Als sich jüngst in Berlin die mächtigsten Gewerkschaftsbosse des Landes trafen, da fehlte einer, der sich als Goliath sieht: Der Verdi-Vorsitzende Frank Bsirske, der gerade wieder mit den Muskeln spielt und das Land durch einen bundesweiten Kita-Streik lahmlegen will. Angeführt von der mächtigen IG Metall besprachen sich die Arbeitergewerkschaften der Chemie, des Baus und der Eisenbahner; zusammen stehen sie für 3,4 Millionen Mitglieder. Die Gewerkschafter regelten per Vertrag, wer welche Arbeitnehmer im boomenden Deutschland vertreten soll. Der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann war zugegen.
Der Chef der Gewerkschaft mit zwei Millionen Mitgliedern aber war zu dem Berliner Treffen nicht nur nicht eingeladen, er war nicht einmal vorab informiert. Man kann die Verabredung getrost als Geheimvertrag betrachten, der sich gegen den Feind im eigenen Lager richtet – gegen Verdi. Bsirskes Dienstleister liegen mit mehreren Gewerkschaften im Clinch um Branchen und Betriebe. „Ich sehe es als einen Beitrag zur Konfliktbewältigung zwischen den daran beteiligten Gewerkschaften“, spielte Bsirske den Pakt herunter. Tatsächlich ähneln die Verhältnisse im DGB derzeit eher einer offenen Feldschlacht als einem Gewerkschaftsbund. Als Bsirske den Chef der größten Gewerkschaft IG Metall zur gemeinsamen Vorstandssitzung einlud, schlug Detlef Wetzel barsch aus. Es gebe keine Gesprächsgrundlage, ließ Wetzel mitteilen. Das war Ende letzten Jahres. Die Pläne zum Anti-Bsirske-Gipfel lagen damals wohl bereit.
Frank Bsirske war stets ein Paradiesvogel unter den Gewerkschaftern. Er studierte lange (sieben Jahre) politische Wissenschaft, gefördert mit einem Stipendium der Hans-Böckler-Stiftung. Als er fertig war, ging er zunächst (neun Jahre) als Bildungssekretär zu den Falken, dann zu den Grünen, schließlich zur Gewerkschaft ÖTV. Anschließend wechselte er ganz die Seite und wurde auf Vorschlag seiner grünen Partei „Arbeitgeber“ – als Personal- und Organisationsdezernent der Stadt Hannover. Erste echte gewerkschaftliche Meriten erwarb sich Bsirske mit einer Fusion: Er formte aus der damaligen ÖTV (Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr), der Angestelltengewerkschaft und Splittervertretungen die „Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft“, kurz Ver.di. Bsirske bekam dafür viel Lob, wegen seines rhetorischen Talents und weil er Interessen auszugleichen verstand. Dennoch war die Verdi-Gründung eine Kampfansage – denn Bsirske machte sie zu einem scharfen Konkurrenten der IG Metall. In Logistikunternehmen greift Verdi inzwischen den Leitwolf unter den Gewerkschaften, die Metaller, offen an, indem Bsirske ihnen mit konkurrierenden Vereinbarungen Mitglieder abjagt.
Bsirske steht noch auf einem weiteren Schauplatz in Konkurrenz zu den Gewerkschaften, die sich in Berlin abgesprochen haben, unter welchen Bedingungen sie sich neue Branchen aufteilen: Beim sogenannten Tarifeinheitsgesetz. Nach dem geplanten Gesetz soll künftig in jedem Betrieb nur noch der Tarifvertrag der jeweils mitgliederstärksten Gewerkschaft gelten. Minderheitsgewerkschaften hätten kein legitimes Streikziel mehr, Gerichte könnten ihnen Arbeitskampfmaßnahmen als unverhältnismäßig untersagen.
Die Vorsitzenden von DGB und IG Bau, Reiner Hoffmann und Robert Feiger, sind erklärte Unterstützer des Regierungsvorhabens. Auch die Eisenbahnergewerkschaft dürfte sich über das Gesetz freuen – es gäbe dann nicht mehr die Streitereien mit der kleinen, aggressiven Gewerkschaft der Lokführer. Auch die Spitzen der IG BCE und Chemie sind dafür – nur Bsirske will die kleinen Gewerkschaften schützen. Dabei war der Verdi-Vorsitzende ursprünglich selbst ein vehementer Verfechter der Idee, das Prinzip „Ein Betrieb – ein Tarifvertrag“ gesetzlich festzuschreiben.
Als im Jahr 2010 das Bundesarbeitsgericht beschloss, Tarifverträge verschiedener Gewerkschaften in einem Betrieb zu akzeptieren, reagierte es damit nur auf Veränderungen in der Wirtschaft. Die Liberalisierung des Dienstleistungssektors hatte kleine Berufsgewerkschaften als tarifpolitische Akteure geboren,die als Krankenhausärzte, Piloten, Flugbegleiter, Lokomotivführer und so weiter spezielle Regelungen schlossen. Damals forderten DGB-Chef Michael Sommer und Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt von der Bundesregierung ein Gesetz zur Tarifeinheit – auf ihre Seite schlug sich Verdi-Chef Frank Bsirske. Die meisten der neuen Gewerkschaften standen in Konkurrenz zu Verdi: Marburger Bund, Unabhängige Flugbegleiterorganisation, Gewerkschaft der Flugsicherung. Für Verdi war das eine Gefahr. Versuche, Arbeitskämpfe gerichtlich untersagen zu lassen und den neuen Kleingewerkschaften die Tariffähigkeit absprechen zu lassen, waren zuvor gescheitert. Warum sollte sich Bsirske also nicht mit den Arbeitgebern zusammenschließen, um die Störenfriede ruhigzustellen? Allerdings blies Bsirske danach der Wind ins Gesicht.
Bsirske reiste seitdem von Konferenz zu Konferenz. Er hörte viel zu. „Die Mehrheit der Verdi-Funktionäre war überzeugt, dass eine gesetzliche Festschreibung der Tarifeinheit der falsche Weg ist“, sagte er danach einer DGB-Zeitschrift. Sind es die Argumente der Kritiker, die bei Bsirske Spuren hinterlassen haben? Oder ist es vielleicht eine andere Tatsache? Der Verdi-Chef dürfte erkannt haben, dass seine relativ neue, multiprofessionelle Gewerkschaft in sich wandelnden Branchen schnell auch mal als der kleine, freche Gewerkschafts-David dastehen könnte. Das neue Tarifeinheitsgesetz aber mag nur Goliaths.
Der frühere Verfechter der Tarifeinheit hat vorsorglich Klage vor dem Bundesverfassungsgericht gegen sie angedroht – notfalls im Alleingang.
Kommentare 13
>>...Frank Bsirske, der gerade wieder mit den Muskeln spielt und das Land durch einen bundesweiten Kita-Streik lahmlegen will.<<
Dummschwätz: Nicht der Bsirske streikt, sondern die Erzieher/innen.
Und das aus gutem Grund.
Ja jetzt geht den Gewerkschaften der arsch auf grundeis nachdem die GDL mal zeigt wo der hase lang läuft. Wenn die GDL sich durchsetzt werden die mitglieder der anderen gewerkschaften sich auh fragen WARUM tuen das unsere gewerkschaften nicht?
Wer wie ich Bsirske auf den Marktplatz von Esslingen, Anno 2k, vor knapp 100 Leuten "Die Internationale" hat singen hören, der weiß, mit dem Mann ist kein Blumentopf zu gewinnen.
Die Meinungen sind aber innerhalb Verdis sehr unterschiedlich. Ich war überrascht, daß der ehm. Hamburger Verdi-Vorsitzende Rose für das Gesetz ist.
So schlecht hat er gesungen?
Ja, und wenn es nur das gewesen wäre.
Stuttgart/Esslingen eine der wohlhabenden und konservativsten Regionen die ich kenne. Ich hab nichts gegen das Lied. Aber im 21. Jhd. scheint es doch zu arg aus der Zeit gefallen zu sein um in der Gegenwart beim "Kampf der Arbeiterklasse" ernst genommen zu werden.
|: Völker, hört die Signale!Auf zum letzten Gefecht!Die Internationaleerkämpft das Menschenrecht. :|
… schalte es über das Katzenkopfsteinpflaster am Rathausplatz, während sie die knappen hundert Menschen zum Arbeitskampf irgendwas von, mehr Weinachtsgeld und 13. Gehalt geredet haben.
Hallo Erde…
Mit verlaub: sie haben ein sehr eingeschränkte Wahrnehmung. Was ver.di-Mitglieder in den letzten 12 Jahren an Arbeitskämpfen führten ist nicht grad wenig, egal ob Post, Einzelhandel, Druck, Erzieherinnen, Amazon, Flughafenpersonal und viele mehr.
Nicht alle sind so spektakulär wie der derzeitige Lokführerstreik, manche verpuffen wegen fehlender Solidarität.
Solidarität war mal eine feste Größe unter aufgeweckten Menschen. Aber eins haben alle Streiks gemein: Sie sind zutiefst berechtigt und auch kein spleen der "Gewerkschaftsbosse", sondern in Abstimmungen der Mitglieder gemeinsam beschlossen.
da ist mehr Demokratie drin als in den meisten Parlamenten.
Das Tarifeinheitsgesetz in seiner jetzigen Fassung wird scheitern, vorm BVG.
Die wesentliche Frage lautet jedoch, warum glaubt die SPD und die in ihr organisierten Gewerkschaftsbosse, sie könnten tun und lassen was sie wollen?
Die Bahngewerkschaft GdL ist doch eine Pflanze, die erst durch das Versagen der SPD geführten Transnet/ EVG groß geworden ist.
Wer hat denn in Form eines Herrn Hansen(Transnet) und Mehdorn die Bahn an den Rand ihrer Existenz geführt?
Und hat in zehn Jahren die Eisenbahner um rund zwanzig Prozent Lohn betrogen.
Für einen Posten im Vorstand hat der frühere Vorsitzende den Börsengang mit exekutiert.
Dieses Kriechertum hat Leute auf den Plan gerufen, die eine Spartengewerkschaft aufgemacht haben.
Ich bin gegen Spartengewerkschaften.
Sie sind unsolidarisch.
Sie machen auf Gewerkschaftsebene das Lebenselixier des Kapitalismus nach, Konkurrenz.
Jeder gegen Jeden.
Partikularinteressen sind das Ende des Sozialstaates.
Fest die Daumen drücken für GDL soll die Maxime sein. Die Gewerkschaften müssen zu ihrer Stärke zurückfinden.
Leute wie Hansen sind einfach eine Schande für die gesamte Arbeitnehmerschaft in diesem Land.
Danke fuer den Beitrag.
>>...werden die mitglieder der anderen gewerkschaften sich auch fragen WARUM tuen das unsere gewerkschaften nicht? <<
Kann man natürlich fragen, ja.
Eine der Antworten lautet: „Eine Gewerkschaft ist eine Interessenvereinigung, und die kann nie besser sein als ihre Mitglieder.“
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Die Verdi-Mitglieder sind ja nicht die schlechteste Gewerkschaft, deswegen kann es sich Verdi halt eher erlauben, auch andere Organsiationen zu akzeptieren.
Die EVG z. B. kann sich aufgrund ihres Mitgliederschwundes die Existenz der GDL nicht leisten. Ohne Hilfe des Bahnvorstandes und der Bundesregierung ginge die EVG wohl über kurz oder lang den Bach runter.
>>Die Bahngewerkschaft GdL ist doch eine Pflanze, die erst durch das Versagen der SPD geführten Transnet/ EVG groß geworden ist.<<
Aus der Perspektive der "SeeheimerPartei Deutschlands" sieht das wohl anders aus:
Nicht Transnet/EVG hat versagt, Kuscheln mit dem Firmenvorstand ist schliesslich zeitgemäss.
Die GDL ist ein Störfaktor, weil Interessenverband der Arbeitskraftverkäufer.
Dass die GDL immer auch ein wenig staatstragend war und ist, zeigt ihre streiktaktik: Immer schön ordentlich und berechenbar, von dienstag 09:00 uhr bis sonntag 09:00...
Das ist wie untertauchen im teich und luftanhalten - mal sehen wer's am längsten aushält. Und wenn beide es aushalten, gibt's den nächsten streikhappen.
Wenn die GDL unbefristet streiken würde, müsste die DB schnellstmöglich ein angebot machen, denn der wirtschaftliche schaden wäre unkalkulierbar. Wahrscheinlich wäre das der kürzeste streik, der alle bisherigen "tauchversuche" bei weitem unterbieten würde.
Also, warum macht die GDL dies nicht ... eben weil sie doch ein bisschen stattstragend ist - und sein will!