Das Motto der diesjährigen Theaterbiennale, dem kleinen Parallelprogramm zur großen Weltkunstausstellung, lautete „rot“. Das Wort, das die beiden Direktoren Stefano Ricci und Gianni Forte über ihr zehntägiges Festival gesetzt haben, wollen sie explizit Deutsch gelesen haben – es soll mit der Farbe leuchten. Im Englischen bedeutet „rot“ allerdings verrotten und auch das italienische „rotto“ – zerbrochen – klingt eher düster. Doch bekanntlich ist Rot auch die Farbe für Gefahr, Rebellion und Feuer.
Das alles passt gut zum Veranstaltungsort, den riesigen Hallen der Arsenale. In den bis zu 800 Jahre alten Anlagen, die schon in Dantes Inferno Erwähnung finden, wurden die Schiffe gebaut und die Waffen gelagert, mit denen Venedig zur See- und Handelsmacht aufstieg. Abseits der Ameisenstraßen der Touristen im östlichen Teil der Lagunenstadt gelegen, befindet sich das von außen in seiner Größe kaum einzuschätzende Gelände mit ausgedehnten Wasserbecken, eigenen Hafentürmen und meterdicken Festungsmauern nahe der Giardini mit den Länderpavillons. Für einen Besuch der immer weiter für die Kultur erschlossenen Arsenale sollte man sich ein bisschen Laufkraft aufsparen, denn sie sind so weitläufig, dass für die Wege zu den Vorstellungen sogar Golfkarts für die Erschöpften eingesetzt werden.
Fiese und verrückte Männer
Das Theaterprogramm, das stets aus einem Dutzend internationaler Gastspiele unter den Gesichtspunkten ästhetische Innovation und offener Spartenbegriff zusammengestellt wird, wurde in mancher Hinsicht der schillernden Farb-Ansage gerecht. Wo Milo Rau auftaucht, bekommt das Rot unweigerlich seine politische Bedeutung – hier mit einer Aufführung seines Stücks La Reprise. Histoire(s) du théatre, einer beklemmenden Studie aus dem Jahr 2018 über den Hassmord an einem homosexuellen Mann in Lüttich. Der deutschsprachige Beitrag vom Schauspielhaus Zürich spielte auf das Rot wiederum in einer anderen Schattierung an. Yana Ross’ Adaption von David Foster Wallace’ Prosawerk Kurze Interviews mit fiesen Männern verarbeitet die düstere Welt des Autors in einem Swimmingpool-und-Jacuzzi-Ambiente, das durch den leibhaftigen Sexakt von zwei Veteranen der Live-Porno-Shows ins Flimmern gebracht wird. Markant ist hier aber vor allem, wie die abgründige Gedankenwelt des ansonsten ja auch kultig verehrten David Foster Wallace allmählich ins Publikum sickert. Das hat bislang keine Theateradaption seiner Bücher so geschafft.
Das Publikum ist sehr gemischt. Zum Teil kommt es aus den Giardini – Biennale-Besucher, die abends immer noch nicht genug haben. Aber es gibt auch nicht wenige einheimische Teatro-Enthusiasten, die hier ein Stück Theaterwelt entdecken können, wie es sonst in Venedig mit seinem alles beherrschenden Besichtigungs- und Gastro-Tourismus nie möglich ist. Mit herzlichster Wärme wurde in diesem Durchgang das in Frankreich frei produzierte Puppenkunstspiel Loco von Tita Iacobelli und Natacha Belova aufgenommen, ein Monolog nach Gogols Tagebuch eines Wahnsinnigen. Zwei in Frisur und Kleidung nahezu gleich aussehende Puppenspielerinnen, Marta Pereira und Tita Iacobelli, führen den immer abenteuerlicher daherredenden Poprischtschin, der sich verliebt und sich am Ende zu Ferdinand VIII. von Spanien ernennt, als lebensgroße Puppe mit grotesken Zügen, wobei die Führung der Puppe und ihr Unterleib samt Beinen zwischen den beiden Spielerinnen immer wieder wechseln. Einfach bezaubernd.
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