Holly Johnson- Der Mystiker von London

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Die 1980er Jahre brachten einige bedeutende Bands und Künstler hervor, die sich vornehmelich mit homophilen Themen beschäftigen und es auch selbst waren: Erasure, Jimmy Sommerville und Bronski Beat, Marc Almond,Boy George, die geheimnisvollen Pet Shop Boys und der noch geheimnisvollere Holly Johnson. Dass Groß Britannien in dieser Zeit in der Thematik führend gewesen ist, ist erstaunlich, denn die sonst in der Musik tonangebenden USA können nicht annähernd soviele Gay-Popstars vermelden.

Schon der Vorname ist ungewöhnlich: Holly ist eigentlich ein Frauenname. Bekanntestes Beispiel ist etwa die Schauspielerin Holly Hunter. Warum er sich einen weiblichen Vornamen zum Künstlernamen wählte? Hier spielt er offensichtlich mit einer gewissen Androgynität. Homosexualität offen, für jeden sichtbar und doch verdeckt. Ebenfalls mystisch haucht an, dass er einer der letzten lebenden Promis mit AIDS ist, die aus dem klassischen Aidszeitalter übrig geblieben sind. Rock Hudson, Anthony Perkins, Freddie Mercury sind vor ihm gegangen- wie unzählige weitere Promis aus allen Genres und noch mehr nicht berühmte Leute. So ist sein (Über)leben auch ein Beispiel für viele HIV und AIDS erkrankte, die sich angesichts seines Überlebens Hoffnung machen dürfen.

Doch noch ungewöhnlicher als das vorgenannte waren seine Musikvideos. 3 Beispiele möchte ich geben: zusammen mit seiner Band "Frankie goes to Hollywood" (auch hier weiß niemand so recht, was inhaltlich damit gemeint ist, ein Frank geht nach Hollywood oder auf die Besetzungscouch? Lässt natürlich viel Platz für Spekulationen) interpretierte und sang er den berühmten Song "Relax"; in einer der beiden Videoversionen zerplatzt die Erde, es war das erste Mal, dass ein Künstler in einem Popviedeo so krass apokalyptische Szenarien malte. Die Erde, schon damals von Umweltzerstörung bedroht, zerplatzt angesichtts der menschlichen Gleichgültigkeit ihr gegenüber. Obwohl dieses Platzen der Erde sicher nicht diesen Umwelthintergrund gehabt hat, so ist es doch ein Synonym für die Warnung vor den Gefahren der Zerstörung unseres Planeten geworden. Im übrigen sorgte das Video wegen seiner offenen plakativen Sexualität für einen Skandal und wurde damals von der BBC nicht gespielt. Das verwundert im Groß Britannien einer Margaret Thatcher jedoch keineswegs. Das zweite ungewöhnliche Video ist "The Power of Love", ein Weihnachtssong. In diesem Lied und dem dazugehörigen Video wird die Weihnachtsgeschichte erzählt, so weit so gut. Das besondere daran ist jedoch, dass die Detailgenauigkeit dieses Videos einen umhaut: Kostüme, Aussehen der Protagonisten, Hintergrund, alles ist so echt nachgestellt, dass dieses Video doch glatt als Trailer für einen Kinofilm zum Thema Jesus Christus dienen könnte. Von einem Künstler wie Johnson hätte man so etwas wohl am wenigsten erwartet, denkt man doch (Achtung, Vorurteile!), dass homosexuelle Künstler die Religion verachten und alles, was sie in diesem Zusammenhang darstellen, dann ebenfalls eine Verachtung der Religion darstellt. Nicht so dieses Video: auch der spießige Papa vor dem heimischen Fernseher wird sich dieses Video ansehen können, selbst wenn er nicht weiß, dass der Künstler schwul ist. Denn es ist ein Video für die ganze Familie. Video Nummer 3 ist "Love Train", das jüngste der 3 Videos. Es ist einfach herrlich kitschig. Aber- bis auf ein paar Videos der mysteriösen Zeitgenossen PET SHOP BOYS- war das Tragen von Zylindern und Handschuhen auch schon am Ende der Achtziger Jahre ziemlich verpönt. So bleibt der "Liebeszug" auch als ein letztes Zucken einer Mode aus vergangener Epoche übrig, die damals schon längst untergangen war.

Johnson kommt aus der Punk-Szene und war Mitglied der Gruppe BIG in Japan, auch schon wieder so ein Wortspiel, ein Schelm, der böses dabei denkt. In den 80er Jahren war Johnson groß, wirklich groß, einer dieser vielen britischen Popstars, die im Fernsehen rauf und runter gespielt wurden, als gäbe es nur Musik von der Insel. Fast jeder, der in dieser Zeit gelebt hat und Kind oder Jugendlicher war, kennt ein Lied von Holly Johnson. In dieser Generation, zu der auch ich noch gehöre, bleibt er unsterblich. Doch ist es ruhig um ihn geworden. Eine zweite Karriere als Maler hat er sich aufgebaut, doch darf man keinen neuen William Turner oder gar einen zweiten Picasso erwarten. Das Oeuvre als Maler steht natürlich im Schatten des Popsängers. Man wird ihn immer in erster Linie als Sänger wahrnehmen, denn als Maler. Vielleicht wird erst posthum auch der Wert seines malerischen Werkes gewürdigt werden. Dies bleibt abzuwarten. Die Fernsehauftritte außerhalb des Königreiches wurden in den letzten Jahrzehnten auch immer weniger und dies hatte nicht nur mit dem Gesundheitszustand des Sängers zu tun, sicher spielten auch die Umwälzungen in der Popmusik eine Rolle, die für Musik, die er und die anderen oben genannten gemacht hatten, keinen Platz mehr hat. Um Holly Johnson schwebt also immer das Geheimnis, das Mysterium des Kitsches, der Schönheit, des Wahren und des Guten. Wenn man in einhundert Jahren auf die 80er Jahre zurückblicken wird, dann wird Johnson als ein Teil der Musikkultur dieser Zeit sicher seinen Platz im Pantheon gefunden haben.

Ende.

24.06.2011

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