Die Seele der Wände- über den Klau von Kulturgut

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Vorab möchte ich, bevor ich zum eigentlichen Thema komme, folgendes sagen: Viele werden zu diesem Artikel sagen, Portugal hat wohlmöglich andere Probleme, als sich um ein paar Kulturgüter zu kümmern. Die wirklich großen und schlimmen sozialen Zustände in Portugal sind mir ein Begriff, habe ich doch selbst reichhaltig Verwandtschaft dort, die auch teilweise betroffen ist. Es schmerzt mich zu sehen, wie dieses Land ausverkauft wird, wie Banken und Konzerne aus dem Ausland meinen, Portugal wäre Gemeingut des Kapitalismus und für Lau zu haben. Auch die Neoliberalen Ansätze der Regierung Passos Coelho, die versucht, die letzten Sicherheiten der Bevölkerung, die Fluggesellschaft TAP (Transportes Aereos de Portugal- Air Portugal), die staatliche Eisenbahngesellschaft CP (Comboio Portugues) und den Staatssender RTP (Radio-Televisao Portugal) zu verscherbeln, können einen die Tränen in die Augen schießen lassen. Vielleicht sind das auch die Gründe für das, was ich nachfolgend berichte...

Kultur ist- das ist meine Meinung- Allgeimeingut, dass heißt, es gehört allen Menschen. Meiner Meinung nach dient es vor allem Dingen der Ablenkung und Zerstreuung und kann in Krisenzeiten sehr dienlich sein, damit die Menschen auch mal auf andere Gedanken kommen, als sich nur mit der Krise zu beschäftigen (das macht nämlich auch krank). In Portugal ist es üblich, dass öffentliche Gebäude-Rathäuser, Herrensitze, Bahnhöfe, Kirchen, Klöster, etc. zumeist an den Außenwänden mit sogenannten "Azulejos" verkleidet sind. Das sind quadratische Kacheln, die seit dem 15. Jahrhundert neben der Manuelinik zu den bedeutenden Beiträgen der Portugiesischen Kultur im Bereich von Dekor und Architektur zu zählen sind. Neben so manchen Mustern sind dort auch oftmals historische oder regionale Bilderszenen zu sehen, so das vor allem die einfache Bevölkerung, die früher in Portugal kaum lesen und schreiben konnte, dennoch die Möglichkeit hatte, an den großen kulturellen und geschichtlichen Fragen des Landes teilhaben zu können. Diese Kachelkultur wurde von den Mauren, also den Arabern, während der Besetzung der Iberischen Halbinsel, in Portugal, dass damals ein Teil des Emirates von Cordoba war, eingeführt. Man kennt eine solche Kachelkultur, die übrigens nicht nur an Außenwänden zu finden ist, sondern auch im Inneren von Häusern, auch in den Niederlanden und natürlich in Spanien. Portugal gilt allgemein als das Land der Azulejos weltweit.Und auch in den ehemaligen Kolonien, etwa in Brasilien, Macao oder Goa, gibt es zahlreiche Gebäude mit solchen wunderschönen Kacheln. Soviel zum Verständnis.

Nun gibt es in Lissabon Banden, die nachts um die Häuser schwirren und in stundenlanger Arbeit die teilweise wertvollen, aus der Renaissance-Zeit stammenden Kacheln abmeißeln und sie Händlern zum Verkauf anbieten. Ja, und man muss sagen: es gibt sogar offizielle Läden mitten in der Innenstadt Lissabons, die solche Kacheln verkaufen, verscherbeln muss man sagen, lieblos in die Ecke geworfen, Kunst für 10,- Euro, obwohl dies Allgemeingut ist. Auch auf dem berühmten Feira de Ladra, Portugals größten Trödel- und Flohmarkt, verkauft man frech uralte Kacheln, als gäbe es kein Morgen. Und der Staat schaut tatenlos zu. Wegen der Finanzkrise gibt es keinen Kulturminister mehr. Sicher, Geld wird dabei eingespart, dass ist verständlich, aber entstehen durch die Schäden an den Gebäuden und anderen Kulturstätten vielleicht nicht mehr Kosten, als wenn man jemanden hätte, der sich offiziell darum kümmert? Und die einfachen Menschen, die im Kulturwesen arbeiten; sie erhalten ja auch ein Einkommen, wenn man nur Museen verfallen lässt, macht man diese Leute auch arbeitslos (z.B. Pförtner, Ticketverkäufer, Sicherheitspersonal, dass sind ja zumeist einfache Bürger). Dass man die Kultur in Portugal nie besonders schützte, war mir klar, dass man aber tatenlos zusieht, macht mich wirklich wütend! Man stelle sich in Deutschland folgendes Szenario vor: Diebe sägen bedeutende, von wichtigen Bildhauern erschaffene, Skulpturen ab und bieten diese zum Verkauf im Internet oder aber auf Flohmärkten an. Das Geschrei wäre groß und zurecht würde der Staat sofort eingreifen und die Öffentlichkeit würde auch demonstrieren. Denn Kulturgut hat auch viel mit Demokratie zu tun. Wenn nur noch Reiche daran teilhaben können, dann ist es keine Kultur mehr, dann ist es Konsum, aber nur für die gehobenen Schichten.

Der Ausverkauf portugiesischer Kultur begann mit dem Beitritt des Landes zur Europäischen Union 1986. Die Regierungen beschäftigten sich lieber mit dem Bau von Autostradas (Straßen), die so bedeutende Städte wie Miranda do Douro mit Vila Real de Santo Antonio verbanden (die eine liegt im Norden, die andere im Süden des Landes), anstatt sich mit Bildung und der Erhöhung von Sozialleistungen, den krassen sozialen Konflikten der lusoafrikanischen Einwanderer (das ist nicht gegen diese gerichtet, der Staat hat sich nicht gekümmert um diese Leute) oder gar der Kultur zu beschäftigen. Schon das Pousada-Wesen in Portugal, die Umwandlung von ehemaligen Klöstern, Burgen und Herrensitzen zu Hotels- natürlich nur für die Superreichen aus In- und Ausland (da kostet eine Nacht auch mal schon 350,- Euro)- hat viel von der Kultur des Landes zerstört. Der Öffentlichkeit stehen diese Bauwerke zur Besichtigung nicht mehr zur Verfügung. Ein Beispiel ist ein Hotel in Lissabon, dessen Namen ich nicht nenne, dass aber früher ein Grafenschloss war. Heute ist es eines der teuersten und feinsten Hotels der Iberischen Halbinsel. Dass dort Gemälde und andere für die Öffentlichkeit interessante Gegenstände sich befinden, ist ja egal, hauptsache, die Kasse klingelt (der Maler Columbano Bordalo Pinheiro, der einen Saal für den Grafen mit Bildern bestückte, der Marques de Pombal, dessen bekanntestes Porträt dort verrottet und der Graf von Valenca, dem das Anwesen gehörte, würden sich wohl im Grabe umdrehen, wenn sie wüssten, was es heute ist).

Eine Bitte habe ich noch an diejenigen, die den Artikel lesen und in nächster Zeit- beruflich oder privat- planen nach Lissabon zu kommen (und es hoffentlich an Kollegen oder Freunde, die das Planen, weitergeben): Kaufen Sie keine Azulejos auf Floh- oder Trödelmärkten und auch nicht in den Geschäften, schon gar nicht, wenn diese damit prahlen, Azulejos aus dem 15. oder 16. Jahrhunder zu besitzen! Schauen Sie sich lieber die Pracht an den Öffentlichen Gebäuden an oder besuchen Sie das offizielle Museum für Azulejos im ehemaligen Kloster Madre de Deus, damit tragen Sie indirekt zur Erhaltung und Erforschung dieses Kulturgutes bei!

Die Problematik kennt man aus Ländern der Dritten Welt, wo die Einfuhr etwa antiker Waren von Grabräubern auch hier nach Deutschland zurecht verboten ist. Das man dies wohl jetzt auch auf Europa ausweiten muss, ist ein Appell an portugiesische und deutsche Politiker, sich mit dem Thema von Kulturraub und Klau in Europa zu beschäftigen!

(Für interessierte habe ich hier den Link des Museums für Azulejos beigefügt, da kann man sich weiter informieren, wenn man es besuchen möchte):

mnazulejo.imc-ip.pt/

Ende.

22.04.2012

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden