Deutschland bleibe wohl das einzige Land der Welt, sagt der Berliner Schriftsteller und ehemalige Bar-Betreiber Behzad Karim Khani an einem grauen Januartag in einem kleinen Café im Bezirk Mitte, „in dem ‚Du bist Gast hier‘ eine Drohung ist“. Seit Wochen tobt eine absurde Debatte um Gewaltexzesse von angeblich migrantischen Jugendlichen an Silvester, in der sich auch Khani zu Wort gemeldet hat. Er verfasste einen saftigen Kommentar, in dem er Deutschland als Land beschreibt, „das die Schuld immer bei den Anderen sucht“. Und das trotz Nazihintergrund, grassierendem Antisemitismus, „faschistischen Chats der Polizei“, dem NSU-Debakel, Tausenden rechtsextremen Gewalttaten und, und, und. „Das alles rechtfertigt nichts“, heißt
Behzad Karim Khani: Der Pflichtverteidiger erhebt seine Stimme
Porträt Behzad Karim Khani schrieb den Erfolgsroman „Hund Wolf Schakal“ über die „Verlorenen“ von Berlin-Neukölln. Jetzt, da er eine Stimme hat, erhebt er sie für das Milieu seiner Kindheit – etwa nach Silvester

Auf seinem Pullover steht „Habibi“ – Liebling
Foto: Max Zerrahn für der Freitag
das trotz Nazihintergrund, grassierendem Antisemitismus, „faschistischen Chats der Polizei“, dem NSU-Debakel, Tausenden rechtsextremen Gewalttaten und, und, und. „Das alles rechtfertigt nichts“, heißt es in seinem Text weiter, „aber vielleicht hilft es, unser gesundes Misstrauen und unseren fehlenden Respekt vor dem Staat und seinen Repräsentanten zu begreifen“.Sein breitbeiniger Text sei „eine Art Pflichtverteidigung eines zugegeben offensiven und aggressiven Anwalts“, erklärte Khani später auf Facebook, „der das von Mitte/rechts angebotene Wir und Ihr mit seinen Millionen Widersprüchen annimmt, angstfrei damit hantiert, und der zeigen will, dass es auch eine andere Richtung der Eskalation gibt“.Vergangenen Sommer ist Behzad Karim Khanis Debütroman Hund Wolf Schakal (Hanser Berlin) erschienen. Seither ist er in aller Munde. Weil er gerade eine Stimme hat, erhebt er sie für das Milieu seiner Kindheit. 1986 kam er im Alter von zehn Jahren mit seiner Familie aus dem Iran nach Deutschland. Sein Vater war damals schon ein anerkannter iranischer Dichter, seine Mutter Soziologin. Die Familie kam nach Bochum, in eine triste Plattenbausiedlung, die er als „lust- und denkfeindliche Umgebung“ beschreibt, in der der Katholizismus der polnischen Einwanderer auf den Islam der türkischen Gastarbeiter traf.Als die ersten libanesischen Großfamilien auftauchten, habe sich die Atmosphäre verändert, erinnert er sich. „Die hatten etwas Skrupelloses, das hat mich angezogen.“ Irgendwann war er Teil einer Gang, die mit Drogen und Gewalt die Straßen beherrschte. Aus „jugendlicher Scheiße“ wurde professionelle Kriminalität. Damals sei etwas in ihm kaputtgegangen. „Wenn du in einer Welt aufwächst, wo so ein Männlichkeitskodex herrscht und du dir mit Gewalt Respekt verschaffst, dann macht das was bei dir.“ Messerstechereien, Polizeirazzien, Untersuchungshaft – all das kennt er aus eigener Erfahrung. In Hund Wolf Schakal hat er diesen Teil seiner Vita Saam angedichtet, der als Kind iranischer Eltern in Deutschland auf die schiefe Bahn gerät.Worte finden fürs BürgertumIm Gegensatz zu seiner Romanfigur hat Khani den Absprung geschafft. Dazu hätten auch die Umstände beigetragen, sagt er. Er ging aufs Gymnasium, fuhr Skateboard und hing mit den Kids aus dem weißen Bürgertum ab. Um dort zu überzeugen, legte er sich vor jedem Gespräch seine Worte im Kopf zurecht. In dieser Zeit entstand sein Gefühl für Dialoge und die Macht der Worte. Auch das verarbeitet er in seinem Roman, in der Figur von Saams kleinem Bruder Nima, einem stillen Skater mit weißer Freundin aus gutem Hause. Saam und Nima sind die Literatur gewordenen zwei Seelen in seiner Brust. Im Leben der beiden ungleichen Brüder taucht eine Lehrerin auf, die beide unter ihre Fittiche nimmt. Auch die gab es in Khanis Leben.Khani hat sich aus dem Milieu „der Verlorenen“ – nicht der Verlierer, wie der Erzähler in seinem Roman betont – herausgearbeitet. Einfach war das nicht. Er sei diesen Traumata mit Therapien, Yoga und Meditation zu Leibe gerückt. Nicht alles, was kaputtgegangen war, ließ sich wiederherstellen.Im Januar sitzt mir ein Mann gegenüber, der ebenso eloquent wie selbstironisch über sein Dasein und seine Wirkung spricht. Schwarzer Rollkragenpullover, große Brille, bestechender Blick – es braucht nicht viel Fantasie, um in seinem selbstbewussten Auftreten die intellektuelle Aura seiner Herkunft zu erkennen. Seinen Eltern sei es nie um Abschlüsse gegangen, erzählt er. Sie wollten immer nur, dass er in einer Atmosphäre lebt, „in der gedacht wird“. Genau das tut er jetzt.Nach dem Abitur begann Khani ein Studium der Medienwissenschaften an der Ruhr-Universität in Bochum. Die Stadt wurde ihm aber bald zu eng, also zog er nach Dortmund. Dort lernte er seine erste große Liebe kennen. Irgendwann, erzählt er, habe sein Leben nur noch aus Tagen mit und ohne Freundin bestanden. An denen ohne las er bis tief in die Nacht hinein Karl Marx, Albert Camus und Peter Weiss, beschäftigte sich mit dem Kino des iranischen Filmemachers Abbas Kiarostami und schrieb große Bögen „mit krass düsterem Zeug“ voll. Als die Beziehung zerbricht, funktioniert auch Dortmund nicht mehr. 2003 zieht er aus dem Ruhrpott nach Berlin, wo sein Roman spielt.Die Butterflymesser-JahreLiest man Hund Wolf Schakal, meint man, der Autor wäre in Neukölln groß geworden. In ebenso lebendigen wie authentischen Szenen beschreibt er das Leben am Limit entlang der Sonnenallee, in der „nichts funktionierte und trotzdem alles überlebte“, wie sein Erzähler diese Welt beschreibt. Der verbringt die 1990er Jahre unter den Kindern von Gastarbeiter:innen und Flüchtlingen, in einem Umfeld, in dem Härte, Gewalt und Drogen zur Tagesordnung gehörten. Waren es im Osten damals die dumpfen Baseballschläger, die die Täter wie eine Monstranz vor sich hertrugen, sind es hier Fäuste und Butterflymesser, mit denen sich die Figuren behaupten. Das Gesetz der Straße hat dabei seine eigene Logik. „Du musst atmen, damit du nicht krampfst und steif wirst, damit du klar bleibst und besser triffst. Öfter triffst und mehr kaputt machst.“Khani selbst bewegte sich durch ein anderes Berlin. In den nuller Jahren stürzte er sich ins Nachtleben, kellnerte im legendären Cookies und rief die sagenumwobene Bar 25 mit ins Leben. Sein Studium hatte er längst geschmissen, er schrieb jetzt, wann immer er Zeit fand. Ein paar Drehbücher entstanden, aber der große Durchbruch ließ auf sich warten. Als seine Freundin 2011 ein Kind erwartete, war Schluss mit dem In-den-Tag-hinein-Leben. Er eröffnete in Kreuzberg die Lugosi Bar, einen hippen Laden, in dem anspruchsvolle Drinks in lässigem Ambiente serviert wurden. Ende vergangenen Jahres musste er ihn schließen. „Ich habe eine Bar, mit der ich versuche, Geld zu verdienen, und der Vermieter hat ein Haus, mit dem er das Gleiche versucht. Das ging elf Jahre lang gemeinsam und tut es jetzt nicht mehr“, schrieb er kurz vor Ladenschluss nonchalant im Berliner Stadtmagazin tip.Vielleicht war dieses Ende auch so etwas wie der Wink des Schicksals, das kraftraubende Nightlife hinter sich zu lassen und sich ganz einer Tätigkeit zu widmen, die Stück für Stück immer mehr Raum in seinem Leben eingenommen hatte: dem Schreiben!Neben einzelnen Beiträgen für verschiedene Medien war sein Roman entstanden, im vergangenen Sommer wurde Khani zum Ingeborg-Bachmann-Preis eingeladen, wo er einen Auszug daraus las. „Ich war hundertprozentig sicher, dass ich gewinnen werde“, erinnert er sich. Am Ende kommt er ohne Trophäe nach Hause, die Erfahrung aber möchte er nicht missen. Die Tage in Klagenfurt beschreibt er als „geilen Einstieg in die Literaturwelt, um alles zu verstehen, angefangen von der Atmosphäre über den Tonfall bis hin zur Willkür und den Grausamkeiten“.Kurz nach Klagenfurt erscheint Hund Wolf Schakal, schnell deutet sich an, dass diese mitreißende Geschichte aus dem Ghetto von Berlin-Neukölln durch die Decke geht. Die Kritiker:innen sind begeistert, er wird ausgezeichnet, und eine Auflage folgt der nächsten. Khani genießt das, wer kann es ihm verdenken? „Ich bin mit meiner Familie hierhergekommen, mit 200 Mark in der Tasche und ohne ein Wort Deutsch zu können. Und nachdem ich durch all diesen Dreck gegangen bin, stehe ich da mit diesem Buch. Das ist erst mal eine Leistung“, sagt er stolz.Erfolg macht auch besoffen, und so taumelt Khani zuweilen übermütig durch die digitalen Parallelwelten. Dort teilt er lustvoll aus, zugleich hat ihn so mancher (rechte) Shitstorm dünnhäutig gemacht. Wer ihm online auf die Nerven oder gegen den Strich geht, wird schnell blockiert. Das wirkt verletzlich, aber auch leichtfertig selbstgerecht. Kürzlich schwärmte der Autor Uwe Tellkamp im Literaturtalk der rechtsextremen Publizistin Ellen Kositza von Khanis Roman und verglich „den Perser“ mit Dostojewski. Khani kokettierte online mit dem Lob von unerwarteter Seite, was in seinem Umfeld Unbehagen hervorrief. Man nimmt ihn jetzt stärker beim Wort, mit dem Erfolg geht auch eine gewisse Narrenfreiheit verloren.„Ich bin Ausländer, das ist meine Identität. Aber im Gegensatz zu 15 Millionen Ossis weiß ich das“, zitiert er am Ende unseres Treffens einen Satz, der es nicht in den Roman geschafft habe. Er passt ohnehin viel besser ins echte Leben.