Die deutschen Männerrechtler stecken in einer Filterblase. Am virtuellen Stammtisch machen sie sich Mut, verstärken gegenseitig ihr tief sitzendes Ressentiment gegen Frauen im Allgemeinen und Feministinnen im Besonderen. Auffällig oft wiederholen sich die Namen der Verfasser, für Onlinebeiträge in den Kommentarspalten der großen Zeitungen nutzen manche zusätzlich Pseudonyme. So wird der Eindruck einer Masse erweckt, die gar nicht vorhanden ist. Es handelt sich um keine Graswurzelbewegung, die von unten wächst, sondern um das Bespielen von Kunstrasen.
Das Forum WGvdL fragt rhetorisch: „Wie viel Gleichberechtigung verträgt das Land?“ Schon die Bebilderung der Startseite gibt eine klare Antwort: Auf einem Straßenschild weist der „Feminismus“ in eine Sackgasse, rechts ab führt der Weg in die „Freiheit“. In verbittertem Tonfall klagen Autoren über „Feminazis“, inszenieren sich selbstviktimisierend als Opfer der Frauenbewegung. Nur optisch seriöser wirkt das Portal WikiMANNia, das bewusst im Stil der Datenbank Wikipedia gestaltet ist und die „Benachteiligung von Jungen und Männern“ anprangert.
Offline spielen Maskulinisten keine große Rolle, auf Veranstaltungen tauchen sie selten auf. Das Bundesforum Männer, vor acht Jahren als (kleines) Pendant zum etablierten Deutschen Frauenrat gegründet, verfolgt einen dialogischen Kurs. Antifeministische Vereine wie MANNdat oder Agens sind keine Mitglieder im Dachverband der männerpolitischen Initiativen. Die auf Kooperation mit Frauen ausgerichtete programmatische Plattform lehnen sie ab.
Männerpolitik ist in Deutschland noch nicht lange öffentlich präsent. Im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend entstand 2010 das Referat 415 „Gleichstellungspolitik für Jungen und Männer“, allerdings nur mit geringem Budget und wenigen Planstellen. Zuvor war ein einziger Mitarbeiter im Ministerium zuständig für „Männer, Migration, Milieus“, die Aufzählung klang nach Kabarett. Frühere parlamentarische Anfragen zum Thema hatten weniger geschlechter- als arbeitsmarktpolitische Gründe. Arbeitgebernahe Abgeordnete sorgten sich um das schwache Bildungsniveau männlicher Schulabgänger. Vor einem „männlichen Proletariat“ warnte schon Mitte der Nullerjahre der Deutsche Industrie- und Handelskammertag.
Die Blogs und Webseiten von Antifeministen sind durchzogen von Ohnmacht und aggressiver Wut. Woraus speisen sich diese Gefühle? Wirklich nur aus der persönlichen Enttäuschung, beim Flirten, beim Anbahnen von Beziehungen zu Frauen zu scheitern, wie manche Analysten nach der tödlichen Amokfahrt im kanadischen Toronto behaupteten? Nicht jeder, der auf maskulinistischen Webseiten postet, ist sexuell frustriert. Und auch die Unterstellung eines geschlossen rechtsextremen Weltbilds führt in die Irre.
Verbitterte Trennungsväter
Manches, was Männerrechtler in übertriebener und polemischer Form anprangern, beruht auf richtigen Beobachtungen. Jungen haben mehr Schwierigkeiten als Mädchen in einer von Lehrerinnen geprägten Schule. Die Wehrpflicht hat Deutschland erst vor Kurzem abgeschafft, nur Männer mussten Militärdienst leisten. Seit Jahrzehnten informiert ein staatlich finanzierter Bericht über die Gesundheit von Frauen, erst seit Kurzem gibt es auch einen Bericht über Männer, trotz ihrer mehr als fünf Jahre kürzeren Lebenserwartung. Gewalt geht nicht nur von Männern aus, sie richtet sich zumindest im öffentlichen Raum auch überwiegend gegen sie. Vom Wandel zur Dienstleistungsgesellschaft haben eher Frauen profitiert, Millionen traditioneller Jobs in der Industrie gingen verloren. Selbstmörder, Wohnungslose und Gefängnisinsassen sind ganz überwiegend männlich. Doch lässt sich daraus die generalisierende Diagnose einer „Krise der Männlichkeit“ ableiten, oder gar eine „vom Feminismus“ ausgehende Diskriminierung qua Geschlecht?
Beispiel Schule: Jungen aus gut situierten Familien kommen dort meist glänzend klar, sie erbringen häufig Leistungen weit über dem Durchschnitt. Sie füllen die naturwissenschaftlichen Leistungskurse der Gymnasien, werden nach dem Studium gut bezahlte Ingenieure, sind alles andere als „Bildungsverlierer“. Forscher verweisen auf die Ergebnisse von Untersuchungen, die Kriterien wie sozialer Schicht und ethnischer Zugehörigkeit eine wichtigere Rolle für den Bildungserfolg zuweisen als dem Geschlecht. Spezielle pädagogische Konzepte etwa für männliche Migrantenjugendliche sind sinnvoll und notwendig, Mädchen- und Frauenförderung an Schulen, Hochschulen und später im Beruf sind damit aber keineswegs überflüssig.
Innerhalb der deutschen „Männerbewegung“, wenn man sie überhaupt so bezeichnen will, haben progressive und reaktionäre Strömungen schon immer nebeneinander existiert. Die Irritationen mancher Männer in Zeiten von komplizierten Gender-Diskursen und selbstverständlicher weiblicher Erwerbstätigkeit speist sich vor allem aus zwei zentralen Streitpunkten. Die Reizworte lauten Trennung und Quote. Viele Scheidungsväter sind verbittert, trotz zahlreicher juristischer Verbesserungen beim Sorgerecht in den letzten beiden Jahrzehnten. Sie wollen ihre Kinder öfter sehen, fühlen sich auf einen randständigen Zahlvater reduziert. Dieses persönliche Drama mobilisiert: Der (meist moderat auftretende) „Väteraufbruch für Kinder“, der Männer in Trennungssituationen berät und unterstützt, ist mit rund 3.000 Mitgliedern eine der größten männerpolitischen Initiativen in Deutschland – und kein reines Internet-Phänomen. Der bereits 1988 gegründete Verein organisiert regelmäßig Kongresse zum Thema. Als politischer Lobbyverband propagiert er das sogenannte Wechselmodell, in dem sich beide Eltern auch nach dem Ende ihrer Beziehung die Verantwortung für die Kinder paritätisch teilen.
Über die Frauenquote ärgern sich selbst gut qualifizierte Master-Studenten oder Hochschulabsolventen. Sie glauben, dass sie in Bewerbungsverfahren nicht die gleichen Chancen bekommen wie ihre weiblichen Konkurrentinnen. Die Angst mag im Einzelfall verständlich sein, ist aber nur teilweise berechtigt. Denn die männliche Hegemonie in den Spitzenpositionen von Politik, Wirtschaft und Kultur ist höchstens angekratzt. Benachteiligung durch Frauenförderung erleben Männer nicht so sehr auf der Führungsebene, eher schon in mittleren Positionen.
Gender means women?
Eine progressiv ausgerichtete Männerpolitik darf den wahren Kern nicht ignorieren, der in den maskulinistischen Klagen steckt. Ja, viele männliche Schüler brauchen mehr Förderung. Faktoren, die Männer krank machen, müssen stärker erforscht werden. Getrennte Väter verdienen Unterstützung, der Kontakt zu beiden Eltern dient dem Kindeswohl. Nötig ist ein Beratungssystem, das männlichen Gewaltopfern hilft, sich mit ihrer eigenen Verletztbarkeit auseinanderzusetzen. Doch vor allem die gewichtige Förderpraxis der Europäischen Union folgt weiterhin der einseitigen Devise „Gender means women“. Auch die 2012 und 2017 vorgelegten Gleichstellungsberichte der Bundesregierung konzentrieren sich auf weibliche Benachteiligung. Sie listen zahlreiche „Gender Gaps“ auf, kritisieren zu Recht das Geschlechtergefälle am Arbeitsmarkt, in der Sozialpolitik und im Recht. Männerprobleme jedoch werden einfach ignoriert.
Das von Frauenpolitikerinnen angeführte Argument, diese seien stets „mitgemeint“ oder würden „mitgedacht“, kann die offensichtlichen Defizite nicht kaschieren. Denn nur eine erweiterte Perspektive auf Genderfragen hat Chancen, der selbsternannten „Männerrechtsbewegung“ den Wind aus den Segeln zu nehmen. Deren Akteure schieben einem angeblichen „Staatsfeminismus“ pauschal die Verantwortung für männliche Identitätskrisen zu. Mit der Etablierung der AfD in den Parlamenten finden solche Sichtweisen zusätzliche Bühnen. Dialogorientierte Männer sollten sich offensiv gegen konfrontative Maskulinisten positionieren, für Frauen sollte eine Kooperation der Geschlechter auf Augenhöhe selbstverständlich werden.
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