Schwarzbuch Kolumbus- Held o. Betrüger?

Neugeschichtssicht Wer war Christoph Kolumbus wirklich? Dieses Essay geht der Frage nach, wie Kolumbus durch die Medien aufgebaut wurde und welche Folgen das bis heute hat.

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"Ein Mann der sich Kolumbus nannt... widewitt bum bum" schallt es durch die Grundschule. Kaum eine Gestalt der Geschichte hat es jemals geschafft, soweit in die Köpfe schon von Kindern zu gelangen (und das seit Jahrhunderten) und so in der Gesamtgesellschaft bekannt zu sein wie dieser Christoph Kolumbus. Allenthalben, man stolpert überall über ihn: geographisch (Staat Kolumbien, British Columbia, Colombo (Hauptstadt von Sri Lanka), historisch (Entdecker Amerikas, präkolumbianische Ära) oder sogar sogar im Entertainment (Kommissar Columbo, Abwandlung von Kolumbus). Vielleicht nur Napoleon,Kennedy, Marilyn Monroe, Albert Einstein und Che Guevarra können eine solche Bekanntheit vorweisen. Die Geschichtsträger der Vergangenheit haben volle Arbeit geleistet: Auch in Zeiten, wo es kein Internet, Radio und Fernsehen gab, wo Zeitungen zwar existierten, aber nicht tiefgehend berichten konnten, waren es Bücher, das damals wichtigste Medium, dass die "Entdeckungs- und Abenteuergeschichten" diverser Seefahrer und Entdecker in immer wieder neuen Auflagen herausbrachten. Bis heute scheint die Faszination zu bestehen, ja nicht abgerissen zu sein. Schaut man sich die Kataloge von Buchhändlern und Versandketten an, finden sich darin immer wieder auch Bücher, die um das Zeitalter der Entdeckungen kreisen. Natürlich werden auch die "Konkurrenten" von Kolumbus porträtiert, die oftmals auch keine Kinder von Traurigkeit waren. Immerhin wurde nach Americo Vespucci ein ganzer Kontinent benannt, Vasco da Gama revolutionierte den Welthandel bis heute (und ist wahrscheinlich auch an der ökonomischen Globalisierung schuld) und Fernando Magellan schloss die letzten, von der Schifffahrt nicht bekannten Gebiete auf dem Erdenrund. James Cook brachte uns die Exotik von Ozeanien nahe, Alexander von Humboldt die Tiere und Pflanzen der Neuen Welt. Bis Thor Heyerdahl reicht die Kette der Entdecker, Seefahrer und Forschungsreisenden aller Nationen und Kontinente, die oftmals mit dem Schwert eroberten, mit Feuer regierten und mit dem Tod antworteten. Den Entdeckern folgten die Eroberer: Pizarro und Cortes, Almagro, Lope de Aguirre und viele andere Spanier legten die mesoamerikanischen Königreiche in Schutt und Asche, garrotierten deren Herrscher, vernichteten unglaubliches Kulturgut und führten sich als "Weiße Götter" auf, was sie aber nicht waren. Ihre iberischen Nachbarn versklavten die Afrikaner und deren größter "Eroberer", Affonso de Albuquerque, zerschoss die halbe Malabarküste. Nein, es war nicht immer alles Gold, was glänzt.

Doch kommen wir zurück zu unserem eigentlichen Thema, Kolumbus. Schon seit meiner Jugend treibt mich die Frage um, warum soviel Tamm Tamm um gerade diesen Mann gemacht wird? Mal abgesehen, was man allgemein von den Entdeckungen hält, wäre die Frage, entweder alle oder keiner. Geht man nicht von der Menschenrechtsfrage, sondern von der geographisch-anthropologischen Komponente aus, d.h. dass man fragt, welche Bedeutung für die Weltgeschichte hatte Kolumbus eigentlich, muss ich sagen- null, nichts. Ich will auch begründen, warum.

1.) Entdecker von Amerika? Da gab´s doch ein paar andere davor...

Die Wikinger landeten im 11. Jahrhundert an der Küste von Nordamerika, genauer in Kanada, in einer Gegend, die von Ihnen "Vinland", Weinland, genannt wurde. In L`Aise aux Meadows ist die einzige Wikingersiedlung auf amerikanischen Boden nachgebaut worden. Auch Eskimos und Inuit aus Grönland dürften schon längst vorher gewußt haben, dass es da westlich Land gab. Und die Inuit standen ja in Kontakt mit der dänischen Krone, also einem europäischen Land. Der portugiesische Fischer Joao Fagudes Labrador entdeckte viele Jahrzehnte vor Kolumbus die nach ihm benannte Halbinsel in Kanada und auch Joao Corte-Real soll zusammen mit dem Deutschen August Pinning rund 20 Jahre vorher im Auftrag des dänischen Königs die Küsten jenseits von Grönland erforscht haben. Wohlmöglich ist er auch in Amerika gelandet. Ganz zu schweigen von den Theorien, die diverse Autoren aufgestellt haben, dass schon Ägypter, Römer und Chinesen Kontakt zu Mesoamerika gehabt haben sollen, obwohl es dafür keine schriftlichen Quellen gibt. Die archäologischen Fundstücke, die unter Anderem der schweizer Autor Luc Bürgin in seinen Büchern beschreibt und die auf einen Kontakt zwischen Römern und etwa Tolteken oder Olmeken hinweisen, sind von der "ordentlichen" Archäologie bisher nicht anerkannt worden. Ob es Verschwörungstheorien sind oder Realität, eins steht fest: Kolumbus war nicht der erste Europäer auf dem Kontinent, er war allenfalls Wiederentdecker Amerikas und seine Entdeckung fiel in eine Zeit, in der durch die gutenbergische Revolution des Buchdrucks es erstmals möglich war, Wissen massenhaft zu verbreiten und das galt auch für die Erstellung von Karten bzw. die Karthographie. Daher wurde die Entdeckung in ganz Europa bekannt, weil sie erstmals dokumentiert werden konnte, anders als die der Wikinger, über es nur ganz spärliche, aber gut erforschte Berichte gibt. Medien schaffen Bekanntheit- und was für Stars und Sternchen gilt, galt auch für Entdecker, die Wiederentdeckung Amerikas ging wie ein Lauffeuer durch den Kontinent und als Held feierte man diesen Kolumbus, der das aber ohne die Finanzierung durch die Krone und vor allem die unglaublichen Leiden seiner Mannschaften und einen hohen Blutzoll an einheimischen, wie den Tainos auf Kuba, niemals hätte schaffen können. Die Hyperrealität und die "Gesellschaft des Spektakels" haben hier ganze Arbeit geleistet. Kaum einer fragt nach den Grundlagen, warum Kolumbus überhaupt in der Lage war, nur daran zu denken, eine Expedition nach Indien zu leiten, er war ja nichtmal Adliger wie etwa Vasco da Gama. Kolumbus hatte rund 10 Jahre in Portugal bzw. auf einer zu Portugal gehörenden Insel gelebt, auf Porto Santo, der Schwesterinsel von Madeira Dort war er mit der Tochter des dortigen Generalgouverneurs! verheiratet. Sein Bruder Bartholome war Karthograph am Hofe der Könige Dom Affonso V. und Dom Joao II. in Lissabon. Dort hat Kolumbus wohl auch sein Wissen über Nautik erhalten, legten damals doch viele Schiffe an, die von Afrika zurückkehrten. Auch die mathematischen, karthographischen und nautischen Kenntnisse seines Bruders sowie ein denkwürdiges Treffen zu See mit dem damals bekanntesten Entdecker vor Kolumbus, Bartholomeu Dias, dürften ihm ein umfangreiches Wissen zu diesem Sudjet gebracht haben. Doch nach der Bedeutung dieses Wissens fragt niemand. Kolumbus fiel nicht vom Himmel, es war, wie ein Wissenschaftler mal schrieb, sein Aufenthalt in Portugal und das Wissen, dass er dort erlangte, dass ihn letztlich die Möglichkeit gab, Kommandant eines Schiffes sein zu können. Auch die berühmte Szene, die in die Weltgeschichte einging, der "böse" König von Portugal, Dom Joao II, habe den "armen" Kolumbus abgelehnt (böse Zungen sagen, weil Kolumbus Jude war) und das "nette" Ehepaar im Nachbarland ihn mit offenen Armen aufgenommen, stimmt so auch nicht. Viele Jahre musste er auf eine Audienz warten, die er bei Joao viel einfacher erhalten hatte und er stand kurz davor, nach Frankreich zu gehen, da auch die spanischen Könige sich erst als zäh erwiesen. Lediglich die Angst der spanischen Krone, Frankreich und Portugal als Hauptkonkurrenten könnten irgendwie davon profitieren, brachten ein Umstimmen des Kronrates mit sich. Kolumbus wurde zur See geschickt, um Frankreich, England und Portugal zu demütigen und weil man auf Gold aus Indien hoffte, nicht, um der Menschheit neues Wissen zu bringen.

2.) Der Mythos der Herkunft- Franzose, Kastillier, Spanier, Portugiese? Nichts davon

Wenn man auf der Straße in den 1990er Jahren einfache Deutsche fragte, nennen sie mir bitte einen berühmten Portugiesen, der ihnen spontan einfällt, dann fielen nicht Namen wie Eusebio, Vasco da Gama, Mario Soares oder Fernando Pessoa, sondern zumeist einer ganz konkret: Kolumbus. Viele Menschen glauben heute noch, Kolumbus sei Spanier, Portugiese, manche sogar, er sei Franzose gewesen. Doch auch hier hat die Wissenschaft ganz bewußt die Menschen in ihrer Unwissenheit belassen; eine Person, deren Herkunft nicht genau bekannt ist, ist eben viel interessanter als jemand wie etwa da Gama oder Vespucci. Ironie der Geschichte: anders als bei Da Gama, der immerhin Adliger war, kennt man das genaue Geburtsjahr von Kolumbus und auch die Geburtsstadt ist verrifiziert, die Kindheit und Jugend sind relativ gut erforscht, alles prima so scheint es. 1451 in Genua geboren, damit dürfte er (um an den obigen Abschnitt anzuknüpfen) einiges Wissen über Indien und Asien gehabt haben, hatten doch die Seerepubliken Venedig und Genua einen großen Handel mit den Arabern und dadurch natürlich auch entsprechendes Wissen. Seit den Reisen des Marco Polo wusste man über die Völker in Asien in den Reichen auf dem Stiefel Italiens recht gut bescheid. Ein Händler wie Kolumbus war vielleicht mit Arabern zusammengetroffen, die ihm wiederum Informationen über chinesische Verbindungen nach Amerika gegeben haben könnten? Das weiß man natürlich nicht. Aber wie heute auch waren viele Menschen vernetzt, nur auf andere Weise und Wissen brauchte länger, bis es durchdrang, aber es war nicht ausgeschlossen, dass es irgendwann auch nach Europa gelang. Doch selbst in mancher ach so seriösen, von staatlichen Sendern bezahlten Dokumentation oder den seltsamerweise recht zahlreichen Spielfilmen über Kolumbus wird dieser falsche Mythos vom "heimatlosen Weltbürger" Kolumbus aufrecht erhalten, damit man ihn interessant macht und darstellt, er sei ja eine universelle Gestalt, die man verehren müsse, weil sie keiner Nation oder ähnlichem angehöre. Das italienische Seefahrer in spanischen oder portugiesischen Diensten waren, war übrigens keine Seltenheit. Americo Vespucci und Alvize de Cadamosto sind die bekanntesten Namen, die mir spontan einfallen. Die Verbindungen zwischen den iberischen Königreichen und den Königreichen auf dem Stiefel waren schon im 14. Jahrhundert sehr eng: Manuel Pessanha Lanzarote, ein Italiener, der Namensgeber gleichnamiger Insel ist, stand im Dienst des Königs von Portugal. Kolumbus war also in dieser langen Ahnengalerie einer von vielen Italienern, der dort sein Glück versuchte. Nicht mehr und auch nicht weniger. Ee sollte versucht werden, diesen Mythos endlich zu wiederlegen. Kolumbus war Italiener, geboren 1451 in Genua. Fertig, das ist ja nicht so schwer zu kapieren.

Auch die Wortspiele um den Namen nerven ein bißchen: Cristobal Colon, Colombi, Colombini, Cristovao, Christopherus, alles Mist. Christoph Kolumbus ist lediglich die deutschsprachige Version seines Namens. Cristobal Colon die spanischsprachige, Cristovao Colom die portugiesischsprachige. Und die Italienschsprachige? Christopheri Colombi scheint mir unter allen oftmals genannten die am realistisschsten. Aber das ist auch egal. Der falsche Mythos dieses Mannes überschattet auch seinen echten Namen.

3.) Die Entdeckung einer Neuen Welt- wäre Kolumbus bloß nicht gekommen...

Was hat seine Entdeckung eigentlich der Welt gebracht? Für Europa natürlich viel: man hatte neue Gebiete, die man herzhaft nach Gold, Silber, Edelsteinen und billigen Arbeitskräften durchsuchen konnte. Unbegrenzte geographische Weite für unbegrenzte ökonomische Zwecke! Für die Eingeborenen, liebevoll von Kolumbus und seinen Nachfolgern "Indianer" genannt, weil man dachte, man wäre in Indien gelandet man hatte ja versehentlich einen neuen Kontinent entdeckt, war diese Entdeckung alles andere als gut: sie wurden zunächst versklavt, durch eingeschleppte und später absichtlich hervorgerufene Infektionen dezimiert und dann systematisch ausgerottet. Ein gutes Beispiel sind die Tainos in Kuba, die noch zu Lebzeiten von Kolumbus, teilweise während seiner Anwesenheit, zu zehntausenden massakriert wurden. Sein Nachfolger auf der Insel, Diego de Velasquez de Cuellar, brachte dann um, was sich noch retten konnte oder der Vernichtungsmaschinerie nicht zum Opfer gefallen war. Die Entdeckung dieser Welt hat für diese Menschen nur eines gebracht: Elend, Leid und Tod, mit Auswirkungen, die wir bis heute in den Nachfolgestaaten sehen können, die das Elend allenfalls verwalten, aber niemals aufhalten können.

Wäre Kolumbus bloß nicht gekommen...

4.) Gefeiert in Film, Funk und Buch- Kolumbus als Figur der Popindustrie

Gibt es einen Spielfilm über Vasco da Gama? Wenn, dann nur in Portugal, aber nicht aus Hollywood. Biographien über Alvice de Cadamosto oder Bartholomeu Dias findet man nicht, nicht nur, weil diese kaum erforscht sind (es ist nämlich zu vermuten, dass da mehr existiert, aber die Wissenschaft kein Interesse daran hat), sondern weil sich damit kein Geld machen lässt. Prinz Heinrich der Seefahrer, Gil Eanes, Diogo Cao, Bartholomeu Diaz, Alvice de Cadamosto, sie waren die Vorreiter von Kolumbus, sie ermöglichten seine Fahrten erst und sind im Dunst der Geschichte vergessen. Vasco da Gama und Fernando Magellan sind zu schwer auszusprechen und hatten eben kein lustiges Ei des Kolumbus, dass sie für den Massenmainstream interessant machen könnte. Der kitschige Spielfilm aus den 1940er Jahren, mit Frederic March in der Hauptrolle, spiegelt die Klischees, die man um Kolumbus aufgebaut hat, am besten wieder. Auch alle anderen Spielfilme spinnen an dieser Legende, kaum einer der sich seiner portugiesischen Zeit annimmt, noch weniger, der die sozialen und anthropologischen Folgen der Entdeckung durch Kolumbus unter die Lupe nimmt. In den Büchern ist es genauso: Kolumbus als Held, an dem man zwar sanfte Kritik übt, aber doch alles beim alten lässt. Klar, die Jugend braucht Helden und Kolumbus eignet sich hervorragend dafür, was auch viele Zeichentrickserien zeigen, die schon den kleinsten den Mythos von "Ein Mann der sich Kolumbus nannt..." einhämmerte.

Jetzt sind wir wieder beim Anfang angekommen. Auch wir, liebe Leser, haben eine Reise gemacht. Eine Reise durch die Geschichte, der Geschichte der Menschheit, die unser aller Geschichte ist. Wir sollten sie uns nicht durch Wissenschaftler diktieren lassen, die bestimmen, was wir zu denken haben und wer groß war und ist in der Geschichte. Wir sollten selbst denken und abwägen. Kolumbus ist seit Jahrhunderten tot, doch seine Macht reicht bis heute. Es wird Zeit, diese Macht zu brechen.

Ende.

09.03.2012

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