Ein Ai-Weiwei-Nagel für Gotscheff

Bühne Das 51. Berliner Theatertreffen begann gewaltig mit Dimiter Gotscheffs Inszenierung von "Zement". Sein Humor der Katastrophen prägte auch posthum den Eröffnungsabend
Ausgabe 19/2014

Der Große Oktober der Arbeiterklasse wäre im Vergleich zu dem, was jetzt komme, nur ein „Sommergewitter im Schatten der Weltbank, ein Mückentanz über Tatarengräbern“. Diese Zeilen schrieb Heiner Müller 1992 in seinem Langgedicht Mommsens Block, und der im vergangenen Oktober verstorbene Dimiter Gotscheff setzte sie, von ihm selbst gesprochen, vor seine letzte Inszenierung, Heiner Müllers Zement am Münchner Residenztheater. Mit diesem szenisch strengen, strahlend sprachgewaltigen Requiem der russischen Revolution und eben diesem Prolog in die Gegenwart eröffnete am Freitag das 51. Berliner Theatertreffen. Seit dem Jahr 1964 werden die zehn wichtigsten Inszenierungen der Saison jeweils dazu eingeladen und auf verschiedenen Bühnen in der Stadt gezeigt.

Nach dem Jubel für Gotscheffs in der Tat bemerkenswerte Inszenierung gab es die übliche Urkunde für den Münchner Intendanten Martin Kušej und eine Trophäe für den Regisseur. Lange Zeit war das Objekt der Theaterbegierde ein Wimpel, der Siegerauszeichnungen bei Volkssportwettkämpfen glich. Dieses Jahr wurde der Künstler Ai Weiwei angefragt, etwas Neues zu gestalten. Verbogene Armierungseisen, die er nach dem schweren Erdbeben 2008 in Sichuan aus eingestürzten Gebäuden geborgen hatte, ließ er in Bronze nachgießen und auf einem Untersatz befestigen. Jedes ist ein bisschen anders gekrümmt und alle sollen auch an Korruption und Baupfusch erinnern, die Menschenleben gekostet haben, insbesondere die von Kindern, die unter ihren einstürzenden Schulen begraben wurden. In Heiner Müllers Stück wird eine Zementfabrik zwischen Bürgerkrieg und Stalinismus unter unmenschlichen Anstrengungen wieder aufgebaut und ein Kind, das im Kinderheim verhungert, hat Gotscheff gleichsam zu einer Erzählerin des Stücks gemacht: gespielt von der großartigen Valery Tscheplanowa.

Auch hier: Public Viewing

Da das Ai-Weiwei-Objekt irgendwie einem großen verbogenen Nagel gleicht, fragte Kušej nach der Urkunde forsch: „Gibt’s nicht auch noch einen Nagel?“ Aber den nahm dann die Schauspielerin Almut Zilcher, Gotscheffs Frau und Mitspielerin in vielen seiner Inszenierungen, entgegen mit der Bemerkung, dass ihr Mitko eine ähnliche Auszeichnungsskulptur als Totschläger an der Wohnungstür aufbewahrt habe, zur Abwehr von Einbrechern. An diesem Humor der Katastrophen kann man sich jetzt noch einmal in einer Werkschau erfreuen. Entweder auf Video im Oberfoyer der Berliner Festspiele oder natürlich besser in der Volksbühne und im Deutschem Theater, die alles zeigen, was sie von Dimiter Gotscheff noch im Programm haben: den jetzt fast zehn Jahre alten Iwanow im Nebel und Die Perser.

Da auch das Theatertreffen dem Trend zum Public Viewing folgt, ein paar Wochen bevor sich das ganze Land fußballbedingt in Public Viewing verwandelt, wird Zement sogar im Sony Center am Potsdamer Platz gezeigt, am 10. Mai um 16 Uhr, der Eintritt ist frei. Das wirkt noch kühner als eine Aufführung im Residenztheater an der Münchner Maximilianstraße oder die Eröffnung des Theatertreffens. Denn man stelle sich vor, das ist nun schon direkt im Schatten der Weltbank. Und ein Sommergewitter könnte es auch geben.

Das 51. Berliner Theatertreffen läuft noch bis 18. Mai 2014. Termine und Spielorte unter berlinerfestspiele.de/theatertreffen

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