Oma schläft

Kino Der Alltag besteht aus Dingen, die getan, und Sachen, die gesagt werden müssen: Ramon Zürchers wunderbarer Film „Das merkwürdige Kätzchen“ war der Berlinale-Darling
Ausgabe 51/2013

Wie überbewertet doch Plots und Geschichten sind, wie reich ein Film sein kann, wenn er sich den Dingen zuwendet, die vor der Kamera spielen. In Das merkwürdige Kätzchen, dem Geheimtipp der letzten Berlinale, der Kritiker und Publikum gleichermaßen verzauberte und seitdem auf – zumal für einen Studentenfilm – eindrucksvolle Festivaltour ging, geschieht verschwindend wenig.

Man sieht: den Samstag einer Berliner Familie, die sich im Prozess der Auflösung befindet. Die großen Kinder, eigentlich schon aus dem Haus, sind da, die kleine Tochter eh (welch eine Entdeckung: Mia Kasalo). Einkäufe werden erledigt, Besuch wird empfangen, die Waschmaschine repariert, eine Orange geschält, gekocht, Besuch erwartet, der später auch kommt, gemeinsam Wurst gegessen. Die Sonne scheint, die Kaffeemühle rattert, die Waschmaschine auch („vielleicht hat sich eine Schraube gelöst“), die Großmutter schläft.

Nichts strebt Richtung Story, alles ist geerdet; die Berliner Schule grüßt aus Sichtweite. Lakonische, ziemlich witzige Dialoge, entrückte Situationen und Einstellungen. Ein Hund, ein Falter, eine Ratte, eine Taube draußen im Wipfel vor dem Fenster, natürlich das rote Kätzchen bilden dazu den stummen Chor, der immer wieder das stehen gelassene Bild übernimmt, wenn es die Menschen verlassen haben.

Für einen Moment

Das Bild, das heißt vor allem: die Küche dieser Wohnung. Das heißt aber auch: das komplexe Verhältnis zwischen dem, was man sieht, was man nicht sieht und was man hört. Regisseur Ramon Zürcher, Student an der Berliner DFFB, vergleicht seinen Film mit einer „audio-visuellen Skulptur“. Das klingt im Zugriff auf das dem Alltag entnommene Material vielleicht ein wenig abschreckend, ist aber völlig plausibel: Das Wunder, durch einen Rahmen in eine eigene bewegte Welt zu blicken, die über diesen Rahmen hinausreicht, das Wunder des Kinos also, wird einem in diesem sanft rhythmisierten und in all seinen Abläufen atemberaubend schön choreografierten Film vor Augen geführt.

Das Tolle: Nie geht es um Virtuosität. Und immer wieder: die Bögen, die das wiederkehrende Musikstück Pulchritude (Schönheit) um die Spuren zieht, die von Menschen, die da und wieder weg sind, für einen Moment bleiben.

Das merkwürdige Kätzchen Ramon Zürcher D 2013, 72 Min. Ab 2. Janur 2014 im Kino

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Geschrieben von

Thomas Groh

lebt in Berlin und schreibt über Filme.

Thomas Groh

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