Sand ins Getriebe

VON FRANKREICH LERNEN Auch in Deutschland formiert sich ein Netzwerk zur demokratischen Kontrolle der Finanzmärkte

Eine öffentliche Debatte über die Folgen des liberalisierten Kapitalverkehrs und der Deregulierung der Finanzmärkte steckt in Deutschland bisher noch in den Kinderschuhen. Diesem Missstand abzuhelfen, ist ein im Januar gegründetes Netzwerk von Nichtregierungorganisationen, kirchlichen und gewerkschaftlichen Gruppen sowie verschiedener Einzelpersonen angetreten. Zu den über 120 ErstunterzeichnerInnen einer in der vergangenen Woche veröffentlichten "Erklärung für eine demokratische Kontrolle der internationalen Finanzmärkte" gehören der BUND, Medico international, Pax Christi, die ProfessorInnen Birgit Mahnkopf, Jörg Huffschmidt, Elmar Altvater und Friedhelm Hengsbach, der Vorsitzende der IG Medien Detlev Hentsche sowie eine Reihe von Bundestagsabgeordneten.

In seiner Erklärung verweist das Netzwerk auf die entfesselten Marktkräfte, welche durch politische Regulierung zumindest wieder gezähmt werden könnten. Dazu bedarf es aber des gesellschaftlichen Drucks von unten, den das neue Bündnis durch nationale und internationale Kooperation aufzubauen versucht. Wichtiger Bezugspunkt ist dabei die vor zwei Jahren in Frankreich gegründete internationale Bewegung ATTAC (Bündnis für eine Besteuerung von Finanztransaktionen zugunsten der BürgerInnen). In Frankreich gehören dieser Bürgerbewegung 25.000 Mitglieder an, die in 150 lokalen Komitees organisiert sind. Ähnliche Gruppierungen finden sich in mittlerweile 18 Staaten. Im Januar 2001 soll in der brasilianischen Stadt Porto Alegre ein "World Social Forum" stattfinden: eine Gegenveranstaltung zum "World Economic Forum", zu dem sich alljährlich in Davos die Mächtigen der Weltwirtschaft treffen.

Nach zwei bundesweiten Ratschlägen in Frankfurt und Hannover haben sich für das deutsche Finanzmarkt-Netzwerk drei erste Schwerpunkte herauskristallisiert, die im Mittelpunkt der Lobbyarbeit und der Protestaktionen stehen werden: die Einführung einer Devisenumsatzsteuer ("Tobin-Tax"), die Schließung von Steueroasen und sogenannter Offshore-Zentren sowie die Einmischung in die aktuelle Rentendiskussion. Daneben haben sich mittlerweile erste lokale Netzwerkgruppen in Hamburg und Berlin gebildet.

Die vielfach totgesagte Tobin-Steuer hat in der letzten Zeit eine erstaunliche Renaissance erfahren. So wurde nach einer intensiven Aufklärungskampagne von Nichtregierungsorganisationen am 3. März 1999 im kanadischen Parlament mit großer Mehrheit ein Antrag angenommen, der die Regierung auffordert, sich auf internationaler Ebene für die Einführung einer Devisenumsatzsteuer einzusetzen. Im Europaparlament scheiterte im Januar nur äußerst knapp ein Antrag, der vorsah, die Umsetzungsbedingungen einer Tobin-Steuer zu prüfen. Ähnliche Initiativen wurden kürzlich im US-Kongress, im britischen House of Commons und im belgischen Senat eingebracht. Daneben kursiert zur Zeit ein weltweiter Aufruf von Parlamentariern für eine Tobin-Steuer, der bis Mitte Mai 290 UnterstützerInnen fand, darunter allerdings nur vier deutsche Europa-Abgeordnete. Daher fordert das deutsche Finanzmarkt-Netzwerk Bundestags- und Europaabgeordnete auf, diesen Aufruf zu unterstützen und sich auf europäischer Ebene für eine Besteuerung von Finanztransaktionen einzusetzen.

Zweiter Schwerpunkt des deutschen Netzwerks ist die Neutralisierung von Steueroasen und Offshore-Zentren. Bankenplätze wie die britischen Kanalinseln (Guernsey, Jersey), karibische Inselstaaten (Cayman-Islands, Bahamas, Niederländische Antillen) oder auch Luxemburg und Liechtenstein locken mit laxer staatlicher Aufsicht und großzügigen Steuererleichterungen das Kapital von Steuerflüchtlingen und organisierter Kriminalität an. Das in den Offshore-Paradiesen angelegte Vermögen wird auf fünf Billionen Dollar geschätzt und zu 70 Prozent auf Steuerhinterziehung zurückgeführt. Allein dem deutschen Staat entgehen dadurch nach vorsichtigen Schätzungen jährlich bis zu 50 Milliarden DM an Steuergeldern. Helfershelfer sind deutsche Großbanken, die selbst verbundene Unternehmen in den Offshore-Zentren unterhalten, sowie der Staat, der diese Geschäfte duldet. Dem Spuk ein Ende zu setzen, wäre, technisch gesehen, kein Problem. Nur der politische Wille fehlt. Deshalb plant das Finanzmarktbündnis unter anderem Protestaktionen vor deutschen Banken, die auf den Kanalinseln oder den Cayman-Islands Tochterunternehmen unterhalten, sowie ein "Ranking" deutscher Geschäftsbanken: Wer mit seinen Offshore-Geschäften Steuerhinterziehung betreibt oder fördert, wird öffentlich an den Pranger gestellt.

Die Diskussion um die Zukunft der Altersvorsorge bildet den dritten Schwerpunkt des Finanzmarktnetzwerks. Die gigantischen Summen, die in die Alterssicherung fließen, sind heiß umkämpft. Bei dem in den USA, in England und auch in den Niederlanden dominierenden Kapitaldeckungsverfahren wird die Altersvorsorge in die Hand privater Pensionsfonds gelegt, die Rentengelder auf den Finanzmärkten anlegen und nicht - wie im umlagefinanzierten Solidarsystem üblich - unmittelbar wieder an die ältere Generation ausreichen. Die von der Bundesregierung betriebene Privatisierung der Altersvorsorge wird den darauf spezialisierten institutionellen Anlagegesellschaften große Mengen privaten Kapitals zuführen und damit deren Machtfülle noch weiter anschwellen lassen. Die Kritik rot-grüner Rentenpläne gehört damit auch zu den Aufgaben des Netzwerks.

Infos zum "Netzwerk für eine demokratische Kontrolle der internationalen Finanzmärkte" im Internet unter: Finanzmaerkte

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