Wer war Sigismund Rahmer?

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Es gibt sie immer noch, die Zufälle im Leben: eines Tages suchte ich eine Biographie über meinen Lieblingsdichter, Nikolaus Lenau, bei den vielen Internet-Antiquariaten. Dabei fiel mir ein Buch auf, dass einen spannenden und interessanten Titel hatte: Nikolaus Lenau als Mensch und Dichter. Eine Sexualpathologie. Von Dr. S. Rahmer. Ich wußte nicht, wer der Autor war und fand den Titel so interessant, dass ich das Buch kaufte. Wie ich später erfuhr, stammte es aus dem Jahre 1911. Es ist ein kleines Broschur und der Inhalt ist zweifelsfrei interessant, soll hier aber nicht Gegenstand meines Artikels sein. Neugierig, wie ich bin, wollte ich nun nach der Lektüre wissen, wer eigentlich der Autor dieses Bändchens war. Meine ersten Recherchen im Internet ergaben nichts. Auf diversen Seiten verstreut waren immer vereinzelt Infos zu finden, aber einen Eintrag bei Wikipedia oder einer anderen Seite war nicht zu finden. Doch das weckte erst recht meine Neugier: ich begann, intensiv nach allen verfügbaren Daten zu forschen und setzte so einen Teil eines Puzzle zusammen.

Schließlich fand ich einen Hinweis, in einem der damals schon von Google Buchdienst online gestellten Bücher, in dem lediglich davon gesprochen wurde, dass er ein Mediziner gewesen ist und seine Lebensdaten: Gleiwitz (heute Polen) 1863 geboren, gestorben 1912 in Berlin. Das war mir aber nicht genug. Um die vielen Daten, die sich langsam ansammelten zu ordnen und zu komprimieren, kam ich auf die Idee, einen Wikipedia-Artikel über ihn zu schreiben, um damit gleichzeitig ein Andenken für diesen Mann zu schaffen. Darin konnte ich alle bisher gefundenen Infos verarbeiten. In einem weiteren Buch fand ich schließlich auch den Hinweis, dass er der Nachlassverwalter von Theophil Zolling war, einem Berliner Journalisten, Herausgeber und Schriftsteller. Und das Rahmer einer der bedeutendsten Heinrich-von-Kleist-Forscher in Deutschland seiner Zeit gewesen ist. Auch war er mit Emil Schering befreundet, dem offiziellen deutschen Übersetzer von August Strindberg. Und die Broschur, die Rahmer über Strindberg schrieb- zu Lebezeiten des Autors wohlgemerkt- und die viele Infos von Schering über Strindberg verarbeitete, der Strindberg ja persönlich gekannt hatte, gilt heute als eine wichtige Quelle zum Denken bzw. zur Geisteskrankheit von August Strindberg.

Doch noch immer verschwand dieser Sigismund Rahmer hinter einem Schleier des Vergessens. Viele, bisweilen unzählige Fragen, warteten auf eine Antwort und sind bisher nicht beantwortet worden: Woran ist er gestorben? Gibt es noch mehr als diese bekannten Bücher? Gibt es von ihm eine Fotographie? Welche Rolle spielte er im gesellschaftlichen Leben von Berlin? Er hatte eine Beilage über Heinrich-von-Kleist in der damaligen größten deutschen Zeitung, der Vossisschen Zeitung, geschrieben. Nun, wenn also ein einfacher Hausarzt es schafft, im führenden Meinungsmedium seiner Zeit eine ganze Sonderbeilage für das Feuilletion zu verfassen, welche Beziehungen und welche Bedeutung musste er gehabt haben? Und woher hatte er wohl die teilweisen originalen Dokumente über Lenau, Kleist, Heine und andere Dichter? Was ist- und das scheint mir die zentrale Frage zu sein-mit seinem Nachlass passiert?

Später fand ich einen Hinweis des Sembdner-Kleist-Archives, man möge doch bitte jegliche Infos über Rahmer, wenn man denn welche hätte, weitergeben. Und das tat ich auch, mit dem Hinweis, dass ich ja den Artikel über ihn geschrieben hatte. So bekam ich wiederum den Hinweis, dass es eine Veröffentlichung eines Wissenschaftlers gab, der sich ebenfalls mit der Vita dieses Mannes beschäftigt hatte und alle bis dato bekannten Informationen zusammenfasste. Ich besorgte mir diese Instituitonsveröffentlichung und bekam endlich einen größeren Einblick in Leben und Werk dieses geheimnisvollen Berliners: das er ein Armenarzt war, mit sozialistischer Neigung, Jude und Intellektueller, offensichtlich mit rießigem Freundeskreis, dass man über seine Todesumstände (er starb ja mit nur 49 Jahren und das als Arzt) nichts weiß und das seine Nachkommenschaft eine ebenfalls interessante Vita hat: ein Enkel ist ein britischer Dramatiker mit dem Namen Tom Kempinski, sein Schwager war ein bekannter britischer Filmschauspieler. Seine Tochter floh nach England und heiratete in die gleichnamige Hoteldynastie ein. Seine Frau hingegen starb im Konzentrationslager Auschwitz und das könnte erklären, was mit seinem sicher wertvollen Nachlass passiert ist: die Nazis könnten bei der Durchsuchung der Wohnung diesen vernichtet haben. Oder aber, die Bombenangriffe liesen die Manuskripte, Briefe und alles Papier in Flammen aufgehen.

Fakt ist, dass man noch viel mehr sagen kann, dass ich jetzt viel mehr über diesen - übrigens nicht nur mir vorher unbekannten Autor- weiß. Aber- und das ist das entscheidende- ich werde weiter als Privatperson über Rahmer forschen und vielleicht gelingt es mir eines Tages, ein vollständiges Bild dieses Menschen zeichnen zu können. Spannend sich auf den Weg eines Menschen zu begeben, ist es auf jeden Fall.

Ende.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden