Die Seele drängt- über künstlerisches Veröffentlichen

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Jeder, der irgendwie in die Kunst geht, muss sich die Frage stellen, etwas zu ver- öffentlichen, das heißt, dass Produkt des Schaffens der Öffentlichkeit, der Masse, der Allgemenheit, der Welt und damit auch dem Fremden zur Verfügung zu stellen, unabhängig vom Erfolg des künstlerischen Produktes. Zu diesem Thema gibt es- wie bei allem- zahlreiche Abhandlungen und Essays, die meisten beschäftigen sich jedoch mit der Frage der Öffentlichkeit etwa in den Sozialen Netzwerken oder der Öffentlichen Wirkung des Individuums im Öffentlichen Raum. Nicht-öffentlich ist damit eigentlich nur, was dem Menschen in seinem inneren selbst bekannt ist, was nicht einmal der unmittelbaren Umgebung, also der Familie und Freunden, bekannt ist. Dies würde ich als den "Kreis des Inneren" bezeichnen, während der "Kreis des Öffentlichen" alles das ist, was aus der Subjektivität und dem verschlossenen Inneren in die Welt tritt und nicht nur von Angehörigen, sondern auch von der Welt rezipiert werden kann. Schaut man sich Kunstwerke an, steckt in jedem davon auch etwas vom Autor, ob dieser es wahrhaben will oder nicht. Warum hat er gerade eine religiöse Skulptur geschaffen und keine historische? Warum malt er Landschaftsgemälde und keine religiösen Bilder? Warum komponiert er Popsongs anstatt Jazzpartien? Warum hat er einen Lyrikband veröffentlicht (da ist es wieder, das WORT) anstatt einen Roman? Der Künstler hat ja auch Interessen, die er unbewußt in das Werk einfließen lässt. Es bleibt aber die Frage, ob man eine Unterscheidung treffen muss, zwischen einem erfolglosen Künstler, der veröffentlicht und einem erfolgreichen, der auch veröffentlicht? Ist ein Künstler also nur dann ein Künstler, wenn er Erfolg oder aber, wenn er bereits etwas veröffentlicht hat? Diese Frage geht bis in das Wesen der Kunst selbst zurück. Die Frage des Erfolges ist dann auch interessant, weil sie in Sparten außerhalb der Kunst existiert und es trotzdem Menschen gibt, die in dieser Sparte tätig sind. Ein Beispiel dafür sind Köche. Ein Koch, der in einem einfachen Restaurant arbeitet, ist ein Koch, auch wenn er nicht fürs Fernsehen arbeitet und keine 30 Bücher zum Thema kochen veröffentlicht hat. Ein Arzt ist ein Arzt, auch wenn er in einer einfachen Klinik tätig ist und nicht den Nobelpreis für Medizin bekommen hat. Und ein Amateurfußballer darf sich Fußballspieler nennen, auch wenn er noch nie in der Bundesliga gespielt hat und niemals deutscher Meister sein wird (er wird sich nicht als Berufsfußballer bezeichnen, sondern sagen, wenn man ihn nach seiner Freizeit fragt, dass er Fußballer sei).. Ergo heißt das, dass auch der "Laien-, Amateur-, Dilettanten- und Hobbymaler-, komponist und autor" in diesem Sinne als Künstler zu verstehen ist, wenn es ihm gelingt, zu veröffentlichen. Dies sagt also nichts über seinen Erfolg aus. Auch wer nur einen kleinen Gedichtband mit der Auflage von 500 Exemplaren, von denen vielleicht allenfalls 10 verkauft werden, veröffentlicht hat, darf sagen, ich habe veröffentlicht, ich bin Lyriker, aber ich bin nicht erfolgreich oder prominent.

Immer wieder liest oder hört man von Künstlern aller Genres, die veröffentlichten, aber niemals bekannt wurden. Ginge man bei Wikipedia allein die Seiten der deutschsprachigen Lyriker durch, würden sich viele finden, von denen die Masse der Menschen noch nie irgendwas gehört, geschweige denn etwas gelesen hat. Und doch, das Werk ist da, es kann in Bibliotheken eingesehen und unter Umständen auch antiquarisch beschafft werden, man kann es lesen oder man das Bild anschauen, auch wenn den Künstler niemand kennt. Und hier kommt die entscheidende Frage: ist das Veröffentlichen ansich nicht schon eine Form des Ruhmes, des Erfolges? Sind berühmte Autoren oder Künstler nicht diejenigen, die einfach nur von einer Industrie gestützt wurden oder die mehr Glück hatten? Ist aber die Tatsache, dass man die grundsätzliche Möglichkeit hat, ein Werk irgendwo zu lesen, nicht schon Erfolg genug? Mit dieser Frage möchte ich mich eingehend beschäftigen: jedes Kulturprodukt, dass einmal in der Welt ist, erlebt immer eine Rezipierung durch einen Menschen. Selbst ein Schriftsteller, der niemals ein Interview gibt, der niemals im Fernsehen auftritt und nur seltenst in der Zeitung vertreten ist, ist eine öffentliche Person, denn man kennt seinen Namen und man redet über ihn, egal, wie häufig, egal wie bedeutend er ist. Menschen, die im künstlerischen Bereich (und in allen anderen auch) etwas veröffentlichen, brauchen Mut und Überwindung, schon das alleine ist Erfolg, zu wissen, andere könnten mein Werk lesen, mein Bild betrachten, Leute, die man selbst nicht kennt, die man in der Regel selbst niemals sieht, die sich ihre Gedanken- ob positiv oder negativ- machen; es ist in der Öffentlichkeit, in der Welt und damit dann auch dem eigenen Einfluss entzogen. Ja, veröffentlichen braucht Mut. Wer Lyrik schreibt- zumal als Mann- dem wird schnell gesagt, er sei entweder unterdrückt (von den Eltern, der Ehefrau, der Gesellschaft oder dem Chef), sei hochsensibel oder sogar homosexuell. Der Mut, etwas in die Öffentlichkeit zu tragen, ist also die eine Variante. Die zweite ist, wie oben bereits erwähnt, die Möglichkeit, dass fremde Menschen das Werk sehen können, ohne das man einen Einfluss auf deren Meinung und Denken hat. Damit ist das Individuum als Künstler auch verletzlich und angreifbar. Viele Menschen malen zum Beispiel Bilder, aber stellen diese niemals aus, allerhöchstens im Familien- und Freundeskreis und wünschen sich, dass nach ihrem Tod die Bilder vernichtet werden, was ja dann auch oft passiert, egal wie gut oder schlecht die Kunst gewesen ist.

Nehmen wir ein konkretes Beispiel. Ein Schriftsteller veröffentlicht in seiner "Karriere" als Autor gut 70 Bücher, zumeist Romane und Erzählungen mit kriminalistischen Inhalt. Er tut das unter seinem echten Namen und neben seinem Geburtsdatum und dem Geburtsort wird im Einband auch noch kurz seine berufliche Laufbahn dargestellt. Dieser Mann entscheidet sich nun, niemals ins Fernsehen zu gehen. Auch gibt er keine Interviews. Alle Bücher werden im ordentlichen Feuilleton besprochen, aber Porträts des Mannes gibt es auch in der Zeitung kaum. Und der Wikipedia-Artikel beschreibt nur das, was man mühsam aus den Einbänden der Bücher herausarbeiten konnte. Trotzdem steht der Mann- ob er will oder nicht- in der Öffentlichkeit. Und umso weniger man über ihn weiß, umso interessanter erscheint er. Mancher Fan wird versuchen, mehr herauszubekommen und auch der eine oder andere Journalist wird tiefergehend recherchieren, um etwas neues (das muss nicht immer kompromittierendes sein) zu finden. Was weiß man dann aber von diesem Menschen? Nun, dass er offensichtlich gerne schreibt, seinen echten Namen, sein Geburtsdatum, ein bißchen über seinen Werdegang und- was viel entscheidender ist- etwas über das, was ihn interessiert, ihn umtreibt. Dass er Krimis schreibt, kann ein Zeichen dafür sein, dass er eigene Ängste, Aggressionen oder Wut darin verarbeitet, Psychologen und Literaturwissenschaftler können, mit einer gewissen Erfahrung, wie ein Profiler, durchaus sehr, sehr nah an die Psyche des Mannes herankommen, was vielleicht dem einfachen Leser verborgen bleibt. Fakt ist also, dass das Öffentliche hier existiert, auch wenn keine 40 Millionen Deutsche den Autor kennen oder man nicht viel über ihn weiß, IST ER EIN TEIL DER ÖFFENTLICHKEIT. Ein anderes Beispiel: ein junger Mann, etwa 20 Jahre, veröffentlicht in einem kleinen Verlag ein Bändchen mit gut 60 neuromantischen, bisweilen auch schwülstigen Gedichten. Es sind die einzigen, die er jemals geschrieben hat und auch je veröffentlichen wird. Er ist keine spektakuläre Person, Auszubildender zum Elektriker, der oft Gedichte von Eichendoff oder Goethe gelesen hat. Was glaubt man, wie seine "Kumpels", Kollegen oder Mitazubis reagieren, wie die Chefs, die Lehrer in der Berufsschule usw.? Ein Handwerker, zumals noch sehr jung, der ausgerechnet gereimte, romantische Gedichte schreibt und diese dann auch noch veröffentlicht? Mit dem kann doch was nicht stimmen. Doch, es stimmt etwas mit ihm. Er hat zunächst Mut, denn mit Sicherheit wird ihm Spott und Hohn, Argwohn und vielleicht sogar Neid und Eifersucht entgegentreten. Sein innerstes hat er nach außen getragen, öffentlich, jeder, der es will, kann es kaufen, kann es sehen, kann es lesen. Selbst wenn diese Bücher nur über den Verlag zu erhalten wären, sie sind da, die Gedichte und es gibt kein zurück mehr. Er muss dazu stehen, ob er will oder nicht. Und wird es auch. Die Folgen können, müssen aber nicht kommen. Er kann plötzlich Erfolg haben, steht in der Zeitung, das Regionalfernsehen berichtet über ihn. Viele Wunden, die er in seinem Leben vielleicht erhalten hatte, werden dadurch geheilt, einmal das zu tun, was nicht jeder tun kann oder will. Fakt ist also, das Veröffentlichen kein Pappenstiel, keine Kinderei, nichts für schwache Gemüter ist, denn es kann, auch unter politischen Aspekten, sogar gefährlich werden. Es gibt in der Geschichte genügend Beispiele von Künstlern, die alleine wegen ihres Werkes ins Exil mussten oder müssen oder aber sich physischen Nachstellungen erwehren mussten.

Natürlich kann dieses Essay, wie übrigens kein Essay, je abschließend und erschöpfend sein. Zum Schluss lässt sich zum Thema Veröffentlichen also folgendes anmerken:

1.) Es gibt den Kreis des Inneren, also das was nur in meinem Geist, in meinem Kopf, Hirn, Seele ist und das außer mir niemand erfährt, auch nicht die Nächsten. Und es gibt den Kreis des Öffentlichen, bei dem es schon in der eigenen Familie anfängt, über Freunde und Kollegen bis zum anonymen Individuum, was mein Werk rezipieren kann und es vielleicht auch tut, worauf ich aber keinen Einfluss mehr habe.

2.) Die Frage, nach dem Fremden, der das Werk rezipiert, ohne das man darauf Einfluss hat, der mich kennt, ohne das ich ihn kenne, der sich vielleicht lustig darüber macht oder aber ergriffen ist und sich dennoch nicht mit dem Künstler austauschen kann. Hierbei geht es nicht um die Frage der Masse, sondern selbst wenn nur 5 Menschen aus ganz Deutschland den Gedichtband des o.g. jungen Lyrikers lesen und diesen nicht persönlich kennen, sind es 5 Menschen, die mehr über den Autor wissen, als dieser über sie.

3.) Der Erfolg ist nicht an ökonomischen Bedingungen zu messen, sondern der Grunderfolg JEDER Veröffentlichung ist, dass sie überhaupt stattfindet. Dass der Autor im stillen Kämmerlein an die Öffentlichkeit geht und sich mitteilt, das der Maler die Bilder, die ihn oder ihm nahestehende Menschen zeigen, einer Galerie übergibt, dass der Komponist ein Lied erschafft, dass vieles von den inneren Stimmungen und Gefühlen des Komponisten darstellt, dass plötzlich auf Arte ein Kurzfilm eines jungen Filmemachers gezeigt wird, der mehr über den Macher sagt, als ihm vielleicht bewußt und vielleicht auch lieb ist. Der ökonomische Erfolg, also zum Beispiel Verkaufserfolge wie Bestseller und der von mir genannte "prominente Erfolg", d.h. wenn jemand einer sehr großen Masse von Menschen vom Namen her bekannt ist, sind eigentlich Begleiterscheinungen des Grunderfolges des Veröffentlichens. Das Veröffentlichen ist erstmal die Basis, alles weitere die Brücke.

4.) Der Mut, der auch physische oder psychische Gewalt, sei es vom Staat oder von Individuen nachsichziehen kann, etwas zu zeigen von sich selbst, ist schon außergewöhnlich, da dies nicht jeder Mensch tut. Dies ist aber nicht mit Privatheit zu verwechseln. Wenn ich etwas veröffentliche, habe ich in der Regel auch die Entscheidung, was es ist und in welcher Form ich es veröffentliche, ob viel, ob wenig, ob das passt oder nicht passt, usw. Man sollte also nicht den Fehler begehen und von dem Kunstwerk auf den Künstler in seiner Gesamtheit schließen, auf alle seine Geheimnisse, seine Intimitäten, selbst wenn er uns einen Spalt in sein Inneres blicken lässt. Das Private ist in der Kunst immer noch geheim und tabu und verschließt sich gänzlich den neugierien Blicken des bewußt gewählten Auftritts vor dem Publikum oder der Welt. Erst wenn auch die Schranken des Privaten fallen, wenn die Geheimnisse camoufliert werden und der Künstler auch die letzten Instanzen des Intimen in die Öffentlichkeit zerrt, nur dann kann man sagen, er ist eine "Öffentliche Person" in wahrsten Sinne des Wortes. Aber die meisten intimen Dinge kommen bei Künslern- wenn überhaupt- erst nach dem Tode in irgendwelchen fachliterarischen Büchern heraus, die wiederum von der Masse der Menschen kaum zur Kenntnis genommen werden, weil sie den Künstler nicht kennen oder aber von der Publikation, die dann vielleicht nur in Fachkreisen eine Rolle spielt, nichts mitbekommen.

Ich persönlich würde mir wünschen, viel mehr zum Thema des Öffentlichen in der Kunst zu lesen. Aber es scheint, dass bis heute kaum Literatur dazu verfasst wurde. Vielleicht ist dieser Artikel ein Anfang?

Ende.

10.07.2011

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