Er reitet immer noch, der blutige König

Kolonialismus Theatermacher Luk Perceval will, dass Belgien endlich seine finstere Vergangenheit im Kongo aufarbeitet
Ausgabe 28/2019

Dass Belgien mit allergrößter Verspätung sich der eigenen Kolonialgeschichte stellt, lässt aus hiesiger Sicht manch einen erstaunen. Denn auf vielen Gebieten gilt das kleine Nachbarland als offen für außereuropäische Einwanderer und deren Integration.

Im Februar reiste allerdings eine UN-Mission durch das Land, die das Thema von einer anderen Seite betrachtete. Nicht weiße Belgier, deren Namen weder als französisch noch niederländisch erkennbar sind, seien auf dem Arbeitsmarkt oder auch bei der Wohnungssuche benachteiligt. Diese Art von Rassismus ist zwar nicht spezifisch belgisch, doch die UN-Mission unter Leitung des Polen Michal Balcerzak hatte eine These dazu. Die koloniale Vergangenheit nicht aufgearbeitet zu haben, insbesondere die grausame Ausbeutung des Kongo mit etwa zehn Millionen Toten unter König Leopold II. von 1888 bis 1908, hätte deutliche Folgen für die Gegenwart mit einem ausgeprägt mangelhaften Gerechtigkeitssinn und Geschichtsbewusstsein.

Drei Farben: Schwarz

Genau zum Zeitpunkt der Untersuchungsmission probte der Regisseur Luk Perceval in Gent ein von ihm und seinen belgischen und afroeuropäischen Schauspielern entwickeltes Stück mit dem Titel Black, erster Teil einer Trilogie The Sorrows of Belgium. „Black“ meint den schwarzen Kontinent und ist eine der drei Farben der belgischen Flagge. Die Inszenierung verarbeitet historische Dokumente aus dem Kongo als bestürzende Bestandsaufnahme. Während der Proben schrieb Perceval eine Stellungnahme zu der Frage, ob sich Belgien für die Geschehnisse von vor 120 Jahren entschuldigen müsse, die in De Standaard veröffentlicht wurde. Der Regisseur fand schon den Umstand empörend, dass diese Frage überhaupt erörtert wurde. Perceval nannte das schlicht eine Schande.

Für den aus Antwerpen stammenden Theatermacher ist die aktuelle Debatte ein altes Thema. Früh schon wies er darauf hin, dass sich das Theater in Belgien mit dieser unbewältigten Vergangenheit beschäftigen müsse, auch wenn es rein zahlenmäßig eine kleine Gruppe von Belgiern war, die im Auftrag des Königs das zentralafrikanische Land als dessen Privatkolonie unterwarf und vor allem die Kautschukvorkommen für fantastische Profitraten plünderte. Perceval war 2011 auch der erste Theaterkünstler überhaupt, der J. M. Coetzees Post-Apartheid-Roman Schande auf die Bühne brachte, mit deutlichen Hinweisen darauf, wie schwer eine solche Auseinandersetzung mit größter historischer Last zu leisten ist. In Milo Rau, seit einem Jahr Intendant des NT Gent, hat Perceval freilich den besten Partner. Der Schweizer recherchierte 2015 in der heutigen Republik Kongo für ein Theaterprojekt und den daraus entstandenen Dokfilm Kongo Tribunal. Rau hat vor seiner Intendanz in Gent immer wieder in Brüssel gearbeitet und kennt die Mentalität des Landes gut. Über die in einigen Städten anzutreffenden Reiterstatuen des blutigen Kongo-Königs Leopold staunt er aber immer noch. „In Deutschland wären das zum Vergleich Hitler-Denkmale.“

Die späte Anerkennung der historischen Schuld dürfte unumgänglich sein. Ob diese damit auch einen Zusammenhang in die Gegenwart herstellt, bleibt indes unklar. Premierminister Charles Michel bemerkt dazu lediglich, den für September angekündigten Abschlussbericht der UN-Mission abzuwarten. Sommerpause.

Thomas Irmer hat das Arbeitsbuch 28, Theater der Zeit über Luk Perceval herausgegeben

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