzieht. Trotz der Krise hat die Nelkenrevolution also gewirkt. Wir feiern heute ihren 40. Jahrestag. Das ist eines der großen Erben, die Portugal der Menschheit neben den Entdeckungen (nicht zu verwechseln mit der Expansion übers Meer und dem Kolonialismus!) der Welt hinterlassen hat.

Ende.

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