Drei Teilnehmer auf dem Weg zum „Anti-Gender-Kongress“ 2021 in Erfurt
Foto: Keystone/Getty Images
Kurz vor der „Bereinigungssitzung“ im Haushaltsausschuss über den kommenden Jahresetat herrscht meist Hochbetrieb in den Büros der zuständigen Abgeordneten im Bundestag. Interessenvertreter oder auch Parteifreunde versuchen auf den letzten Drücker, Geldzuwendungen für ihre Klientel zu ergattern. Die angesprochenen Parlamentarier sind schnell überfordert, schon der ganz normale, detailliert ausgearbeitete Finanzplan für die einzelnen Ressorts umfasst mehrere Hundert Seiten. Beim „Bereinigen“ kommen dann, in Extralisten konkretisiert, weitere Einzelposten hinzu. So wird es nahezu unmöglich, den Durchblick zu behalten. Die Überrumpelung der Kontrollgremien fällt den Lobbyisten leicht – vor allem dann, wenn die dah
dahintersteckenden Anliegen geschickt verborgen sind.Systematische TäuschungSo auch in der 18-stündigen, bis in die Nacht dauernden Besprechung des Haushaltausschusses am 26. November: Eine übermüdete Opposition passte nicht auf und ließ sich täuschen. Der bayerischen Trennungsväter-Initiative „Forum Soziale Inklusion“ wurden 400.000 Euro zugeschanzt, im Posten 68426 mit dem unverfänglichen Titel „Zuschüsse und Leistungen für laufende Zwecke an Träger und für Aufgaben der Gleichstellungspolitik“. Michael Leutert (Linkspartei) entschuldigte sich dafür im Nachhinein. Bei der zweiten und dritten Lesung des Bundesetats am 10. Dezember kritisierte Leutert, hier würden Gruppen gefördert, „die zwei Namen haben: einen, mit dem sie Geld akquirieren, und einen, mit dem sie in die Öffentlichkeit treten und unsere Institutionen und Werte angreifen“. Ulle Schauws (Grüne) sprach von einem „frauenpolitischen Tiefschlag“.Florian Oßner, CSU-Politiker aus Landshut, hatte den fragwürdigen Verein auf die Liste der förderungswürdigen Projekte gesetzt. Dass die Profiteure ganz in der Nähe seines Wahlkreises beheimatet sind, scheint kein Zufall. Oßner selbst, Neuling im Haushaltsausschuss und bisher kaum engagiert in Genderfragen, muss gar kein Vorsatz unterstellt werden. Zu vermuten ist eher die Einflussnahme von Parteifreunden oder Lobbyisten im Vorfeld. Zudem ist der maskulinistische Coup das Resultat eines gemeinsamen Antrags der Koalitionsparteien, ein peinlicher Vorgang vor allem für die SPD: Deren im Haushaltausschuss federführende Abgeordnete Svenja Stadler hat sich offensichtlich hinters Licht führen lassen. Ihre Parteifreundin Josephine Ortleb, Fachfrau im inhaltlich zuständigen familienpolitischen Ausschuss, wollte sich auf Anfrage zu dem Vorgang nicht äußern.Maskulinisten wollen stets den Eindruck erwecken, sie seien in der Mitte der Gesellschaft verankert. Ihre Zusammenschlüsse heißen „Geschlechterpolitische Initiative“ oder „Arbeitsgemeinschaft zur Verwirklichung der Geschlechterdemokratie“. Die nur aus wenigen kleinen Gruppen bestehende „IG Jungen, Männer und Väter“, an deren Gründung das „Forum Soziale Inklusion“ wesentlich beteiligt war, ist für Laien – und offenbar auch für politische Profis, die staatliche Mittel verteilen – schwer zu unterscheiden vom auf viel breiterer Basis stehenden, mit dem Deutschen Frauenrat kooperierenden Bundesforum Männer und seinen 31 Mitgliedsverbänden, darunter zahlreiche kirchliche Gruppen, Wohlfahrtsverbände und Gewerkschaften. Die gesamte Jahresförderung dieser tatsächlich dialogisch orientierten männerpolitischen Akteure ist ungefähr so hoch wie die jetzt dem „Forum“ zugesagte Summe.Systematische Täuschung und das Provozieren von Verwechslungen gehören zum männerrechtlichen Kalkül. Die Tarnnamen sollen harmlos wirken, noch besser progressiv und aufklärerisch, obwohl in den Gruppen Antifeministen mitarbeiten. Sie reden von „Freiheit“, „Zivilgesellschaft“ oder gar einer „neuen Bürgerbewegung“, doch Statements im Netz machen den ideologischen Kontext deutlich, in dem sich die Anhänger der Vereinigungen verorten. Wie im Rechtspopulismus deuten sie emanzipatorische Begriffe nur um, was sie vertreten sind oft reaktionäre geschlechterpolitische Konzepte. Das nun mit Steuergeldern bedachte „Forum Soziale Inklusion“ zum Beispiel verfolgt keineswegs das Ziel, die Teilhabe von Kindern mit Handicap im regulären Schulbetrieb zu fördern, wie das dafür gebräuchliche Wort „Inklusion“ nahelegt. Kernanliegen des Vereins ist die Forderung nach mehr Rechten für Scheidungsväter, denen der Zugang zu ihren Kindern erschwert wurde. Im Einzelfall kann sich hinter der so beklagten „Exklusion“ ein persönliches Drama verbergen. Doch viele der Interessenverbände, die in dem Bereich agieren, sind frauenfeindlich und gegen eine angeblich weiblich dominierte Familiengerichtsbarkeit ausgerichtet.Ausrichtung gegen FrauenImmer wieder bemühen sich männerrechtliche Verbände um Kooperationen mit etablierten Institutionen. 2018 gelang eine Zusammenarbeit mit der Konrad-Adenauer-Stiftung bei einer Tagung in Rheinland-Pfalz. 2015, 2017 und 2019 veranstalteten maskulinistische Gruppen in Nürnberg einen sogenannten „Gender-Kongress“, dessen Vorankündigungen vor Prahlerei und Selbstüberschätzung strotzten. Die an Fake News grenzenden Informationen im Netz, die Dutzende von unterstützenden Organisationen, Tausende Besucher und urbane Messegelände als Treffpunkte versprachen, lösten sich am Ende weitgehend in Luft auf. Immer erging auch eine Einladung an die lokale Politprominenz, wohlwollende Grußworte zu sprechen. Als sich in den angefragten Parteien nach entsprechenden Warnungen herumsprach, dass der Tagungstitel ein Euphemismus ist, es sich also eher um einen „Anti-Gender-Kongress“ handelte, häuften sich die Absagen.Das nächste Treffen ist für Oktober 2021 in Erfurt anvisiert. Gerd Riedmeier, Vorsitzender des „Forums Soziale Inklusion“, hielt beim ersten „Gender-Kongress“ laut Programm einen Vortrag. Die nun im Bundeshaushalt zugesagten Gelder könnte der Verein vielleicht für das Durchführen der geplanten Veranstaltung beantragen. Ob ein solches Projekt bewilligt wird, hängt jedoch von der Prüfung durch die zuständige Abteilung im Frauen- und Familienministerium ab. Mögliche Zahlungen an die Maskulinisten können also durchaus noch verhindert werden, wenn sie den Förderrichtlinien widersprechen. „Das BMFSFJ sieht die inhaltliche und politische Ausrichtung des Vereins kritisch, insbesondere ist eine antifeministische Haltung nicht mit einer partnerschaftlichen Gleichstellungspolitik zu vereinbaren“, heißt es in der knappen, aber eindeutigen Antwort einer Sprecherin auf schriftlich gestellte Fragen. Zudem betont das Ministerium, es sei „in die Entscheidung des Haushaltausschusses nicht einbezogen“ worden. Und die bewilligte Summe wird in Relation zur Förderung des Bundesforums Männer als „nicht verhältnismäßig“ bezeichnet. Linken-Politiker Leutert glaubt, dass das „trojanische Pferd“ von der Behörde längst als solches erkannt wurde. Er appelliert an Bundesfamilienministerin Franziska Giffey: „Wir haben in der Haushaltssitzung Fehler gemacht, jetzt erwarten wir von der zuständigen Abteilung, dass die Gelder nicht ausgezahlt werden.“Während man bei einigen Beteiligten aus CDU/CSU vermuten kann, dass Vorsatz im Spiel war, hat sich der Koalitionspartner SPD offensichtlich täuschen lassen. Es fehlt an Aufklärung unter Entscheidungsträgern: Wer in der Politik, in Stiftungen, Verlagen oder Universitäten mit getarntem Antifeminismus zu tun hat, sollte das Verwirrspiel durchschauen und dem Maskulinismus keine Bühne bieten.
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