Poetischer Diplomat- wie ich Hessel entdeckte

Nachruf Mein etwas anderer Nachruf auf den ungewöhnlichen Diplomaten, Dichter, Poesie-Fan, Menschenrechtler und Buchautor Stephane Hessel.

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Es war ein sonniger Tag, als ich von der Arbeit kam (damals noch Teilzeit) und das Mittagsmagazin anmachte. Darin wurde über einen alten, deutschsprechenden, französischen Diplomaten mit dem Namen Stephane Hessel gesprochen. Dieser sollte einen Preis erhalten und man zeigte auch etwas über sein Leben. Von Hessel hatte ich vorher noch niemals etwas gehört, was die aber berichteten, fand ich mehr als interessant: Sohn eines Schriftstellers, Holocaustüberlebender mit Identitätstaussch, Mitunterzeichner der Charta der Menschenrechte, Apologet algerischer Arbeiter, Diplomat, Lyriker, leidenschaftlicher, privater Gedichtrezitator. Eine Person mit einer solchen Vielseitigkeit war mir zu diesem Zeitpunkt unbekannt. So wollte ich mehr über diesen älteren Herren erfahren und ging davon aus, dass es in Wikipedia einen Artikel über ihn gab- gab es aber nicht. Und die Informationen waren spärlich gestreut. Sicher, Herr Hessel war zwar nicht völlig unbekannt, aber auch längst nicht der prominente Autor, wie er es nach seinem berühmten Essay war. Es gab diesen kurzen Clip, eine Dokumentation und diverse Zeitungsartikel über ihn, die man- verstreut- im Internet finden konnte. Also dachte ich mir, da muss ein Wikipedia-Artikel her. Und so legte ich diesen an- am 28.02. 2009 von mir angelegt, mit den Infos, die ich halt im Netz finden konnte. An der späteren Ausgestaltung des Artikel war ich nicht mehr beteiligt, denn ich hätte auch niemals geglaubt, dass eine Person, über die ich einen Artikel anlege, im deutschsprachigen Raum so bekannt würde wie Stephane Hessel. Damals dachte ich, na ja, der Artikel bleibt so klein, wird sich höchstens marginal erweitern und irgendwann kommt die Todesnacht und dann erscheint das unter ferner liefen. Pustekuchen. Als ich in der Zeitung erstmals von Hessel Buch "Empört Euch" las, freute ich mich, was dann folgte, machte mich im positiven Sinne sprachlos: Hessel bei Bettina Bötticher, Hessel in 3 Sat, Hessel hier und Hessel da. Manchmal glaubte ich gar- obwohl das natürlich unwahrscheinlich ist- ob dieser kleine Artikel nicht eine rießige Lawine losgetreten hatte? Man weiß ja, dass gerade Printjournalisten immer auf der Suche nach neuen und interessanten Geschichten und Gesichtern sind und ein solcher Diplomat wie Hessel hatte es in dieser Art vorher noch nicht gegeben.

Mir war es nicht vergönnt, Herrn Hessel persönlich kennenzulernen, obwohl er nach erscheinen des genannten Buches mindestens zweimal in meiner Heimatstadt war, hat sich das einfach niemals ergeben. Aber ich verfolgte alles, was über Hessel geschrieben wurde, ja, ohne komisch zu wirken, ich war vielleicht so etwas wie ein Fan von ihm. Ich fand einfach nur großartig, in dem Alter noch geistig klar und körperlich fit zu sein und anstatt Golf an der Algarve zu spielen oder Champanger in St. Tropez zu schlürfen, wie das viele in ihrem Ruhestand machen, lieber für Gerechtigkeit zu kämpfen.

Auf seine Äußerungen im Bezug auf Palästina möchte ich hier nicht eingehen, da ich finde, sie gehören nicht in einen Nachruf und sie sind eben eine Meinungssache, so wie alles, was wir sagen und oftmals auch machen.

Als ich hörte, dass junge Frauen und Männer, Studenten, Arbeiter, Auszubildende in Madrid, Athen, Lissabon, Paris ihn wie einen Guru verehrten, erinnerte mich das ein wenig an die Bilder die man vom Ende der Sechzigerjahre aus Deutschland kannte: die Vertreter der Frankfurter Schule, oftmals Juden, Männer wie Theodor W. Adorno, Max Horkheimer, Herbert Marcuse, intellektuelle Schwergewichte, aber viel Jahrzehnte älter als ihre Studenten, wurden von diesen ja fast vergöttert. Ihre Werke waren die Bibeln der 1968er Generation. Und- wie so oft- Geschichte wiederholt sich doch: die Occupy-Bewegung war auch eine Art 1968er Bewegung, mit anderen Prämissen, sicher, diesmal global, aber die Jugend umtreibend und Stephane Hessel war der Guru dieser Bewegung: Jude wie Adorno, jahrzehnte (diesmal noch mehr als bei Adorno) älter, wenn nicht vergöttert, so doch verehrt von Milionen junger Menschen. Hessel wird in der Geschichte immer einer der geistigen Väter dieser Bewegung bleiben, er ist damit eng verbunden.

Was wird von Hessel bleiben? Neben seinen Büchern auch sein Humor, den er in den lezten Jahren oft im Fernsehen zeigen konnte. Und noch etwas, etwas schönes und außergewöhnliches: in Zeiten, in denen Lyrik kaum mehr Bedeutung zu haben scheint, ist Hessel der letzte globale Kämpfer für Goethe, Schiller und Co. gewesen, ohne dabei den moralischen Zeigefinger in den Wind zu halten. Er liebte die Poesie, vielleicht auch, weil man in einem KZ nur mit Poesie überleben kann? Dahinter verbirgt sich auch das kryptische Vermächtnis des Stephane Hessel: Der Kampf für Gerechtigkeit und der Kampf für eine schönere Welt durch die Poesie, dass sind die zwei Dinge, die bis ans Ende aller Zeiten von Monsieur Hessel bleiben werden, da bin ich mir sehr sicher!

Ende.

02.03.2013

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