Männer-Gaga

Gender Die AfD nimmt zusammen mit Maskulinisten die universitäre Geschlechterforschung ins Visier
Ausgabe 35/2020
Da können Aufgeklärte nur noch den Kopf schütteln – egal ob Frau oder Mann
Da können Aufgeklärte nur noch den Kopf schütteln – egal ob Frau oder Mann

Foto: Lambert/Getty Images

Der Thüringer AfD-Rechtsaußen Björn Höcke kritisiert „steuerfinanzierte Gesellschaftsexperimente, die der Abschaffung der natürlichen Geschlechterordnung dienen“. Die „Geisteskrankheit Gendermainstream“ will er aus Schulen und Universitäten „vertreiben“, die Sexualpädagogik des „roten Blocks“ hält er gar für „pervers“. Weniger drastisch formuliert bezog schon 2015 eine AfD-Landeskonferenz in Baden-Württemberg ganz ähnliche Positionen. Die Delegierten verlangten die „Rücknahme aller Vorschriften im Sinne der Gender-Ideologie“, sämtliche Zuschüsse für „gender-ideologische Maßnahmen“ müssten gestrichen werden. Weitere Punkte waren die Abschaffung der Gleichstellungsstellen, die Schließung von „Diversity Offices in öffentlich-rechtlichen Institutionen“ und ein Finanzierungsstopp „für die sogenannten Gender Studies“ samt der Auflösung der zugehörigen Lehrstühle. Das AfD-Grundsatzprogramm auf Bundesebene übernahm diese Inhalte weitgehend, seit ihrer flächendeckenden Präsenz in Landes- und Kommunalparlamenten profiliert sich die Partei mit entsprechenden Initiativen.

Kritik an Randaspekten

„Inwieweit plant die Bundesregierung Förderprogramme, die sich wissenschaftlich mit der immer weiter um sich greifenden Männerdiskriminierung beschäftigen?“ Diese Kleine Anfrage stellte die AfD-Bundestagsfraktion erstmals im März 2019, im Januar 2020 hakte sie erneut nach. Die Partei gibt sich darin besorgt über die „Gefahr einer Spaltung der Gesellschaft durch Misandrie“. Die Schuldigen für die von ihr behauptete Männerfeindlichkeit seien leicht dingfest zu machen: Ein „radikaler Feminismus“ treibe die „Entfremdung zwischen den Geschlechtern“ voran.

Anti-Gender-Kampagnen sind in den vergangenen Jahren zu einem wichtigen Mobilisierungsfeld rechter Bewegungen geworden. Die dahinter steckenden Feindbilder und Argumentationsmuster reichen allerdings weit hinein bis in die Mitte der Gesellschaft. Das Polemisieren gegen eine angeblich „doktrinäre Ideologie“ findet regelmäßig publizistische Unterstützung, auch in Leitmedien. So gefällt sich der Zeit- und Tagesspiegel-Kolumnist Harald Martenstein (ein viel diskutierter Text von ihm aus dem Jahr 2013 trug den Titel „Schlecht, schlechter, Geschlecht“) in der Rolle des lässigen und arroganten Besserwissers, in ironischen Kolumnen witzelt er gerne über Randaspekte wie „Transgendertoiletten“ oder die Anrede „Professx“. In Talkshowauftritten darf die christliche Fundamentalistin Birgit Kelle ihre Kampfschrift Gender-Gaga vermarkten – inhaltlich passen die Positionen des CDU-Mitglieds eigentlich besser in die AfD.

Der sperrige Gender-Begriff eignete sich schon immer bestens für populistische Attacken von rechts. Selten geht es dabei um sachlich geführte Debatten, meist um pauschale Kritik an allem, was mit dem Reizwort zu tun hat. Schon der Begriff „Gender Studies“ wird in vielen Fällen absichtlich missbräuchlich verwendet. Die Universität Paderborn hielt hinsichtlich einer Kleinen Anfrage der AfD fest: „Die von der Landesregierung NRW in den 1980er Jahren landesweit eingerichteten (...) Professuren verwenden meistens den Ausdruck ‚Geschlechterforschung‘. Dieser Ausdruck soll die breite und komplexe interdisziplinäre wissenschaftliche Perspektive geschlechterbezogener Forschungen repräsentieren.“

Vor allem die universitäre Geschlechterforschung, so der Vorwurf, sei abgehoben und irrelevant, sie halte akademische Standards nicht ein und gehöre daher abgeschafft. Diese zentrale Forderung greift die AfD nun auch parlamentarisch auf. Die besonders umstrittene „geschlechtergerechte“ Sprache, die etwa in der Hamburgischen Bürgerschaft angeprangert wurde, ist dabei eher Nebensache. Im Kern zielt der Rechtspopulismus darauf, die wissenschaftliche Bearbeitung von Phänomenen wie Antifeminismus und Antigenderismus an Forschungseinrichtungen und Hochschulen finanziell auszutrocknen.

Die Bedeutung der Gender Studies in Deutschland wird oft überschätzt. Einen Schwerpunkt bildete die Humboldt-Universität in Berlin, sie stand deshalb schon früh in der Kritik. Doch an den meisten Hochschulen hierzulande sieht es dürftig aus. Meist gibt es lediglich befristete Beschäftigung und kaum eigenständige Lehrstühle, in der Regel verliert sich ein kleines Angebot innerhalb anderer Fachrichtungen. Doch die Seminare und Vorlesungen zu Themen wie Rollenstereotype oder sexuelle Orientierung üben auf Studierende eine große Faszination aus. Ist gar Judith Butler als Gastrednerin angekündigt, die Adorno-Schülerin aus dem kalifornischen Berkeley und theoretische Ikone des „konstruierten Geschlechts“, können die Hörsäle den Andrang der Interessierten kaum aufnehmen. Butler war Anfang des Jahres an der TU Berlin zu Gast und sprach vor knapp 1.000 Zuhörern. Zum ausgesuchten Feindbild rechter Kritik avancierte in den vergangenen Jahren das Zentrum für Gender Studies und feministische Zukunftsforschung an der Universität Marburg. Dort lief von Oktober 2017 bis Ende 2019 ein Projekt unter dem Titel „KRisE der GeschlechterVERhältnisSE? Anti-Feminismus als Krisenphänomen mit gesellschaftsspaltendem Potenzial“. Dieses Vorhaben wurde mit 975.000 Euro aus Bundesmitteln unterstützt – eine im Umfeld der Geschlechterforschung vergleichsweise hohe Summe.

Wer wird diskriminiert?

REVERSE, wie der Kurzname lautet, bestand aus mehreren „Fallstudien“ zu Teilaspekten. Die beteiligten Politikwissenschaftlerinnen analysierten zum Beispiel die „Ethnisierung von Sexismus“ nach den Übergriffen in der Kölner Silvesternacht, den „Kampf um sexuelle Bildung als Krisensymptom“ oder die Debatte um die „Ehe für alle“. Die Art der Abhandlung dieser Themen, so behaupteten die AfD-Antragsteller in der erwähnten Anfrage im Bundestag, verfolge eine „wissenschaftsfeindliche Immunisierungsstrategie“. Erkennbar sei der „sichtliche Unwille“, sich mit der Kritik an der Geschlechterforschung „inhaltlich auseinanderzusetzen“.

Alternativ zur Förderung der Gender Studies möchten die rechten Abgeordneten das Thema „Männerdiskriminierung“ untersuchen lassen – als Gegenentwurf zu einem „doktrinär betriebenen Feminismus“. Die Beschäftigung mit Männlichkeiten hatte bislang keinen allzu großen Stellenwert in der AfD. Doch die selbst ernannte „Männerrechtsbewegung“, die sich umstellt sieht von einer „Kaste der Genderfunktionäre“, versucht schon seit einiger Zeit, ihre konfrontativ ausgerichteten Anliegen in der Partei zu verankern. So interviewte die maskulinistische Initiative MANNdat den am rechten AfD-Rand angesiedelten Landtagsabgeordneten Hans-Thomas Tillschneider aus Sachsen-Anhalt. Auf der Webseite des Vereins, der Männer in nahezu allen Lebenslagen für benachteiligte Opfer hält, klagten Fragesteller und Gesprächspartner unisono über die aus ihrer Sicht „ideologisch verblendete“ Gender-Politik. Der Verein MANNdat wurde 2004 gegründet und wird von mehreren Beobachtern als antifeministisch eingeschätzt. Sich selbst versteht er als „feminismuskritisch“.

Ein angeblich gesellschaftlich grassierender Männerhass stand bisher kaum auf der politischen Agenda. Doch seit die AfD die parlamentarischen Bühnen betreten hat, brechen überwunden geglaubte geschlechterpolitische Kontroversen wieder auf. Konservative Rollenbilder werden propagiert, Gleichstellungskonzepte wie Frauenförderung und Quote vehement abgelehnt, männerrechtliche Strömungen unterstützt. Im Bündnis mit fundamentalistischen christlichen Kreisen wendet sich die Partei gegen Abtreibung, schürt Homo- und Transphobie und versucht, das Werben für sexuelle Vielfalt im Schulunterricht zu unterbinden.

Die Kampagne gegen die Gender Studies an den Hochschulen hat allerdings bislang wenig Erfolg gezeigt: Die Bundesregierung und das zuständige Forschungsministerium wiesen die Kritik an der Förderung des REVERSE-Projektes mit klaren Worten zurück. Und auch die Leitung der Marburger Hochschule stellte sich, keineswegs selbstverständlich, eindeutig hinter die von den Angriffen betroffenen Wissenschaftlerinnen.

Thomas Gesterkamp ist promovierter Politikwissenschaftler und Verfasser mehrerer Bücher zu männerpolitischen Themen. Im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung schrieb er die Recherche Geschlechterkampf von rechts , die einen Shitstorm von Männerrechtlern auslöste

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