Gerichtstag halten über sich selbst

Eklat Peter Handke bekam am Sonntag unter wüsten Beschimpfungen den Ibsen-Preis verliehen. Seine Rede am Tag danach bekräftigte, dass er die Auszeichnung zurecht erhielt
Ausgabe 39/2014
In Oslo empfangen Demonstranten Peter Handke vor der Vergabe des Ibsenpreises mit Beschimpfungen
In Oslo empfangen Demonstranten Peter Handke vor der Vergabe des Ibsenpreises mit Beschimpfungen

Foto: Fredrik Varfjell/ AFP/ Getty Images

Nach einer heftigen Zeitungsdebatte waren die Proteste am roten Teppich vor dem Nationaltheater in Oslo via Facebook organisiert. Der Streit hatte sich schnell darin verbissen, ob der Ibsen-Preis – mit 2,5 Millionen Kronen oder rund 300.000 Euro der höchstdotierte Theaterpreis der Welt – an Handke gehen dürfe. Viele meinten nein und verwiesen reflexartig auf Handkes Haltung zu Serbien und Milošević. Eine differenzierte Diskussion war damit eigentlich nicht mehr möglich und das Ganze erinnerte an das Fiasko um den Heinrich-Heine-Preis 2006, den eine Jury im Auftrag des Düsseldorfer Stadtrats Handke zugesprochen hatte, was der Auftraggeber dann aber ignorierte. In Oslo hat freilich niemand seitens des Kulturministeriums in die Entscheidung der international besetzten Jury eingreifen wollen.

Gestritten wurde trotzdem, was Karl Ove Knausgaard, der im Moment meistdiskutierte Schriftsteller in Norwegen und im Nebenberuf Handke-Verleger, in einem langen Aufsatz als Absurdität zusammenfasste: Um Literatur ginge es dabei am wenigsten. Eher um die Maßstäbe von Menschenrechtsorganisationen, die obendrein nicht auf dem neuesten Stand sind. Denn eine Neubewertung der Jugoslawien-Kriege, die Handke in einem halben Dutzend Büchern aus seiner Sicht begleitete, gibt es in Norwegen bislang ebenso wenig wie ein Verständnis dafür, dass sich ein Großteil der Handke-Debatte damals in Deutschland und Frankreich auf die Mechanismen der Medien selbst lenkte.

Andere waren wohl besorgt, dass der erst zum fünften Mal vergebene Ibsen-Preis als eine Art Theater-Nobelpreis Schaden nehmen könnte. Zuletzt erhielt ihn Heiner Goebbels und davor der Norweger Jon Fosse, der wie Handke mit seinen Stücken neue Formen der Bühne erschließt.

Die knapp hundert Protestler beschimpften Handke am Sonntag vor dem Theater als „Faschist“ und „Nazi“, was deutlich von dem Grad der Fanatisierung zeugt, den zumindest diese Gruppe aus zumeist bosnischen Flüchtlingen und Einwanderern ergriffen hat. Ein Plakat zeigte den Schriftsteller mit Hakenkreuz auf einem Bleistift. Mit Bodyguards und der Jury im Gefolge betrat Handke dann das Theater, wo er in seiner improvisierten Dankrede kurz auch den entfesselten Protest als Missbrauch demokratischer Umgangsformen ansprach.

Das härteste Urteil

Vorbereitet hatte er indes Zitate des Sufi-Philosophen Ibn Arabi, in denen es um die Hoffnung auf Frieden geht – deutlich als Geste zu verstehen, dass der Dichter an einem Wiederaufflammen der Serbien-Debatte kein Interesse hat. Einen Teil des Preisgelds wird er für ein Schwimmbads in der serbischen Enklave Velika Hoca weiterreichen, erklärte er nach der Vorstellung von Immer noch Sturm. Die schließlich auch in Oslo gefeierte Inszenierung von Dimiter Gotscheff ist bestens geeignet, Handkes Herkunftsgeschichte im Kontext von Jugoslawien und dessen Zerfall zu verstehen – wenn man denn will.

Am Montag in Ibsens Geburtsort Skien trat Handke dann mit heiterer Gelassenheit und seiner eigentlichen Ibsen-Rede auf in einer kleinen Konferenz ihm zu Ehren. Im Kern zitierte er Ibsens Wort von Dichtung als Gerichtstag halten über sich selbst – mit dem härtesten Urteil, das der Norweger in seinen Dramen verhängt: der Vernichtung. Bei ihm ginge es in vielen Werken im Gegenteil um einen Freispruch, der ein Weiterschaffen ermöglicht. Im Gespräch mit Claus Peymann, der zehn von zwanzig Bühnenwerken Handkes zur Uraufführung brachte, sollte er sich erinnern, wie er zum Theater kam. Suhrkamp-Chef Siegfried Unseld habe ihm nach seinem Prosadebüt geraten, fürs Theater zu schreiben, denn sonst würde er nicht genug Geld verdienen. 1966 kam die Publikumsbeschimpfung in Frankfurt am Main heraus, ein Meilenstein der Theatergeschichte, dem Handke bis heute immer wieder Herausforderungen des Theaters folgen ließ. Gleichwohl sieht er sich nicht als Dramatiker, staunte das norwegische Publikum. Seine Rede begann Handke im Sitzen mit dem Hinweis, er habe nicht vor, eine Rede zu halten, sondern eine „Phantasie“ vorzutragen. Echt Handke, die Verteidigung der Poesie an Ibsens Heimstatt.

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