Venezuela triste – zum Tode von Hugo Chávez

Jahrhundertgestalt Caracas-Bolivarist Hugo Chávez ist tot. Ein Rückblick, der auf den Putsch gegen Chávez eingeht und die Frage beantwortet, warum er eigentlich nicht autoritär war

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Venezuela triste – zum Tode von Hugo Chávez

Foto: Mario Tama/ AFP/ Getty Images

Das Hühnchen war gerade serviert und lag auf dem Teller, als die Nachricht hereinbrach: "Sie stürmen den Präsidentenpalast. Ein Hubschrauber steht am Hinterausgang bereit!"

Eine Szene über den Putsch gegen Chavez? Ja und nein. Als der Putsch 2002 begann, war der o.g. Mann nur für einen Tag Präsident: Pedro Carmona, wahrscheinlich eine der kürzesten Präsidentschaften des 21. Jahrhunderts. Chavez war keine 24 Stunden vorher gestürzt worden, doch die Bevölkerung war bereits auf den Straßen und wollte nur den "El Commandante" haben, man drohte, den Präsidentenpalast zu stürmen.

Die Szene stammt aus einer wunderbaren Dokumentation, die einige Jahre später auf Arte (einfach ein guter Sender) gezeigt wurde und sich mit der Geschichte des von Unternehmern und Großgrundbesitzern angezettelten Putsches beschäftigten. Staunend sah ich, wie Chavez auch diese nicht ganz ungefährliche Krise überwand.

Mit Chavez existierte Venezuela erstmals in seiner Geschichte wirklich, weil es internantional wahrgenommen wurde. Davor waren es graue bis grau-braune Unternehmer, Großgrundbesitzer und Militärs, die sich alle paar Jahre das Amt des Präsidenten teilten und Venezuela war kein Land, dass - wie z.B. Kolumbien oder Argentinien- durch weltbekannte Intellektuelle trumpfen konnte. Wohlmöglich wäre es auch in diesem bürgerlichen Trott weitergegangen, wäre nicht ein etwas zur leichten Korpulenz neigender Offizier Ende der 1990er Jahre auf die Idee gekommen, die Werte des Gründers Lateinamerikas, Simon Bolivar, wieder zu entdecken.

In der Dokumentation wurde der Präsident hochoffiziell mit "El Presidente de Republica Boliviana de Venezuela, General Hugo Chavez" angekündigt, als er eine Truppenparade abnahm. Immer wieder Bolivar. Eigentlich kann man Chavez als dessen kleinen Bruder oder echten Nachfolger bezeichnen. Charisma jedenfalls hat er gehabt. Während es mir einmal gelang, kubanischen Boden zu betreten, war mir eine Reise nach Venezuela unter der Ära Chavez leider nicht vergönnt. Denn ich mache mir gerne mein eigenes Bild von den Dingen der Welt.

Irgendwie passte Chavez zu "Klein-Venedig", wie das Land übersetzt heißt, einem Land, in dem viele Indios leben, dass aber noch recht unberührt vom Massentourismus geblieben ist, mal abgesehen von der Gegend um Maracaibo. Chavez befriedigte die Bedürfnisse der Armen, denen er Segnungen aus den Petro-Dollars zukommen lies, während er die Reichen oftmals bis zur Weißglut brachte. Nicht ungefährlich auf einem Kontinent, wo man Präsidenten wie Allende ermordete oder Jakob Arbenz durch die CIA stürzen lies. Dass er sich an den Iran und Russland hing, war die einzige Option, die ihm durch ein feindseliges Europa und nicht minder feindselige USA noch geblieben war. Denn jeder möchte Freunde haben und manche Staaten suchen sich noch ganz andere, wirklich schlimme Partner. Lediglich das kleine und unbedeutende Portugal hielt – auch entgegen den anderen Staaten Europas – Venezuela oft die Stange, was daran lag, dass gut 200.000 Venezolaner portugiesischer Abstammung sind und ein Bundesstaat sogar den Namen des Landes trägt. In Lissabon fühlte sich Chavez stets wohl, gute Verbindungen hatte er mit Guterres und Socrates. Zur ehemaligen Kolonialmacht Spanien hingegen waren die Beziehungen eher eisig: Aznar war wie der damalige US-Präsident Bush für den Putsch. Ein Armutszeugnis für eine Demokratie!

Oft wird behauptet, Chavez habe autoritäre Züge getragen, etwa die Öl-Unternehmen verstaatlicht oder einen Privatsender geschlossen. Nun, die Einnahmen der Öl-Industrie gingen jetzt halt nicht mehr in die eh schon vollen Taschen von Unternehmern, sondern in die Hände des einfachen und armen Volkes. Und einen Privatsender schließen kann manchmal auch gut sein, wenn dieser sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung des Staates richtet. Wollte Viktor Orban nicht auch Sendern die Lizenz entziehen? Da gibt es kein Geschrei. Oder bei Berlusconis vielen, umgekehrten Versuchen, mit dem Kauf und der Übernahme von Sendern eine gleichgeschaltete Medienlandschaft zu begründen, die für eine Demokratie gefährlich sein kann. Und das die Kriminalität angeblich gestiegen sei könnte ein statistischer Clou sein, denn selbst in den Militärdiktaturen in Chile oder Argentinien gab es Kriminalität. Sie ist ein Übel, dass man fast nicht besiegen kann. Aber Chavez dafür verantwortlich zu machen, ist schäbig.

Es bleibt zu hoffen, dass mit seinem Tod nicht der Chavismus endet und das sein Nachfolger, Nicollas Maduro, längst nicht so charismatisch, den Kurs weiterführen kann. Sollten die alten Eliten nach den neuesten Wahlen wieder gewinnen, verfällt Venezuela wahrscheinlich entweder in einen Dornröschenschlaf oder einen Bürgerkrieg. Beides kann man sich nicht wünschen. Simon Bolivar ist heute zum zweiten Male gestorben- Venezuelas und Lateinamerikas Weg in die Zukunft aber ist bereit, um weiter auf ihm zu wandeln.

Ende.

06.03.2013

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