Raus mit der Wahrheit

Folter in den USA Die Details über die Folterungen in den USA sind erschütternd. Es steht uns aber nicht an, die Amerikaner dafür vor Gericht zu stellen.

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Der vor einiger Zeit veröffentlichte CIA-Bericht über Waterboarding und andere Foltermethoden der Amerikaner nach den Anschlägen des 11. September 2001 löst bei uns in Politik, Gesellschaft und Medien große Empörung aus. Das gipfelt in der Forderung, die in den USA verantwortlichen politischen Führer dafür vor ein europäisches Gericht zu bringen. So richtig es allerdings ist, Folter bei uns unter keinen Umständen zu legalisieren und allgemein zu kritisieren, so selbstgefällig und falsch wäre es, Entscheidungsverantwortliche der USA deshalb vor ein Europäisches Gericht zu bringen.

Auch in Deutschland darf staatliche Gewalt zur Gewinnung von Informationen angewandt werden, wie beispielsweise die Möglichkeit einer Beugehaft von bis zu 6 Monaten für Zeugen zeigt, die zu Unrecht die Aussage verweigern. Auch Ungewissheit, ob solche Gewalt „den Richtigen“ trifft, nehmen wir in Kauf, wie die Sicherungsverwahrung zeigt, die lediglich auf einer Vermutung der Gefährlichkeit der Betroffenen beruht und nicht auf Wissen.

Nach Art. 3 der Europäischen Konvention für Menschenrechte, der auch Deutschland verpflichtet ist, ist allerdings Folter im Sinne einer vorsätzlichen unmenschlichen Behandlung, die sehr schweres und grausames Leiden verursacht, ohne Ausnahme untersagt.Nach Art. 104 des Deutschen Grundgesetzes dürfen festgehaltene Personen weder seelisch noch körperlich misshandelt werden. Die Einhaltung dieser Vorschriften in der Praxis wird durch externe Kontrollkommissionen wie das Europäische Antifolter-Komitee überprüft, dessen Mitglieder regelmäßig Justizvollzugsanstalten besuchen.

Das war bekanntermaßen nicht immer so. Die Peinliche Halsgerichtsordnung Kaiser Karls V. von 1532, zu ihrer Zeit ein Fortschritt, gestattete in bestimmten Fällen ausdrücklich die Befragung mittels der Folter, die erst beginnend im 18. Jahrhundert schrittweise abgeschafft worden ist. Das zivilisatorische Niveau, das wir heute im Umgang mit Gefangenen erreicht haben, ist dabei nicht unangefochten und unanfechtbar, es muss immer wieder argumentativ erkämpft und gehalten werden, auch wenn wir derzeit von humanitären Rückfällen des dritten Reichs oder (in geringerem Umfang) auch des DDR-Unrechts weit entfernt sind. Nach einer aktuellen Umfrage unter Jurastudenten befürwortet beispielsweise jeder zweite die Anwendung von Folter etwa zur Verhinderung eines Terroranschlags. Auch die öffentliche Debatte um die Androhung von Folter im Fall des entführten Bankiersohns Jakob von Metzler im Jahr 2002 hat gezeigt, wie umstritten das Thema ist. Es gibt eben auch vieles, was für die Anwendung von Folter spricht, wie gerade dieser tragische Einzelfall zeigt. Auch (grund-) gesetzliche Normen können ins Wanken geraten, wenn sie nicht mehr von den Moralvorstellungen der Mehrheit einer Gesellschaft gedeckt sind. Und so unantastbar, wie die Menschenwürde nach Art. 1 unseres Grundgesetzes sein sollte, ist sie offenbar nicht immer, wenn etwa das Bundesverfassungsgericht ihre Verletzung durch einen tödlichen „finalen Rettungsschuss“ in bestimmten Fällen verneint. Das zeigt, wie wichtig es ist, dass wir weiter gesamtgesellschaftlich dafür Sorge tragen, dass bei uns nicht gefoltert wird. Wenn nämlich das Recht von Individuen fordert, auf ein Ausagieren ihrer aggressiven Impulse aus übergeordneten sozialen Gründen zu verzichten, auch wenn das im Einzelfall zu einem ungerechten Ergebnis führt, dann muss der Staat selbst sich auch der Verpflichtung unterwerfen, sozialen Nutzen über die Gerechtigkeit im Einzelfall zu stellen. Und aus einer sozialen Sicht muss Folter bei uns ohne jede Ausnahme geächtet bleiben. Die Gefahr einer ständigen Ausweitung ihrer Ziele und Methoden, die Gefahr der Verursachung irreparabler Schäden bei Unschuldigen bzw. Unwissenden, die Gefahr einer allgemeinen Verrohung unserer Gesellschaft und die Gefahr eines negativen Vorbilds für andere Staaten wäre unvertretbar hoch.

Nicht zu foltern muss dabei eine bewusste Entscheidung sein, nicht ein: „wir würden so etwas ohnehin nie tun“. Das Tabu, Folter zur Gewinnung von Informationen einzusetzen, sollte daher am Ende eines gesamtgesellschaftlichen Abwägungsprozesses stehen. Steht es am Anfang, kann es bei außergewöhnlichem Druck, den vor allem Terroranschläge auslösen, leicht fallen. Von dieser unserer Selbstverpflichtung sollten wir nicht ablenken, indem wir allzu leichtfertig mit dem Finger auf andere zeigen und beispielsweise fordern, amerikanische Entscheidungsträger wegen der CIA-Folter vor Gericht zu stellen. Wir haben genug damit zu tun, ein positives rechtsstaatliches Vorbild für andere zu sein und zu bleiben.

Es fällt auch nicht schwer, die USA für vieles von der Todesstrafe bis hin zu den Methoden im Kampf gegen den Terror zu kritisieren. Um konstruktiv zu wirken, sollte diese Kritik jedoch nicht maßlos und selbstgefällig sein. Einen Straftäter, den man wegen seiner Gewalt verurteilt, wird man davon nicht nachhaltig abbringen können, wenn man den Sinn, den Gewalt für ihn hat, nicht versteht. Erst Recht gilt dies im Umgang mit anderen Staaten. Hinter der Folter, die im aktuellen CIA-Bericht geschildert wird, stecken offenbar zum Großteil zumindest nachvollziehbare Motive, so sehr auch die Folter selbst verabscheuungswürdig erscheint. Sie hat insofern strukturell nichts zu tun mit dem sadistischen Wahn von Unrechtsregimen, wenn auch die Methoden und sicher zum Teil auch die Vollstrecker sadistischer Natur sind. Wer weiß, wie Deutschland sich verhalten würde, wenn es einen Anschlag wie den im September 2001 erleben müsste? Nun von außen den Moralapostel zu spielen, ohne echte Alternativen in der Bekämpfung des Terrors aufzuzeigen und vor allem ohne maßgeblichen Beitrag dazu, wäre für die internationale Anerkennung Deutschlands fatal. Bei allem, was man den USA vorwerfen kann, sie handeln im Umgang mit existenziellen Problemen, während in Deutschland die Politik um die PKW-Maut streitet und die Massen für und gegen PEGIDA auf die Straße gehen.

Gewalt darf im Kampf um Informationen nicht unbegrenzt eingesetzt werden. Die Grenze ist spätestens mit der Anwendung oder Androhung von Folter überschritten. Die Gefahr solcher Überschreitungen reduzieren wir bei uns und anderen auf Dauer aber nur, indem wir den Sinn von Folter und Gewalt begreifen, diskutieren und hinterfragen, nicht indem wir mit dem Finger auf andere zeigen und allzu leicht davon ausgehen, dass wir so etwas nie tun würden.

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