Wo Ursache und Wirkung Hase und Igel spielen

Film "Predastination" reagiert auf das Henne-Ei-Problem der geschlossenen Kreisläufe in Zeitreise-Filmen mit einer smarten Gegenfrage: Wo bleibt eigentlich der Hahn?
Ausgabe 10/2015

Kommt ein Mann in eine Kneipe und wettet, dass er dem Bartender die unglaublichste Geschichte erzählen könne, die dieser je gehört hat. Dass er einst eine Frau war, tough im Auftritt und daher – frühe 60er! – wenig begehrt bei den Männern, nur um einmal doch an einen zu geraten, der sie im Nu schwängerte und gleich wieder verließ. Dass bei der Geburt bemerkt wurde, dass sie ein Hermaphrodit sei und Komplikationen dazu führten, dass man sie zum Mann vereindeutigen musste. Dass das Kind im Anschluss entführt wurde und sie den Kerl, der ihr/sein Leben ruiniert hätte, gerne mal in die Finger kriegen würde.

Meint der Bartender: Das könne er toppen. Was, wenn er im Hinterzimmer eine Zeitmaschine hätte, die gestatte, einmal zurückzukehren an den Moment der Weichenstellung im Leben, die den weiteren Verlauf prägen sollte?

Aus solchem quasi-anekdotischen Material zieht die literarische Science-Fiction in ihrer prägnantesten Form, der Kurzgeschichte, ihren größten Reiz als Labor für Gedankenexperimente: Was kam zuerst – Henne oder Ei? Und woher nimmt ein in sich geschlossener Loop nach dem Modell des Ouroboros, der Schlange, die ihren eigenen Schwanz verzehrt, ihren Ursprung? Entweder kann man sich in Philosophie-Seminaren über solche Fragen endlos den Kopf zerbrechen. Oder man überantwortet sich einfach deren anschaulicher Konkretion im dafür naheliegendsten Genre: dem Film.

Mit Robert Heinleins 1959 veröffentlichter, erzählökonomisch grandios zugespitzter Story „—All You Zombies—“ etwa, von den australischen Spierig Brothers mit Predestination fulminant und im Hinblick auf das Ausgangsmaterial mit einiger Behutsamkeit für das Subgenre des Mindfuck-Films adaptiert. Hierzulande kommt der Film nun ins Heimkino; ein wenig schade, dass er nach seiner Premiere beim Filmfest München den Sprung in den regulären Kinobetrieb nicht geschafft hat.

Vielleicht ist es auch bezeichnend, dass das Kino den interessantesten Arealen der Science-Fiction – Ultrakunst wie Jonathan Glazers Under the Skin und deutlich unter Blockbuster-Niveau siedelnden Rätselfilmen wie Predestination – neben den Superhelden-Strampelhosenfilmen kaum mehr Obdach bietet. Mit ihrer unaufgeregt soliden Auffassung von Genre – zuvor gab es den tollen „Was wäre, wenn“-Vampirfilm Daybreakers; das blöde Fun-Splatter-Debüt Undead bleibt bitte unbeachtet – bedienen sie den Handwerk-Aspekt eher als das Event und treten damit auf sympathische Weise anachronistisch auf: So fühlt sich Predestination mit seinem geduldigen Aufbau eines hübsch verzwickten „Was zur Hölle?“-Szenarios selbst fast schon an wie eine Zeitreise in die Phase des Science-Fiction-Films vor dessen Überwältigungs-Infantilisierung.

Dass Predestination im weiten Feld der Zeitreise-Filme nicht auf das von Zurück in die Zukunft popularisierte „Großvater-Paradox“ setzt (was, wenn man in der Vergangenheit die Bedingung der eigenen Daseins-Möglichkeit aushebelt?), lässt sich am Titel ablesen, der auf das entgegengesetzte Paradox der Vorbestimmung anspielt: Was heute ist, stellt Grundlage und Folge dessen dar, dass es morgen im Vorgestern verankert worden sein wird. Ein geschlossener Kreislauf, in dem Ursache und Wirkung einander wie Hase und Igel endlos vor der Nase herlaufen.

Viel Freude macht das wegen der sich rasch einstellenden Abgründigkeit des Szenarios. Und weil der Film auf das Henne-Ei-Problem mit einer smarten Gegenfrage reagiert: Wo bleibt da eigentlich der Hahn?

Film

Predestination Michael & Peter Spierig BluRay/DVD/VoD, Tiberius Film, 98 Minuten

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Geschrieben von

Thomas Groh

lebt in Berlin und schreibt über Filme.

Thomas Groh

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