Die CDU Denkt selbst

Kulturpolitisch werden die Wahlalternativen deutlicher Neuwahlen

Gerhard Schröder ließ sich das Vertrauen entziehen, damit die Union nach der Bundestagswahl umso konsequenter die neoliberale Politik der Agenda 2010 fortsetzen kann. Statt zurückzutreten, will er das Parlament vorzeitig auflösen und - mit Blick auf das Geschichtsbuch - sein Amt auf dem Altar des Vaterlandes opfern. So heroisch die patriotische Inszenierung, so folgenreich der Vorgang: für die Verfassungswirklichkeit und vor allem für die SPD selbst: sie wird zum Abwahlverein. Der paradoxe Vorgang ist irritierend und befreiend zugleich. Er befreit aus der Stagnation von Rot-Grün, die nicht nur in der Blockademacht eines schwarzen Bundesrates gründet. Er eröffnet der demokratischen Linken erstmals in ganz Deutschland die Möglichkeit, ohne Skrupel gegenüber der SPD das de facto existierende Zweiparteiensystem aufzubrechen. Welche Ironie der Geschichte: Gegen die große Koalition entstanden, hinterlassen uns die Achtundsechziger nun das Gespenst derselben.

In den Feuilletons wird das absehbare Ende von Schröder und Fischer bereits als ein tiefgreifender kultureller Bruch in der bundesdeutschen Gesellschaft gedeutet. Mit der "Generationenherrschaft der Achtundsechziger" werde auch das rot-grüne Projekt beerdigt. Nun drängen die Achtundsiebziger, die entideologisierten "Zonenkinder des kalten Krieges", "endlich die leere Mitte der Gesellschaft zurückzugewinnen". Gegenüber einer selbstreferenziellen postmodernen Kultur der Älteren und der Gegenwartsversessenheit der Jüngeren forderten kürzlich Repräsentanten des "adulten Mittelfeldes" mehr "Relevanz", neue "Brücken zwischen Ästhetik und Moral". Paradox auch ihr Befund: "Vielleicht sollten wir uns dabei mit dem Gedanken anfreunden, wir ewig Linksliberalen, dass wir am Ende wertkonservativer denken müssen", um die grassierende Irrelevanz der Kultur zu überwinden (Zeit 26/2005). Das ist auf jeden Fall machtbewusst. Anspruch und Angebot gegenüber der Politik kommen sich bedenklich nah. Zur Selbstverständigung gedacht, könnte der Begriff eines "relevanten Realismus" (steht hier der sozialistische Realismus Pate?) allerdings fatale Folgen haben, falls sich konservative Kulturpolitik seiner programmatisch bemächtigt.

Angela Merkels breiter Kulturbegriff sieht den Kulturstaat als "Hüter und Pfleger deutscher Kultur", er trägt Verantwortung für die "kulturelle Grundversorgung" und will gleichzeitig die Bürgergesellschaft in Regionen und Kommunen stärken. Das klingt nach (deutscher?) Leitkultur und Subsidarität ohne finanzielle Substanz.

Bezeichnenderweise kommt der Eigensinn der Künste, kommen Künstlerinnen und Künstler bei Merkel nicht vor. Allein das sollte misstrauisch machen.

Gefragt, worin das kulturelle Milieu der CDU bestehe und wer ihre Vordenker seien, antwortete der als neuer Kulturstaatsminister gehandelte Norbert Lammert selbstbewusst: "Wir denken selbst". Was für eine Drohung! - zumal Lammert aus seiner "Skepsis gegenüber den intellektuellen Versuchungen zum virtuosen Umgang mit der Wirklichkeit" keinen Hehl macht.

Traditionell eher auf die Länder bezogen, wird man bei der CDU zunächst nicht von einer weiteren Ausgestaltung der Bundeskulturpolitik ausgehen können. Alleinregierend könnte die CDU sinnvollerweise die auswärtige Kulturpolitik dem Kulturbeauftragten zuordnen, welchen Status dieser jedoch haben würde, ist nach der Abschaffung eines eigenen Kulturressorts in Schleswig-Holstein mehr als unsicher. Auch wird darüber spekuliert, ob die Kultur zukünftig im Rahmen eines Bildungsministeriums ressortiert. Die von der CDU jahrelang blockierte Fusion der Kulturstiftungen des Bundes beziehungsweise der Länder kann jetzt als großes Reformwerk zelebriert werden. Themen wie Migration, Interkulturalität, Globalisierung und Virtualisierung der Kulturen werden es aber schwieriger haben. Förderinstrumente wie der Hauptstadtkulturfonds sind gefährdet - sei es durch den Zugriff der Abgeordneten, die sich selbst als Juroren gerieren möchten ("Wir entscheiden selbst") oder durch die Ablehnung kontroverser zeitgenössischer Kunstprojekte, die in eine traditionell gedachte Off-Kultur und damit ins Kommunale verbannt werden. Geschichtspolitisch droht uns das Paradigma der "zwei Diktaturen in Deutschland" und ein "Zentrum gegen Vertreibungen" in Berlin. Das konservative Mega-Projekt, die Wiedererrichtung des Stadtschlosses in Berlin, wird weitestgehend ohne öffentliche Unterstützung - meint: ohne öffentlichen Inhalt - auskommen müssen und damit auf seine restaurative Hülle beschränkt bleiben.

Die Berliner Volksbühne annonciert den Sommer über: "Keine Wahl". Kulturpolitisch werden die Wahlalternativen nun deutlicher.


Thomas Flierl

Kultursenator in Berlin


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