Joachim Fiebach ist tot: Theaterwissenschaftler war Avantgarde in jeder Hinsicht

Nachruf Joachim Fiebach gab in der DDR Heiner Müller heraus und sprach schon über Theater in Afrika, als das noch niemanden interessierte. Nun ist der große Theaterwissenschaftler im Alter von 88 Jahren gestorben
Joachim Fiebach (1934–2023)
Joachim Fiebach (1934–2023)

Foto: Holger Herschel

Als Erforscher des Welt-Theaters im umfassendsten Sinn war Joachim Fiebach Kollegen und Theaterexperten auf einigen Gebieten um vieles voraus. Die größte Expertise entwickelte er zum Theater in Afrika, dessen zeitgenössische Ausprägungen er bei Gastprofessuren, etwa in Tansania und Nigeria, erlebte. Dort begann er auch selbst zu inszenieren, um so mit seinen Studenten Brecht zu erkunden und dabei regionale Traditionen zu bearbeiten.

Wenn man Fiebach darauf ansprach, verwandelte sich der im Alltag eher wortkarge Mann in einen Schwärmer. Mit den führenden Dramatikern des Kontinents – wie dem nigerianischen Nobelpreisträger Wole Soyinka – war er in engem Austausch. Als ab Ende der 1990er Jahre im Zuge der Internationalisierung des deutschen Theaters sich der Blick endlich auch nach Afrika richtete, war Fiebachs Wissensvorsprung so immens, dass auch weltläufige Festivalmacher sich von ihm erstmal einweisen ließen.

Frank Castorf war sein Schüler

In der Theaterwissenschaft war natürlich längst bekannt, dass mit Fiebach an der Berliner Humboldt-Universität eine Koryphäe für das Theater der damals so genannten Dritten Welt lehrte und publizierte. Bereits 1974 gab er mit Stücke Afrikas eine wichtige Anthologie heraus, deren 50-seitiges Nachwort sich auch als grundlegende Einführung in die Materie lesen ließ. Es war eine Pioniertat, die der damals ziemlich einzigartigen komparatistischen Haltung Fiebachs zu verdanken ist.

Die vertrat er auch in der Lehre. Frühe Sowjetavantgarde und westliche Moderne, Theorien des Theatralen, die erst später in der Theaterwissenschaft Funken schlugen, und eben immer wieder das Theater nichteuropäischer Kulturen. Zu seinen Studenten zählte auch Frank Castorf, der daraus schließen konnte, dass Theater auch ganz anders sein kann als mit dem lehrhaften Schiller-Brecht-Kanon.

Fiebach war in der DDR der Herausgeber von Heiner Müllers Stücken. Diese, oft jahrelang ohne Aufführungs- und Druckgenehmigung, erschienen in den 1980er Jahren von Fiebachs Hand in den kleinen grauen Bänden der Dialog-Reihe des Henschel-Verlags, und dann, 1988, in einem opulenten Sammelband, in dem sich auch die bis dahin am meisten inkriminierten Texte Mauser und Hamletmaschine fanden. Müller orakelte, nun wird es wohl zuende sein mit der DDR.

Er überstand sogar die Wende

Nach Wende und akademisch meist auf Kahlschlag zielender Vereinigung konnte Fiebach seine Professur behalten und seine umfassenden Forschungen fortsetzen. Bis ihm mit der Schließung der Theaterwissenschaft an der Humboldt-Universität – und dem zeitgleichen Antritt von Erika Fischer-Lichte an der FU – Ende der 1990er doch noch der akademische Stuhl weggezogen wurde. Er gastierte fortan bei der Berliner Konkurrenz und, neben vielen Konferenzauftritten, als Professor in Toronto. Die Summe seiner Forschungen zog er in dem Buch Welt Theater Geschichte. Eine Kulturgeschichte des Theatralen, das wirklich weltumspannend Theatergeschichte im Kontext politischer Entwicklungen darstellt (2015 im Verlag Theater der Zeit).

Am 23. April starb Joachim Fiebach im Alter von 88 Jahren in Berlin.

Thomas Irmer ist Chefredakteur des Magazins Theater der Zeit, dessen Verlag den Tod Fiebachs meldete

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