Macht der Unterwerfung: Eine Begegnung mit Eva Tepest
Porträt Lust und sexuelle Identität im Spiegel gesellschaftlicher Konventionen: Autor:in und Aktivist:in Eva Tepest schreibt in ihrem Essyband „Power Bottom“ über Ambivalenzen queerer Sexualität und das Potenzial der unterlegenen Position
Eva Tepest, 1989 im Rheinland geboren, hat in Leipzig und Lund studiert und lebt heute in Berlin
Foto: Charlotte Helwig für der Freitag
Queere Menschen kommen in den Köpfen der heteronormativen Mehrheit gern exaltiert daher, entweder als glitzernde Drag oder als maskuline Femme. Eva Tepest, lesbische Autor:in, Theatermacher:in und Aktivist:in, widerspricht dem Klischee. Dezent in Schwarz und Beige gekleidet kommt sie zu unserem Treffpunkt geradelt. Markant ist maximal das abgetragene weiße Basecap, das ihre halblangen Haare nur leicht verdeckt. Tepest wirkt entspannt, dabei ist sie gefragt wie nie. Gerade ist ihr Essayband Power Bottom (März Verlag) erschienen. Er versammelt sechs Texte und ein Gespräch, die um die Frage kreisen, was die eigene Lust mit der individuellen sexuellen Identität einerseits und den allgemeinen gesellschaftlichen Konventionen andererseits zu tun hat.
„Wenn ich dar
222;Wenn ich darüber nachdenke, wie ich begehre“, schrieb die Philosophin und Essayistin Carolin Emcke 2012 in Wie wir begehren, „dann zerfällt alles Konzepthafte, alles Kollektive in Augenblicke, in einzelne, kleine, unwiederbringliche Momente des Begehrens.“ Solche persönlichen Momente sind bei Tepest Ausgangspunkte dafür, die (queere) Sexualität zu erkunden. Es geht um Sex in Kirchbänken und Pornhub, um PMS und Masturbation, Spanking als Wahrheitssuche und Sex als Wiederholungszwang, um queeres Schreiben und die Bedeutung von Sprache.Weil Sprache Macht abbildet, wird dieser Text ab jetzt statt „sie“, „ihre“ und „ihr“ die genderneutralen Pronomen „dey“, „deren“ und „denen“ verwenden. Ein Text als Experiment, analog zu deren Buch.Antifeministische FantasienDen titelgebenden Essay beginnt Tepest mit Geschichten, „die ich mir selber erzähle, um zu kommen: die Szene aus Nymphomaniac II, in der die Protagonistin einen Orgasmus hat, während sie auf einem Ledersofa ausgepeitscht wird. Männer, die mir im Innenhof auflauern, mich Schlampe rufen, während einer von ihnen filmt.“Kann ein Mensch Vergewaltigungsfantasien haben und zugleich emanzipierte Feminist:in sein? Ich bin mit Eva Tepest in einem Café in Berlins Mitte verabredet, um über solche Fragen zu sprechen. Es ist einer der ersten Tage, die Frühling erahnen lassen. Sonne lockt vor die Tür, dennoch ziehen wir die fast menschenleeren Innenräume vor. Wände bilden in einer Gesellschaft, die mit Queerness und Ambivalenz Probleme hat, immer noch einen Schutzraum.Unterwerfung als Kink, Überwältigung als Sehnsuchtsort – natürlich wecken solche Gedanken innere Widerstände, räumt Tepest ein, „weil das so ziemlich das Antifeministischste ist, was man sich vorstellen kann“. Dey habe auch lange mit deren Fantasien gehadert. Dey sei damit aber nicht allein. Unter FLINTA*-Personen (FLINTA* steht für Frauen, Lesben, intergeschlechtliche, nichtbinäre, trans und agender Personen) in deren Umfeld seien Überwältigungsfantasien sehr stark verbreitet. Nicht nur dort, wie Umfragen zeigen. Die Vorstellung von sexueller Unterwerfung ist auch in der straighten Mehrheit keine Seltenheit. Dennoch empfand Tepest Unbehagen. „Egal, wie viel feministische Theorie ich lese: Ich schäme mich dafür, diesen grobschlächtigen Geschichten auf den Leim zu gehen. Ich schäme mich dafür, dass ich ein Bottom bin“, schreibt dey in deren Buch.Inzwischen ist Tepest weniger streng mit sich, Fantasie und Wirklichkeit lägen auf unterschiedlichen Ebenen. Statt zu hadern, macht dey aus der passiven Unterwerfung eine aktive Geste und wird so zum „Power Bottom“. Der Begriff kommt aus der BDSM-Szene und meint zunächst die Lust an der Unterwerfung. Tepest unterläuft diese Lesart und damit auch die eindimensionale Banalität der Dichotomie von Oben und Unten, indem dey ins Symbolische ausweicht und das gesellschaftliche Feld über das erotische legt. „Für mich ist spannend, aus dem engeren sexuellen Bereich rauszugehen und zu schauen, was für ein Potenzial in der Vorstellung liegt, in einer scheinbar unterlegenen Position zu sein“, erklärt Tepest, 34 Jahre alt und Wahlberliner:in.Tepest ist im katholisch geprägten Rheinland aufgewachsen, neben deren jüngerer Schwester kannte dey keine queeren Personen. „Es wurde natürlich immer über andere gemunkelt, aber es gab keine Rollenvorbilder“, erinnert dey sich. Dey sah Serien wie The L Word, die passten aber nicht zum Teenage-Alltag in der westdeutschen Provinz. „Ich bin einfach mit einer riesigen Angst aufgewachsen, bisexuell, lesbisch oder in die beste Freundin verliebt zu sein.“Da ist sie, die unterlegene Position, verbunden mit der Furcht, im Blick eines anderen nicht richtig zu sein. „Queer zu sein bedeutet, sich zu schämen“, heißt es in Power Bottom. Das habe auch immer mit dem Gefühl zu tun, „nicht queer genug zu sein oder nicht auf die richtige Art queer. Als ob es eine Blaupause für das richtige Begehren gäbe. Als ob es einen Raum außerhalb der Scham gäbe. Oder einen Preis für erzählerische Eindeutigkeit.“ Deren eigene Ambivalenz habe dey erst richtig verstanden, als dey während deren Arabistik-Studium von Leipzig nach Malmö ging. „Die queere Szene wird dort von Lesben dominiert, wie ich das an keinem Ort jemals wieder erlebt habe“, so Tepest. „Ich konnte mich komplett in diesem Setting bewegen. Diese Selbstverständlichkeit kannte ich nicht.“ Da wurde denen klar, dass dey sich den Lebensläufen, die denen vorgelebt und nahegelegt wurden, nie zugehörig gefühlt habe. „Ich stand immer irgendwie draußen.“In diesem Außen liegt für dey das Potenzial der Power Bottoms. Die entwickeln jenseits sexueller Spielarten eine Empfindsamkeit für Zu- und Umstände, die die dominierende Mehrheit aggressiv von sich weißt. „Die Person, die Homofeindlichkeit ausgesetzt ist, weiß mehr über den Angreifer als der Angreifer über sie, denn in der Aggression wird die Angst des Angreifers sichtbar“, meint Tepest.Ein neuer Sound entstehtUm diese machtvolle Position der Power Bottoms kreisen deren Texte, die Bezüge zu Autor:innen wie Susan Sontag, Eileen Myles, Maggie Nelson, Anne Carson oder Mithu Sanyal aufweisen. Sie beschreiben den „Katholizismus als Archetyp des kinky Sex“, suchen sprachliche Mittel, um die fluide Wirklichkeit in den Griff zu bekommen, und erschüttern in deren Gestalt die binäre Logik von „Theorie und Praxis, privat und politisch, Gefühl und Logik, Begehren und Sprache“.Zugleich spielt der alltägliche Hass der anderen auf LGBTIQ*-Menschen immer noch eine größere Rolle als die Auszeichnungen queerer Künstler:innen mit Musik-, Buch- oder Filmpreisen. Deshalb ruft Tepest dazu auf, queere Banden zu bilden, um der Homo-, Lesben- und Transfeindlichkeit in der Mehrheitsgesellschaft – allein 2021 wurden 870 Straftaten wegen „sexueller Orientierung“ registriert, dazu kommt ein großes Dunkelfeld – spielerisch zu trotzen. Der Dyke Dogs Salon, ein Format, das Tepest gemeinsam mit der Theatermacher:in Lynn Takeo Musiol an der Berliner Schaubühne ins Leben gerufen hat, ist so ein Versuch lesbischer Bandenbildung. Als „queer-lesbische Kulturpartie“ beschreibt die Schaubühne die stets ausverkaufte Performance auf ihrer Website, bevor der Text ins Fantastische kippt. „Lynn hätte gerne einen Hund, hat aber keine Wohnung. Eva hätte auch gerne einen, fragt sich aber, ob es okay ist, über ein Lebewesen zu herrschen. Beide träumen von einem atmenden, warmen Produkt ihrer Liebe: ihrem Dyke Dog.“ Rätselhaft genug, um auch über dieses performative Format zu sprechen.„Ausgangspunkt war unser Gefühl, dass es in Berlin zwar viele queere Theater-Formate gibt, die aber sowohl politisch als auch ästhetisch eine ganz bestimmte Queerness zur Aufführung bringen“, erklärt Tepest. Von queeren Geschichten werde offenbar erwartet, dass die Erzähler:innen Gewalt erfahren oder auf Widerstände gegenüber der eigenen sexuellen oder geschlechtlichen Identität treffen und diese dann überwinden.Tepest und Musiol fehlte eine bewusste Auseinandersetzung mit lesbischer Geschichte, „ein Format mit Augenzwinkern, das sich nicht so leicht festlegen lässt“. Denen gehe es darum, Banden oder Rudel aus Dyke Dogs zu bilden sowie Rückzugsorte zu schaffen, die Schutz, Wärme und Gemeinschaft bieten. Lesbische Geschichte habe schließlich immer in größeren Netzwerken stattgefunden. „Wir wollen Verknüpfungen fördern, die über den einzelnen Abend hinaus anhalten, und ein Gefühl vermitteln, dass wir nicht alleine sind“, erklärt Aktivist:in Tepest. Zugleich wolle dey dabei das brachliegende Wissen des lesbischen Engagements vermitteln.Tepest arbeitet ehrenamtlich im Spinnboden, einem Archiv mit Bibliothek zu lesbischer Geschichte in Berlin. Daher weiß dey um die „immensen Wissenslücken“, die in der Mehrheitsgesellschaft, aber auch in der Subkultur herrschen. Mit den Dyke Dogs will dey dieses Wissen an die Oberfläche holen und in etwas Lustvolles verwandeln. Die „dyke-doggische Enzyklopädie“, die den Essayband abschließt, verschafft einen Eindruck der utopischen Kraft, die von diesem Projekt ausgeht.„Queer ist die Sehnsucht nach einem fluiden Zuhause inmitten der Unzulänglichkeit einer oft hasserfüllten Welt“, schreibt Tepest. Eine offene Utopie, die auch einschüchtert. Was wäre, wenn dey sich als öffentliche lesbische Figur in einen cis Mann verlieben würde? „Ich wünsche mir, dass ich dann auch nicht streng zu mir bin, aber das würde natürlich ganz schön viel in meinem Leben durcheinanderwirbeln“, räumt dey ein.Jetzt geht dey erst einmal mit Power Bottom auf Lesereise. Tepests Essays bilden eine queere Echokammer, in der der Lärm der Gegenwart um Sex, Gender und Identität wie von einer Loop Station aufgegriffen, angeeignet, verfremdet und zu einem neuen Sound verarbeitet wird. Dieser lässt die ambivalenten Möglichkeiten der Lust in unserer Zeit besser verstehen. Geheimnisvoll bleiben sie dennoch. „Sex ist etwas, das sich immer der Erklärung entzieht. Die eigene Sexualität, das eigene Begehren, lässt sich nie restlos fassen.“Placeholder infobox-1