In der Stadt der Gegenwart tobt der Kampf um Raum, Verkehr und soziales Miteinander. Zuletzt brachte die Corona-Pandemie noch den Aspekt der räumlichen Enge und höheren Infektionsgefahr auf den Plan. Die Messen auf die Versprechungen des Urbanen scheinen längst gesungen. Da aber zwei von drei Deutschen in Städten leben und global gesehen die Urbanisierung massiv voranschreitet, braucht es Hoffnung. Die Heilsversprechen der Smart City fallen daher auf fruchtbaren Boden. Es sei „von sorglosen Mittelstandsmenschen in intelligenten Umgebungen“ die Rede, die mit digitalen Lösungen ihren Alltag gestalten, wie der Sozialpsychologe Harald Welzer im Katalog zur Ausstellung (bei ArchiTangle) schreibt.
Kann dieses von sozialen Ungleichheiten befreite Konzept die Stadt als Lebensform der Zukunft retten? Die Antwort der Sektion Baukunst der Akademie der Künste fällt eindeutig aus. Statt smarter Lösungen brauche es andere Ansätze, um die Stadt als ideale Siedlungsform angesichts von Klimawandel, Digitalisierung und Auflösung traditioneller Bindungen zu etablieren. Nachhaltigkeit ist das Zauberwort, das mit Denkanstößen und Impulsen verschiedentlich untersetzt wird. Knapp die Hälfte aller Mitglieder der Sektion ist dem Ruf der Sektionsleitung gefolgt ist, einen Beitrag zur nachhaltigen Gestaltung der Stadt einzureichen. Dass die bekanntesten unter ihnen – Lord Norman Foster, Daniel Libeskind, Renzo Piano oder Shigeru Ban – nicht dabei sind, macht ein Dilemma sichtbar: einhundert Jahre nachdem das Bauhaus unter Walter Gropius eine neue Formensprache entwickelt hat, um Kunst und Handwerk mit dem industriellen Produktionsprozess zu vereinen, scheint die Suche nach den Bauweisen der Zukunft nicht den avantgardistischen Glanz zu versprühen, den es braucht, um die ganz Großen zu begeistern.
Das merkt man auch der Ausstellung „Urbainable – Stadthaltig“ an. Beim Gang durch die drei Hallen will der Funken der Begeisterung von den Machern nicht so richtig auf die Besucher:innen überspringen. Das liegt auch am offenen Konzept der Schau. Die Sektionsmitglieder konnten einreichen, was sie für sinnvoll hielten. Das reicht von Ideen zu Energiegewinnung und Baustoffforschung über digitale Architekturmodelle und architektonische Manifeste bis hin zu konkreten Bau- und (Um-)Gestaltungsprojekten. So bewegt sich die vielfältige Schau zwischen Fach- und Publikumsausstellung, bei der man sich mehr Fokussierung und Struktur gewünscht hätte. So erscheint „Urbainable – Stadthaltig“ jedoch etwas zusammengewürfelt, wie eine Mindmap für etwas Größeres.
Ganz im Sinne des städtischen Chaos
Dabei beginnt es eindrucksvoll. Man betritt die Ausstellung über eine Installation, in der Fakten des städtischen Lebens mit teils skurrilen Stadtmomenten in einen Dialog treten. Im Schatten der Stadtbilder des Berliner Fotografen Erik-Jan Ouwerkerk erfahren Besucher:innen, dass Stadtpflanzen umweltfreundlicher wohnen als Landratten, weil Nähe Wärme produziert und Energie spart. Oder dass, wer in Städten lebt, mit dem Fremden vertrauter ist. Dass Frauen im Stadtbild dominieren und Städter mehr Liebesbeziehungen und soziale Kontakte haben. Als Hohelied auf die Stadt will Tim Rieniets, der mit seinen Studenten am Institut für Entwerfen und Städtebau der Universität Hannover diese „Informationsschatten“ zusammengetragen hat, dies dennoch nicht missverstanden wissen. Er spricht stattdessen von einer „tendenziös optimistischen Gegenrede“, die notwendig sei, weil über Städte immer nur bei Problemen gesprochen werde.
Den Herausforderungen der Zukunft stellen sich die Beiträge, die in den folgenden drei Ausstellungshallen zu sehen sind. Ganz im Sinne des städtischen Chaos gibt es keine Führung durch die Räume. Besucher:innen müssen sich ihren eigenen Weg durch die von Kunststoffwänden – die wiederverwendet werden, weshalb die Macher von der PET-Flasche der Ausstellungsarchitektur sprechen – getrennten Projekte suchen. Besonders gelungen sind die Beiträge, die die Theorie verlassen. Thomas Auer, Professor für Gebäudetechnik und klimagerechtes Bauen an der TU-München, macht etwa mit Hilfe eines Heißluftföns physisch spürbar, wie der Klimawandel unsere Städte aufheizen wird. Die Grazer Architektin Karla Kowalski präsentiert ihre visionären Wasserhäuser für die Hafencity in Hamburg und die Pariser Architektin Anne Lacaton ihr beeindruckendes Projekt des Umbaus dreier Wohnblöcke in Bordeaux.
Umbau statt Neubau und die Nutzung vorhandener Ressourcen, die Verdichtung der Stadt bei gleichzeitiger Bildung neuer Freiräume, das Öffnen versiegelter Flächen, die Verlagerung grüner Oasen aus der Fläche in die Höhe und die Umdeutung sowie Umwidmung des öffentlichen Raums – das scheinen die bautechnischen Schlüssel für die nachhaltige Stadt. Sie ersetzen nicht die notwendigen gesellschaftlichen Debatten darüber, unter welchen politischen, kulturellen und sozialen Vorzeichen wir miteinander leben wollen.
urbainable – stadthaltig. Positionen zur europäischen Stadt für das 21. Jahrhundert Akademie der Künste Berlin, bis 22. November 2020
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.